Als bekannt wurde, dass Ashley Hans Scheirl mit ihrer Partnerin Jakob Lena Knebl für Österreich den Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig im kommenden Jahr gestalten soll, schrieb die österreichische Tageszeitung Die Presse aus Wien: „Die beste Wahl“. Wie konnte es dazu kommen? Warum wurde sie jahrzehntelang ignoriert – und wieso ist ihre Kunst plötzlich deckungsgleich mit der Gegenwart, mag man sich fragen. Aber in Wirklichkeit kann man sich in Ashley Hans Scheirls Werk seit den späten 1970ern verlieren, so komplex ist das, und es findet sich am Schnittpunkt so vieler Diskurse der Kunstwelt wieder. Scheirl wechselte Pronomina und Geschlechter wie Virginia Woolfs Orlando, tastete die Grenzen des Körpers an, bevor das ein Thema für Kunstmagazine und Feuilletons war und bevor es überhaupt denkbar war, dass der Trans-Theoretiker Paul Preciado in einem Gucci-Werbefilm mitspielt. Das jahrzehntelange Ausharren im Underground hat sich gelohnt, die bunte Welt der Ashley Hans Scheirl ist „so contemporary“. Die Galerie Crone zeigt nun zum Berliner „Gallery Weekend“ Gemälde und einige Papierarbeiten.
Scheirl wurde 1956 als Angela Scheirl in Salzburg geboren. Sie studierte von 1975 bis 1980 in Wien, ging nach London, wo sie 16 Jahre lebte und viel Zeit in der Clubszene und der lesbischen Dyke-Szene verbrachte, sie machte Videos und Musik, drehte 1998 unter anderem Dandy Dust, der mittlerweile als queerer Kultfilm gilt. Ihre ganz frühen Filme sind auf Super 8 gedreht und auf VHS, viele davon sind verloren. Zum 40. Geburtstag habe Scheirl, erzählt sie, eine Testosteroninjektion geschenkt bekommen und beschlossen, fortan ein „dirty old man“zu sein: Hans Scheirl.
Institutionelle Anerkennung kam eher spät. Einige von Scheirls Gemälden und Zeichnungen gab es vor vier Jahren auf der documenta 14 zu sehen, letztere stammten schon aus den frühen 80ern. Die Malereien trugen den Titel: Painter’s Parody. Es folgten Einzelausstellungen in Graz, 2019 bekam sie den Österreichischen Kunstpreis. Zuletzt zeigte sie diesen Winter im Kunsthaus Bregenz eine große Ausstellung, gemeinsam mit ihrer Partnerin Jakob Lena Knebl. Dafür hat das Künstlerpaar eine Installation entworfen, die Videos, Möbel und Gemälde zusammenbringt. Sie bauen sich ihre eigene Version der düsteren Romantik. Knebl, die bei Heimo Zobernig Kunst und bei Raf Simons Modedesign studierte, hat Caspar David Friedrichs düsterromantisches Gemälde Das Eismeer – das lange fälschlicherweise Die gescheiterte Hoffnung genannt wurde – in ein Diorama verwandelt, aber nicht ohne die für ihre Arbeiten typischen 70er-Jahre-Referenzen. Das Schiffswrack im Bild ersetzt Knebl durch runde Sofas: Verschränkung von Innen und Außen, so erklärt sie diese Entscheidung, außerdem ist das softe, organische Design ein Kontrast zur asketischen Architektur des Gebäudes von Peter Zumthor. Einen anderen Raum haben sie in Bregenz dem Thema Hexen gewidmet und damit gezeigt, dass sie aktuellen queer-feministischen Diskursen ganz nah sind. Hexen stehen da für unterdrückte weibliche und nicht-heteronormative Sexualität. All das wird von den beiden mit karnevaleskem Witz behandelt.
Was für eine Pille?
Zeitgeist und Werk konvergieren für Ashley Hans Scheirl. Auf einmal ist alles, was sie tut, rasend aktuell. Denn in einem kulturellen Diskurs, in dem Pronomina mit politischem Gewicht beladen werden, ist sie mit ihren wechselnden Fürwörtern und mit der sorgsam zur Schau gestellten Fluidität von Gender die Künstlerin der Stunde. Die Transformationen, die sich an Körpern vollziehen, sind kein Nischenthema – wenn sie es jemals überhaupt waren. Jetzt aber lässt sich Körperpolitik vom Individuum ins Gesellschaftliche extrapolieren.
Aber noch etwas anderes macht Scheirl so zeitgemäß. Denn wenn sie ohne Knebl auftritt, konzentriert sich ihre Arbeit auf Malerei, und damit passt ihre Kunst zu einem anhaltenden Makrotrend auf dem Kunstmarkt. Die fünf erfolgreichsten Künstler derzeit, so berichtete die Website artnet Ende 2020, sind allesamt Maler, genauer: gegenständliche Maler. Scheirls Bilder mit ihrer strengen, linearen Pinselführung, den fast fotorealistischen Elementen, denen expressive Gesten gegenübergestellt werden, könnten natürlich genau diese Nachfrage bedienen. Bei Crone in der Berliner Fasanenstraße ist nun eine Einzelausstellung zu sehen, die Scheirls Malerei in den Fokus stellt. Die Bilder mischen harte figurative Formen – Augen, Ketten – mit gestischen Pinselstrichen. Ewige Dialektik von Bestimmtem und Unbestimmtem, von Geschlecht, Selbst- und Fremdzuschreibungen: Sie wird hier konsequent bis in die Form wiedergegeben.
Auf die Einladungskarte zur Ausstellung hat die Galerie ein Detail aus einem Gemälde reproduziert: eine Pille, unklar, was für eine. Vielleicht denkt sich Scheirl ihre Kunst aber ein bisschen wie eine Kapsel in den Körper, wie MDMA, Hormone oder Antidepressiva in der Gelatinekapsel. Wie ein Echo der radikalen Entgrenzungskunst der Wiener Aktionisten, die einst auch Körper und Schmerz als Rohmaterial nutzten, und jenseits der Grenzen des sozial Akzeptierten nach einem neuen Ausdruck suchten, scheint auch bei Scheirls Gemälden das Vulgäre durch. Exkrement taucht auf, groß und vergoldet. Scheirl kommt hier aber gerade ohne den Ernst der einstigen Radikalkünstler aus Wien aus. Körpergrenzen sind dafür da, überschritten zu werden, und die Leinwände ohnehin: In der Galerie Crone wuchern die Farbflächen und die Figuren über eine bedruckte Fototapete. Immer wieder tauchen kleine doppelte Rechtecke auf, die an Anführungszeichen erinnern, und die geben eine klare Anweisung: Alles darf ironisch gelesen werden.
Wenn Künstler*innen zur Malerei zurückkehren, stellt sich oft ein Verdacht ein: Sie werden konservativ, ziehen sich auf diese sichere Gattung zurück. Nur sind diese Bilder weder konservativ noch sicher. Sie sind laut, witzig und ein bisschen vulgär. Und die Malerei existiert nicht für sich allein. Es geht dabei seit jeher um Repräsentation und darum, verschiedene Formen von Subjektivität durchzuspielen. Bei Scheirl heißt das: „monolithische Vorstellungen des Selbst aufzugeben und eine offene Haltung in Bezug auf den Anderen oder die Andere zu kultivieren“ – so schreibt sie in ihrer Masterarbeit. Nun ist es aber nicht so, als hätte die Welt den Atem angehalten und wäre mit einem Mal bereit für queere Kunst. Denn das, was Scheirl jetzt macht, fand zuvor im prädigitalen Untergrund statt, als noch nicht alles akribisch dokumentiert, archiviert und publiziert wurde und wo die künstlerischen Aktivitäten als Teil einer Gegenkultur produziert und rezipiert wurden: Das war immer schon da.
Currencies of De*Capital Delirium. Ashley Hans Scheirl Galerie Crone, Berlin, bis 18. Juni 2021
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