Das Projekt Berliner Stadtschloss entspringt noch der breitbeinigen Kulturpolitik der Schröderjahre. Der Palast der Republik sollte weg, die offene Wunde sollte geschlossen werden. Einer Berliner Tradition folgend wurde er noch zwischengenutzt, bevor der brachial-modernistische Bau mit den goldgetönten Fensterfronten gesprengt wurde und die Trägerkonstruktion aus schwedischem Stahl nach Dubai ging, damit dort daraus das höchste Gebäude der Welt wuchs. „Seien wir nicht feige“, sagte der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, und das mutige Vorhaben, das er sich wünschte, war der Wiederaufbau des alten Preußenschlosses. In Erwartung der Leerstelle zwischen Dom und Alexanderplatz fügte sich dieses Projekt gut ins selbstbewusste
te Bild der Bundesrepublik, es passte zum Traum von der politischen und urbanistischen Neuen Mitte. Das war 2001.Jeder Übergang eine WahlDann lobten Bundesregierung und Senat einen Wettbewerb aus. Die Aufgabe an die Architekt*innen: Drei der vier Barockfassaden von 1702 sollten rekonstruiert werden, inklusive der in den 1850ern hinzugefügten Kuppel. Der Italiener Franco Stella gewann. Stella, ein guter Freund des ehemaligen Berliner Bausenators Hans Stimmann, sagte, er sehe sich in der Tradition des klassischen Rationalismus. Kritiker verglichen die modernen Elemente des Baus mit den gerasterten, einförmigen Sandsteinfassaden deutscher Fußgängerzonen, die ebenfalls in der Ära Schröder entstanden sind.Was reinsollte, war auch klar. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihrem Nutzungskonzept durfte einziehen: Die außereuropäischen Museen sollten von Berlin-Dahlem auf die Spreeinsel. Die Humboldt-Universität hatte außerdem Interesse, hier eine Art wissenschaftliches Museum zu eröffnen. Später fanden im Schloss-Nachbau noch Teile der Sammlung der Kulturprojekte Berlin und des Stadtmuseums Berlin Platz.Es passiert selten, dass eine Museumsarchitektur so diskutiert wird. Preußenkitsch, lautet ein Vorwurf. Als die Laterne auf die Schlosskuppel gesetzt wurde, störten sich selbst vorsichtige Beobachter*innen am Kreuz darauf und an dem Spruchband, das auch in der 2020er-Version noch den Herrschaftsanspruch des Christentums bezeugt.Der Blick fiel schnell auf die außereuropäischen Sammlungen und die vielen geraubten Werke. Dann der Eklat, als Bénédicte Savoy das Haus verließ. Die Kunsthistorikerin war Teil der Expertenkommission, sie kritisierte die unbeweglichen Hierarchien, ging schließlich im Streit mit den Gründungsintendanten. Sie beriet danach die französische Regierung zum Umgang mit geraubter Kunst, Präsident Macron erkannte an, dass ein Recht auf Rückgaben besteht. Das war 2018, das Berliner Universalmuseum war schon lange im Bau.Die Debatte wurde erbittert geführt, und im Frühjahr 2021 geschah etwas. Museen in ganz Europa beschlossen, Raubkunst zurückzugeben, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz reiste nach Nigeria, substanzielle Rückgaben wurden angekündigt. Nun schien es, als hätte sich unter dem Druck die Institution reformiert.Vielstimmigkeit gehört zum neuen Selbstverständnis, jetzt, da das Haus eröffnet. Die Ausstellung des Stadtmuseums heißt Berlin Global. Eingebettet in aufwendige Szenografie zeigt sie die Märzrevolution, behandelt den deutschen Kolonialismus und das subkulturelle Substrat des heutigen Berlin. Wenn man von einem Raum zum nächsten geht, steht man vor zwei Durchgängen, über denen je ein Statement steht. Jeder Übergang eine Wahl, die mit einem elektronischen Armband erfasst wird. Am Ende gibt es die Auswertung und den Vergleich mit anderen Besucher*innen. Sicherheit oder Freiheit, soziale oder offene Stadt, in diesen Räumen sind das offenbar binäre Entscheidungen.In der Ausstellung über die Kulturgeschichte des Elfenbeins – Schrecklich schön – wird die Provenienz der Stücke genau gezeigt, in der Wissenschaftsausstellung des Humboldt Labors werden aktuelle soziale und ökologische Themen aufbereitet. Es gleicht einer Wunderkammer, eine Referenz an die alte kurfürstliche Sammlung. Die Projektion eines Fischschwarms, der auf Bewegungen reagiert, leitet in die dunklen Räume, wo man durch die Ausstellungsarchitektur driften kann. Die Objekte in den hängenden Vitrinen erzählen von den Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur. Das Nachlassarchiv des Übersetzers Janheinz Jahn, der im 20. Jahrhundert afrikanische und karibische Literatur ins Deutsche übertrug, wird präsentiert. Es ist schön kompliziert und unübersichtlich, die Ausstellungsarchitektur ist wandelbar und gut überfordernd. Das liegt sicher auch daran, dass das Kurator*innenteam auf Archive der Humboldt-Universität zurückgreift und mit den Exzellenzclustern der Berliner Unis arbeitet.Der umstrittenste Teil des Forums wird indes erst Ende September eröffnet, nämlich die Sammlung des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst. Das Haus hat auf die Kritik reagiert, sagt Intendant Hartmut Dorgerloh. Wenn er die Sentenz „Don’t talk about us without us“ zitiert, meint er, dass keine Präsentation der außereuropäischen Sammlungen ohne Vertreter der Herkunftskulturen stattfinden soll. Das heißt auch, dass das Forum für postkoloniale Akteur*innen und für die Stimmen von People of Color offen sein soll. Die Choreografin Nora Amin spricht für das Tanzprogramm Moving the Forum, das 40 in Berlin lebende Künstler*innen während des Eröffnungsjahrs eingeladen hat. Wie kann Performance auf die Architektur antworten, fragt Amin, und wie kann man mit diesem Ausdrucksmittel zur Dekolonisierung beitragen, zur Wiederherstellung von Identitäten? Dabei sollte man, bei allen guten Vorsätzen, doch eher fragen: Laufen tanzende Körper vor der übermächtigen preußischen Kulisse nicht Gefahr, genauso ornamental zu werden wie die Karyatiden der Barockfassade?Adler, Engel, PreußenbannerBei der Pressekonferenz zur Eröffnung im großen Foyer, unter dem Torbogen mit Adler, Engeln und dem Banner des Preußenkönigs, beteuert der Intendant: Das Humboldt Forum versteht sich als ein neues Stadtquartier, eine Begegnungsstätte. Darüber soll der Geist der Humboldt-Brüder schweben. Wilhelm, Gelehrter, und Alexander, Reisender, beide stehen hier für die Aufklärung, Weltbürgertum, das gute Deutschland und für Neugier. Im Schlüterhof kleben an den Fensterscheiben neben den Porträts der Humboldts als Assoziationskette Wörter wie „white savior“, „négritude“ oder „othering“, als wollte sich die Corporate Identity das Vokabular der postkolonialen Kritik einverleiben. Vielfältige Erinnerungskultur einerseits, feudale Nostalgie andererseits: In der Bundesrepublik wird die Geschichte des Kolonialismus neu erzählt, während andere sich nach vergangenem nationalen Glanz sehnen. Unter diesem politischen Druck ächzt das neue alte Schloss, und schon am Tag seiner Eröffnung sind die Spuren der vergangenen zwei Jahrzehnte deutlich zu sehen.
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