Kunst Zheng Bo wollte von Wissenschaftler*innen wissen: Welche Regierungsform herrscht im Wald? Seine Ausstellung in Berlin zeigt auch, woran er scheiterte
Die hohen, hellen, freundlichen Räume des Gropius Baus in Berlin sind am Mittsommervormittag so leer, dass man die warme Luft spürt, und so still, dass man draußen die Vögel singen hört. Auf dem Boden liegen Bretter, die auf Pflastersteinen ruhen, davor jeweils ein Kissen, wie eine Einladung zum demütigen Hinknien. Auf den Planken liegen Zeichnungen von Pflanzen. Zheng Bo war 2020 als Artist in Residence in den Gropius Bau eingeladen, aber die Pandemie verhinderte, dass er gleich aus Hongkong nach Europa kommen konnte. Stattdessen ging er täglich auf dem grünen, dünn besiedelten Lantau Island – wo er lebt – spazieren, zeichnete und zeichnete: Pflanzen und Unkraut in einem unterschiedslosen Gewirr.
Den Bäumen vorlesen
Schließl
Schließlich kam Zheng Bo nach Berlin, ging beinahe täglich schwimmen und fuhr mit dem Fahrrad in sein Atelier, von dem aus er die Baumwipfel um den Gropius Bau sehen konnte. Er zeichnete weiter, er sprach nun auch mit Wissenschaftler*innen – Botaniker*innen und Biolog*innen – , und Teile dieser Gespräche sind jetzt in einem Film zu sehen. Er veranstaltet weiterhin Workshops, er lässt Teilnehmer*innen Passagen aus dem Dao De Jing – einem Schlüsseltext der chinesischen Philosophie – den Bäumen im Tiergarten vorlesen, und für die Gruppenausstellung reconnecting.earth fordert er Besucher*innen auf, Unkraut am Wegesrand zu zeichnen.Es ist natürlich kein Zufall, dass die Schau Wanwu Council 萬物社 am 21. Juni eröffnet. „Ich wollte empfindsamer für die Umwelt werden“, sagt Zheng Bo, während er in einem weißen Gewand auf dem Parkplatz des Berliner Ausstellungshauses steht. An keinem anderen Tag bekommen die Pflanzen so viel Licht wie zur Sommersonnenwende.So bescheiden und meditativ seine Praktiken auch sein mögen, so allumfassend wird seine Vision in dem Film The Political Life of Plants. Zheng Bo versucht, in den Wäldern Brandenburgs Wissenschaftler*innen das Geheimnis des politischen Lebens von Pflanzen zu entlocken. Dass Pflanzen über unterirdische Netzwerke von Pilzen miteinander kommunizieren, weiß man spätestens seit Peter Wohllebens Bestseller Das geheime Leben der Bäume. Aber welche Regierungsform herrscht im Wald, will der Künstler wissen. „Kennen Pflanzen eine Ideologie“, fragt er, „unterscheiden sich die Politiken des Unkrauts und der Bäume?“ Bei den Wissenschaftler*innen stößt er auf Unverständnis, und seine Fragen scheitern an einem Subjekt- und Politikbegriff, der vom Westen in die ganze Welt exportiert wurde. Ökologie ist darin nicht als politischer Akteur vorgesehen.Dao, die Politik der Pflanzen, Gemeinschaft aller Lebewesen und die Verstrickung von Kunstinstitutionen darin: Mit diesen Themen war der 1974 geborene Künstler schon auf zahlreichen Biennalen. Zunächst allerdings interessierte er sich für soziale Praktiken, die Botanik kam später. Seine Videoserie Pteridophilia (ab 2016) zeigt junge Männer bei erotischen Handlungen mit Farnen: Queere Menschen treffen auf queere Pflanzen, schreibt er über die Filme, die der Gropius Bau kürzlich erst zeigte. Warum ist Zheng Bos Arbeit in den letzten fünf, sechs Jahren so anschlussfähig geworden?Kunst nach dem GrößenwahnInstitutionen wollen den Bereich des Ethischen erweitern, und klar, Diskurse um das Anthropozän trenden im Kulturbetrieb. Aber dahinter steckt noch mehr. Zheng Bo arbeitet meistens mit vergleichsweise geringen Mitteln und immer mit den Gegebenheiten vor Ort. Er braucht wenig mehr als einen Bleistift und Papier, um eine Institution zu füllen. Die Transportkosten sind gering. Damit passt die Schau gut in die neue Kunstwelt. Die Pandemie hat gelehrt, das Lokale und das Kleine zu schätzen, die konzentrierten Praktiken.Der Größenwahn der Kunstwelt – größere Messen, Biennalen in jeder Weltregion – , so sagte es der Londoner Kritiker John Slyce 2017, habe die Globalisierung seit den 90ern gespiegelt. Die Parole lautete Wachstum, und dem konnten bisherige Krisen wenig anhaben. Wachstum geriet zum Wert an sich, in allen Gesellschaftsbereichen lautete die Order: Mehr!Aber seitdem hat sich die Welt umgekrempelt. Begriffe wie „degrowth“ und Postwachstum sollen den Weg in die Zukunft weisen. Die Spirale von Produktion und Konsum, die seit der Nachkriegszeit die Wirtschaft des Westens bestimmt, ist noch nicht gebrochen, und der Kunstmarkt – als Barometer der Wirtschaft – mag die Pandemie einigermaßen überstanden und die Einbußen mit digitalen Angeboten aufgefangen haben. Aber über all dem schwebt immer noch die Klimakrise. Die Schwierigkeit ist: Je größer der Fokus wird, je globaler die Probleme, die angegangen werden sollen, desto näher kommt man der Sphäre des Symbolischen und einem moralisch überlegenen Inaktivismus. Und die Kunst produziert ebenjenes symbolische Kapital.Betrachtet man eine Messe wie die Art Basel Miami im Dezember 2019 – eine der letzten großen vor der Pandemie –, waren Werke über den Klimawandel beinahe schon ein Makrotrend. Bloß, wie kann es da sein, dass Installationen um die Welt geflogen werden, dass für Ausstellungen große Räume rund um die Uhr klimatisiert werden, ganz zu schweigen von den riesigen Depots, in denen die Sammlungen lagern?Es geht auch mit weniger Reisen, weniger Präsenz und Hektik, schrieb Daniel Völzke in Monopol vor einigen Wochen. Nachdem das Kunstmagazin einen offenen Brief an die Kulturstaatsministerin Monika Grütters publiziert hatte, entstand eine Anlaufstelle für Fragen der Ökologie im Kulturbetrieb, die neue Standards für Kulturinstitutionen setzen will, dabei sind zum Beispiel der Deutsche Museumsbund und die Documenta. Für den Kunstmarkt gründete sich die Gallery Climate Coalition in Berlin und London. Sie will den Betrieb grüner machen und den Kohlenstoffausstoß innerhalb eines Jahrzehnts um die Hälfte reduzieren. Die teilnehmenden Galerien verpflichten sich dazu, den eigenen CO₂-Fußabdruck zu berechnen und bei Ausstellungen und Transporten den Abfall zu reduzieren. Maßnahmen, die übers Symbolische hinausgehen.Zheng Bos Fragen umfassen längst nicht mehr nur das menschliche Handeln. Er geht andere Wege. Sein nächster Schritt in Berlin ist eine Versammlung im August, bei der zwölf Teilnehmer*innen nicht-menschliche Lebensformen kanalisieren und ihnen eine Stimme geben. Diese Versammlung – Wanwu Council – gibt der Ausstellung ihren Namen. Wanwu, so erklärt Zheng Bo zwei Wochen nach jenem Mittsommermontag über Zoom, ist ein Begriff aus der daoistischen Philosophie. Er bezeichnet eine Gemeinschaft aller lebenden Dinge, die es in Entscheidungsprozesse einzubeziehen gilt. Das erinnert an die Worte von Audrey Tang, Digitalministerin Taiwans. Sie sagte in einem Interview mit der Kunstzeitung Arts of the Working Class, dass keine Demokratie herrscht, wenn nur Menschen an der Entscheidungsfindung teilhaben. Das klingt radikal und futuristisch, aber: „Man kann jetzt schon mit den Gemeinschaften in der unmittelbaren Nähe aktiv werden.“ Es geht um die größere Krise, eine, die die ganze Ökologie betrifft.Der Künstler hat keine Antwort darauf, was die Kunstwelt und die Politik im Ganzen tun können, sagt er. Er könne nur das verändern, was er jeden Tag tut. „In Ostasien, also in China und Hongkong, habe ich nicht die Möglichkeit, kontroverse Protestkunst zu machen. Das entspricht auch gar nicht meiner Persönlichkeit.“ Es sei nicht Teil seiner kulturellen Tradition, soziale Praktiken radikal zu ändern. Er tut Dinge, deren materielles Ergebnis vielleicht nicht größer ist als ein Bogen Zeichenpapier. Trotzdem: „Wenn wir die Politik des Waldes spüren, verändern wir uns ganz. Das geht langsam, ist allerdings fundamental.“Die Parole gegen das Wachstum lautet in der Kunstwelt heute nicht einfach: Weniger! Vielleicht ist Zheng Bos Programm für die Krise sanfter, eines, das die Menschheit als Souverän aus dem Mittelpunkt holen will. Am Schluss sagt er noch: „Ich höre nicht, dass Politiker in dieser Krise von Demut sprechen.“Placeholder infobox-1
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