Installation der Ausstellung O Quilombismo im Haus der Kulturen der Welt
Foto: Laura Fiorio/HKW
Die bunten Bänder, die an dem offenen Pavillon auf dem Vorplatz angebracht sind, flattern im Wind, als Paz Guevara, Kuratorin für Ausstellungspraktiken und Fernande Bodo, die für das Architekturprogramm des Haus der Kulturen der Welt verantwortlich ist, in die Auftaktausstellung O Quilombismo einführen. Der Grundriss der Holzkonstruktion ist ein Dreieck, erklärt Bodo, und das verweise auf die Dymaxion-Karte. Die ist eine Alternative zur Mercator-Projektion, der am weitesten verbreiteten Darstellung der Erdoberfläche, die die Erde eigentlich ungenügend abbildet. Der Globale Süden ist da zu klein dargestellt, und das ist schon eine bedeutsame Metapher für das künftige Programm des Hauses: Diese Vorstellung der Welt ist nur eine von vielen.
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tellung der Welt ist nur eine von vielen.Auch an der Sprache um die Institution hat sich etwas geändert. Von Wissen spricht man im Plural, Solidarität wird durch das Attribut radikal ein bisschen politischer. Seit Anfang des Jahres hat das Haus einen neuen Intendanten, wahrscheinlich eine der prominentesten Neubesetzungen in Berlin. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, promovierter Biotechnologe, in Kamerun geboren, gründete 2009 in Berlin das Savvy Contemporary. Der Projektraum wuchs und wurde zu einer Anlaufstelle für diskurslastige Ausstellungen mit postkolonialem Anspruch, im weitesten Sinne. Ndikungs Projekte gastierten auf Biennalen, er kuratierte selbst Großausstellungen. Im Sommer 2021 wurde bekannt, dass er künftig das HKW leiten werde. Die Erwartung war groß, und als er am 1. Januar seinen ersten Arbeitstag hatte, ruhte das Haus erstmal noch, bis dann, Mitte März, auf der – mutmaßlich – bestbesuchten Pressekonferenz des Jahres das neue Team vorgestellt wurde. Fortan hat das HKW Kurator*innen für Literatur- und Oralturpraktiken, für Musik- und Klangpraktiken, für diskursive Praktiken – ganz so, als gäbe es hier nichts Festgeschriebenes, sondern nur Kunst- und Kulturformen, die entstehen, wenn man sie auch praktiziert. Ndikungs Vorgänger Scherer holte ganze Denksysteme ins HausUm zu verstehen, warum das alles so neu ist, muss man sich noch einmal erinnern, dass das Gebäude einst eine Kongresshalle in Sichtweite der Berliner Mauer war. Das Haus selbst war ein Geschenk der USA und wurde 1957 am östlichen Rand der Interbau, einer internationalen Leistungsschau der Nachkriegsmoderne, errichtet, und der kühn geschwungene Bau sollte über die innerdeutsche Grenze als Freiheitsversprechen des Westens sichtbar sein. 1989 wurde daraus das HKW, ein interdisziplinäres Haus, was nicht verwundert, denn seine Architektur hat wenig mit Museen gemein. Es gibt keine White-Cube-Räume, stattdessen große Auditorien, Bühnen und eine weitläufige Dachterrasse. Interdisziplinär war auch das Vorhaben des vorherigen Intendanten Bernd Scherer, der sich vielleicht ein bisschen vom Ursprungsgedanken entfernte – Kulturen der nicht-europäischen Welt zu zeigen –, zugunsten eines Programms, das ganze Denksysteme in Form langfristiger Projekte ins Haus holt: das Anthropozän-Projekt, 100 Jahre Gegenwart, Das neue Alphabet.Kunstpraktiken aus dem Globalen SüdenO Quilombismo ist nun die Auftaktausstellung der neuen Intendanz, und auch hier werden Denksysteme in ein Ausstellungshaus gebracht, aber wenn man die Schau als Vorzeichen versteht, dann werden die Denksysteme aufgesprengt. Quilombismo wurde, so sagt Paz Guevara, von dem 2011 verstorbenen brasilianischen Künstler und Aktivisten Abdias do Nascimento geprägt, der malte, in der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro arbeitete, kuratierte und Theater machte. Ganz ursprünglich bezeichnet quilombo eine Siedlung entflohener Sklaven in Brasilien, meist im Hinterland. Die ersten wurden im 17. Jahrhundert gegründet, und sie hielten Kultur und kommunitaristische Wirtschaftssysteme der westafrikanischen Herkunftsländer aufrecht, boten Zuflucht für alle Menschen, die vor Verfolgung flohen. In den Mikro-Utopien abseits der Plantagensiedlungen ging es dabei um Freiheit, gemeinschaftliches Leben und radikale Solidarität. Der Begriff umfasst Strategien des Widerstands und das Wissen – knowledges – darüber, und damit schließt do Nascimento an das Denken panafrikanischer Bewegungen an.Placeholder image-1Die Werke in der Schau sollen das fortführen. Meist haben sie ihren Ursprung in Kunstpraktiken aus dem Globalen Süden, beispielsweise Alberto Pittas großformatige, mit Candomblé-Gottheiten bestickte Stoffbahnen, die der brasilianische Künstler an der Fassade angebracht hat. Überhaupt, Textilien halten die ganze Ausstellung zusammen, und das ist nicht trivial: Die Kaffeesäcke, aus denen Ibrahim Mahama großformatige Skulpturen baut, begleiten seit Jahrhunderten die Globalisierung, Gewebtes ist eine Metapher für Gemeinschaft und das Überleben. Videoarbeiten – wie die von Assaf Gruber über NS-Kunst im Depot der Neuen Galerie in Graz – sind die Ausnahme.Musikalischer soll es werdenIm quilombismo, so schrieb Abdias do Nascimento, ermöglicht das gemeinschaftliche Leben die Verwirklichung der schöpferischen Fähigkeiten der Menschen. Musikalischer soll es werden, und vielleicht auch ein bisschen offener, denn das alte HKW-Programm hat mit seiner text- und vitrinenlastigen Intellektualität Anstöße gegeben, aber wahrscheinlich auch Menschen abgeschreckt. Stattdessen heißt es nun: Acts of Opening Again, so der Titel des mehrtägigen Musik- und Performancefestivals, mit dem das Haus die Eröffnung feiert. Konvivialität taucht immer wieder auf, das Zusammenleben, was zuvor nicht die Hauptaufgabe war, und in diesem Sinne sollen Kulturzentren eingeladen werden, sich am Programm zu beteiligen. Und vielleicht, sagt Paz Guevara, wird das HKW dann ein Haus der Häuser.