„Wir posieren“

Interview Alona Pardo über Arnold Schwarzeneggers Fluidität und die Notwendigkeit, Männer zu befreien
Ausgabe 43/2020

Mit dem Schwerpunkt Fotografie und Videokunst von den 1960ern bis heute versucht eine Ausstellung, Männlichkeit im Plural zu denken. Kuratorin Alona Pardo erklärt, was es in unterschiedlichen Kulturen bedeutet, ein Mann zu sein, warum Macht und Patriarchat zusammenhängen und welche queeren Strategien dagegen helfen.

der Freitag: Alona Pardo, warum haben Sie sich vorgenommen, Männlichkeit in ihren Facetten zu zeigen?

Alona Pardo: Eine Ausstellung, die sich auf die ganze Repräsentation eines Geschlechts konzentriert – unmöglich, das war mir bewusst. Viel Kunst befasst sich damit, was es heißt, eine Frau zu sein. Aber wir sehen selten die andere Seite. Ziel war, herauszudestillieren, wie Männlichkeit repräsentiert wird.

Auffällig ist, dass der Fluchtpunkt der Ausstellung die 1960er sind. Als hätte es da einen Urknall der Identitäten gegeben.

Ja, denn auf einmal gibt es einen neuen Nonkonformismus, besonders in den USA, die ja einen enormen kulturellen Einfluss hatten. Wenn man die heutige Zeit verstehen will, muss man dorthin zurückgehen, wo die Frauenbewegung und die Homosexuellenbewegung zusammenfinden. Beiden geht es um Freiheit in einer restriktiven Gesellschaft.

Was hat Fotografie denn mit gesellschaftlichem Wandel zu tun?

Fotografie ist demokratisch. Sie erlaubt, über die Außenwelt nachzudenken, bewahrt die Subjektivität der Künstler*innen und ihr Verhältnis zu den dargestellten Personen. Viele Bilder in der Ausstellung sind aber auch auf der Straße entstanden. Denken Sie an David Wojnarowicz. Er beanspruchte den öffentlichen Raum.

Fotografie ist auch ein Massenmedium: Werbung, Zeitungen, Propaganda, all das übt doch normalisierende Macht aus. Und das widerspricht dem, was Sie beschreiben.

Das schließt einander nicht aus. Wojnarowicz benutzte die Kamera als ein Mittel des Widerstands in einer heteronormativen Welt. Er kann Männlichkeit repräsentieren, sie aber zugleich unterlaufen.

Mir gefällt, wie Robert Mapplethorpe Arnold Schwarzenegger 1976 abgelichtet hat. Der hatte gerade seine Bodybuilding-Karriere beendet und wurde wenig später zu einem hypermaskulinen Actionhelden …

… und dann kommt Mapplethorpe und spielt das klassische Ideal des Männerkörpers durch, wie bei einer griechischen Skulptur. Schwarzenegger verkörpert das total, er ist aber auch tentativ, unsicher. Er ist zugleich homoerotisch und sehr straight. Die Fotos sind voller Verlangen. Es gibt fließende Übergänge, und da sind wir bei einem Teil des Problems: Männlichkeit wird als eine statische Sache gesehen, egal in welchem Kontext.

Zur Person

Alona Pardo ist Kuratorin der Barbican Art Gallery in London, von der die Ausstellung Masculinities gemeinsam mit dem Berliner Gropius Bau entwickelt wurde. Sie ist Herausgeberin des Begleitbands Masculinities, der in Deutschland im Prestel Verlag erschienen ist

Der Fotograf nimmt diese heterosexuelle Figur Schwarzenegger und macht sie queer.

Absolut. Zwischen den zwei Bildern von Schwarzenegger hängt ein Foto von Lisa Lyon, der ersten Frau, die professionelle Bodybuilderin war. Sie wirkt so viel stärker, so wie sie da in der Natur posiert. Was bedeutet Männlichkeit – Muskeln und Heteronormativität? Es wird interessant, wenn man diese Konstrukte auf andere Körper anwendet.

Die Ausstellung zeigt Männlichkeit im Plural, aus verschiedenen Teilen der Welt. Bei den meisten scheint es, als gäbe es Männlichkeit nur, wenn man sie ausübt.

Das hängt mit der Künstlichkeit von Geschlechterdefinitionen zusammen. Das zeigt der nichtbinäre Künstler Cassils in der Arbeit Time Lapse von 2011. Man sieht, wie sich ein Körper verändert, wenn er immer muskulöser wird. Man betrachtet etwas Künstliches und, ja, auch so etwas wie eine Performance. Ist man Essenzialist und glaubt an biologische Bestimmung? Oder versteht man Genderidentität als Performance, wie es die Philosophin Judith Butler tut? Da würde ich mich sehen.

Es gibt viele Porträts in der Ausstellung. Handelt es sich dabei auch um Performances?

Ja, wir posieren schließlich. Denken Sie an Thomas Dworzaks Taliban-Porträts.

Die Bilder hat der Fotograf in Afghanistan gefunden. Aber was weiß man über sie?

Dworzak folgte Anfang der 2000er einer US-Einheit nach Kandahar. Er fand diese Bilder in Fotostudios, deren Besitzer keine Verwendung mehr für sie hatten. Unter dem Taliban-Regime war Fotografie zwar verboten, aber es gab noch ein paar Läden für Passfotos. Offenbar sind junge Taliban-Soldaten dorthin gegangen, haben Make-up aufgetragen, mit Blumen und Gewehren posiert und einander die Hand gehalten.

Wie rätselhaft!

Weil das dem Bild des frauenverachtenden, patriarchalen Regimes widerspricht. Das sind jedoch komplizierte Bilder. Nichtwestliche Männer werden im Westen nämlich oft als feminin dargestellt. Nur: In diesem kulturellen Kontext ist es beispielsweise gar nicht ungewöhnlich, dass Männer in der Öffentlichkeit Hand in Hand miteinander gehen.

Warum zeigen Sie so viele Bilder von Soldaten?

Soldaten haben eine gewisse Schönheit, und das lässt sich leicht fetischisieren. Aber sie sind auch heroisch und mutig, und ihre Aufgabe ist es, den Staat zu schützen.

Körper, Soldat und Staat haben miteinander zu tun. Wie kommt da noch Queerness ins Spiel?

Das ist schwer zu entwirren. Bis vor kurzem war der Militärdienst fast überall Männern vorbehalten, und für junge Männer entfaltet sich die Männlichkeit in der Armee. Dabei haben sie viel Raum für Intimität: Soldaten essen, schlafen und sterben gemeinsam. Beispielsweise die Arbeiten von Wolfgang Tillmans, vergrößerte Zeitungsausschnitte mit Bildern von Soldaten, zeigen: Es gibt eine unterliegende Queerness.

Sprechen wir über Räume, die Männern vorbehalten sind. Die Fotografin Karen Knorr zeigt mit ihre Serie „Gentlemen“, für die sie in den 1980er Jahren Gentlemen’s Clubs in London besucht hat, Räume, in denen konservative, oft aristokratische Männer unter sich sind.

Da geht es um Macht, um das Patriarchat. Imperialismus spielt auch eine Rolle, denn die Bilder sind während des Falkland-Krieges und zur Zeit von Margaret Thatcher entstanden. Die Fotografin musste viel Überzeugungsarbeit leisten, um diese Orte betreten zu dürfen. Dann ließ sie die Männer in den Clubs möglichst natürlich aussehen und fügte den Bildern kurze Texte hinzu, die sie mit Material aus Parlamentsreden und Zeitungen collagiert hat. An den Wänden hängen Porträts von Adligen und Premierministern, so als wollten diese Männer ihr gottgegebenes Recht demonstrieren. Als wäre klar, dass weiße Cis-Männer das Sagen haben. Knorr ist gut darin, nicht nur die ungleiche Machtverteilung der Geschlechter offenzulegen, sondern auch die unter Männern: Der weiße Mann der Oberschicht steht an der Spitze.

Knorrs Bilder zeigen, wie Macht von Rasse, Klasse und Geschlecht abhängt. Ist dieses Männerbild nicht sehr prekär? Ein Mehr an Männlichkeit wäre unzivilisiert, zu wenig wäre verweichlicht?

Männlichkeit ist voller Widersprüche. In der Ausstellung sehen Sie die Aspekte, die mit dieser Prekarität zu tun haben. Seit der industriellen Revolution gab es die Männer des Proletariats, die mit ihrem Körper gearbeitet haben, auf der anderen Seite steht der Mann der Bourgeoisie. Er trägt den Anzug wie einen Panzer, arbeitet mit dem Kopf, ist femininer, sanfter.

Sollten wir uns nicht allmählich von dieser Verbindung von Mann und Macht verabschieden?

Die Ausstellung kommt in einem Moment, in dem Staatsmänner – Trump, Johnson, Putin, Bolsonaro – rückwärtsgewandte Konzepte von Maskulinität favorisieren, ausgerechnet in einer Zeit von fließenden Gender-Grenzen, in einer Welt nach der #MeToo-Bewegung. Aber diese Machthaber halten sich daran fest.

Der Kunsthistoriker Jonathan Katz legt in seinem Katalogbeitrag nahe, dass Queerness 2020 im Mainstream angekommen ist, das gilt aber nur für ein bestimmtes Milieu. So hat US-Präsident Trump in der TV-Debatte die chauvinistische Gruppe „Proud Boys“ prominent erwähnt. Die Reaktion: In den sozialen Medien wurde der Hashtag #ProudBoys von queeren Menschen gekapert. Sind Aneignung und Ironie die progressiven Mittel der Wahl?

Betrachten Sie Hal Fischers Serie Gay Semiotics von 1977, wo er die Kleidercodes der Schwulenszene in San Francisco untersucht. Queerness ist schon immer in der Lage, sich das Über-Maskuline anzueignen: Bauarbeiter, Cowboys, Motorradfahrer, daraus wird eine Identitätscollage, aus der etwas Neues entsteht.

Ich habe kürzlich ein Buch von dem Psychologen Jordan Peterson gelesen, einem Autor, der bei jungen männlichen Rechten sehr beliebt ist. Er behauptet, man brauche ein Gegenmittel gegen das vermeintliche Chaos ebenjener Identitätscollagen.

Wenn man so denkt, sieht man Verantwortung nicht mehr bei der Gesellschaft, sondern allein in der Natur. Die ist aber ein Konstrukt, ebenso wie Geschlecht. Die Ausstellung argumentiert genau gegen Petersons Weltsicht, in der man sein Leben nach Erwartungen leben sollte, die vom Geschlecht bestimmt sind.

Der Untertitel der Ausstellung lautet „Liberation through Photography“. Ist das ein Rückblick oder ein Versprechen für die Zukunft?

Das ist ein bisschen ironisch. Die Frage ist: Müssen Männer befreit werden? Irgendwie schon, von binären Geschlechtsvorstellungen nämlich. In Staaten wie Russland, Polen oder Ungarn werden Homosexuellen viele Bürgerrechte genommen. Es ist wichtiger denn je, dass Künstler*innen Bilder hervorbringen, die uns fordern und die uns provozieren.

Info

Masculinities: Liberation through Photography Gropius Bau, bis 10. Januar 2021

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