Libertär und national

Polen Unter den erstarkenden Rechtsparteien Europas sticht der polnische Kongres Nowej Prawicy mit einer libertären Agenda hervor

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Im Programm des Kongres Nowej Prawicy (KNP) ist der Freiheits-Begriff von zentraler Bedeutung. Es gälte, den Bürger aus seiner Abhängigkeit von staatlicher Bevormundung und Gängelei sowie die Wirtschaft vor vermeintlicher öffentlicher Regulierungswut und zu großer Steuerlast zu befreien, damit dort der freie Markt alles harmonisch regeln könne. Der Staat als gefräßiger Leviathan, als bevormundende und korrupte Bürokratie, die nur danach trachte, die Freiheit des Menschen und den freien Wettbewerb einzuschränken. Es ist dieses alte Feindbild der amerikanischen Libertären, das von den Anhängern der KNP hochgehalten wird. Die Partei verortet sich in der Tradition liberaler und libertärer Ökonomen wie Friedrich von Hayek, Ludwig von Mises und Milton Friedman. In ihrem Statut bezeichnet sich die KNP als liberal-konservativ.

Programmatische Grundlage der KNP ist die Forderung nach dem einem vollständigen Umbau des staatlichen und ökonomischen Systems in Polen. Die Transformation der Dritten Polnischen Republik soll nach dem Muster von Viktor Orbans Umgestaltung des ungarischen Staates erfolgen. Konkret verlangt die KNP etwa im Bereich der Judikative die Einrichtung von Schiedsgerichten und gewählte Anwälte auf regionaler Ebene. Die Gerichte sollten „frei von politischer Einflussnahme“ sein. Der Einfluss von Staatsanwälten und Richter auf auf das öffentliche Leben solle vermindert, gleichzeitig aber die Todesstrafe wiedereingeführt und die Strafen für „schwere Verbrechen“ insgesamt verschärft werden. Junge Straftäter sollten nach Ansicht von Janusz Korwin-Mikke, dem Vorsitzenden der Partei, nicht nicht eingesperrt, sondern verprügelt werden, da dass Gefängnis die Seele der Jugendlichen verletze, nicht aber Schläge.

Auf struktureller Ebene strebt die KNP die Errichtung eines zentralistisch geführten Minimal-Staats an. Die Funktion des Sejm soll „minimalisiert“ und primär auf die Festlegung und von Steuersätzen beschränkt werden. Die Zahl der Abgeordneten soll nach dem Willen der KNP von 460 auf 120 verkleinert, der Präsident nach französischem und amerikanischem Vorbild mit weitgehenden politischen Vollmachten ausgestattet werden. So soll er mit einem Veto Zweidrittelmehrheiten aufheben können. Die Zahl der Minister soll von 32 auf ganze 6 vermindert, der Zahl der Senatoren von 100 auf 32 gesenkt werden. Letztere aber würden nicht mehr alle vier Jahre neu gewählt, sondern behielten das Amt auf Lebenszeit. Ein neu konstituierter, nicht demokratisch gewählter elfköpfiger Staatsrat soll von der Regierung die Befugnisse zu gesetzgeberischen Initiativen erhalten, die gewählte Regierung hingegen, bestehend aus Ministern und Premierminister auf die Rolle eines Dekrete umsetzenden Organs beschränkt werden. Im Gegenzug sollen die Regionen größere Autonomie erhalten.

Auf der gesellschaftlichen Ebene setzt sich die KNP gegen die Gleichsetzung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen mit traditionellen Ehe-Schließungen ein. Nur Verbindungen, in denen Kinder gezeugt werden können, sind aus Sicht der KNP „richtige“ Familien. Die Familie wird in konservativer Tradition als Born der Gesellschaft gefeiert, den Familienvätern patriarchalische Handlungsvollmachten gegenüber den Familienmitgliedern zugestanden, dagegen sollen staatliche Einfußmöglichkeiten zurückgedrängt werden. Sozial- und Rentenversicherungen sollen vollständig privatisiert werden, um den Bürger die „freie Wahl“ zur Selbstversicherung zu überlassen. Ähnliches „verheißen“ die gesundheitspolitischen Forderungen der Partei. Der „Zwang“ zur Abgabenleistung an den staatlichen Gesundheitsdienst werde wegfallen durch die Privatisierung des Gesundheitswesens, wodurch jedem Bürger der Zugang zu einem privaten Gesundheitssystem ermöglicht werde. Ebenso will die Partei das Bildungssystem privatisieren.

Weniger Staat, weniger Steuern, mehr Polizei

Obwohl die parlamentarische Kontrolle des Zentralstaats de facto eingeschränkt werden soll, will die Partei die Meinungsfreiheit schützen und den Schutz der Menschen vor Verhaftungen ausbauen. Gleichzeitig sollen trotz Steuerreduzierung die Ausgaben für Armee, Polizei und Geheimdienste erhöht werden. Die Partei spricht sich für die Einführung des Milizsystems der schweizer Armee aus. Die polnischen Streitkräfte sind seid 2008 hingegen als Freiwilligen-Armee organisiert.

Auf der wirtschaftlichen Ebene postuliert die KNP eine marktradikale Agenda. Mehrere Steuern, darunter die Köperschafts- und Einkommenssteuer sollen komplett abgeschafft, andere stark reduziert und durch Bürokratieabbau und Rücknahme von Regularien der Freiraum für Unternehmen erhöht sowie die „Energie der Bürger“ geweckt werden. Durch die Verkleinerung des Staatsapparates werde laut Parteiprogramm die Staatsverschuldung abgebaut. Ausländische Unternehmen sollen von der neuen „Freiheit“ nicht profitieren. Die EU soll zu einer besseren Freihandelszone zurechtgestutzt oder aufgelöst werden. Für die KNP kann ein „wahrer Europäer“ nur gegen die EU sein. Der Złoty muss aus Sicht der KNP die Währung Polens bleiben.

Prägende Gestalt und charismatischer Führer der jungen Partei, die 2011 aus der Fusion von zwei rechts-liberalen Gruppen entstanden war, ist ohne Zweifel Janusz Korwin-Mikke, dessen Name teilweise auch an den Parteinamen angefügt wird. Korwin-Mikke, der sich bereits vor der politischen Wende für libertäre Positionen engagierte und die Bücher Friedmans und Hayeks publizierte, galt aufgrund seines exzentrischen Auftretens in Polen lange als Außenseiter, Spinner und Polit-Clown. Bei der letzten Europa-Wahl ist dem Ehrenmitglied einer antidemokratisch-monarchistischen Vereinigung, der von seinen Anhängern gerne als „königliche Hoheit“ betitelt wird, erstmals ein Wahlerfolg auf nationaler Ebene gelungen. Während die Partei im Landesdurchschnitt über 7 % der Stimmen gewann, waren es bei den Erstwählern sogar mehr als 25 %. Ohne Zweifel profitierte die Partei von der extrem niedrigen Wahlbeteiligung, allerdings sehen aktuelle Umfragen die KNP als drittstärkste Kraft. Rund 10 % der polnischen Wähler sympathisieren mit der national-libertären-Partei.

Freiheit statt Demokratie

Da verwundert es nicht, dass der Erfolg der Partei auch in den rechts-libertären Kreisen Deutschlands gefeiert wird. So wurde in deren deutschsprachigem Zentralorgan „Eigentümlich Frei“ das „ambitionierte“ Programm der Partei gelobt und Korwin-Mikke als Vorbild für die libertäre Bewegung in Deutschland betrachtet. Dabei zeigt die Zeitschrift offen Sympathie für Korwin-Mikkes antidemokratische Einstellung – er ist nämlich für die Einführung der Monarchie in Polen. Ähnlich wie Hans Hermann-Hoppe, ein führender Vertreter der Libertären Bewegung im deutschsprachigen Raum, betrachtet Korwin-Mikke eine minarchische Monarchie, also einen einen monarchisch geführten Minimalstaat, als das „kleinere Übel“ gegenüber der Demokratie, welche die freie Entfaltung „natürlicher“ Eliten behindere und den Armen zu viel politische Einflussnahme ermögliche.

Während also viele Positionen Korwin-Mikkes – so auch sein Eintreten für ein liberaleres Schusswaffengesetz – den Beifall der hiesigen Libertären finden, klammern sie seine antisemitischen, frauenfeindlichen und homophoben Ausfälle aus. So bestritt Korwin-Mikke, dass Hitler etwas von der Vernichtung der Juden in den Konzentrationslagern wusste und vertritt die Auffassung, dass Juden und Polen grundsätzlich gegensätzliche Interessen vertreten würden. Den Frauen wiederum würde er am liebsten das Wahlrecht entziehen, weil sie nichts von Wirtschaft und Politik verstünden und ohnehin viel zu häufig links wählten. Auch gebrauchte er häufiger ein Zitat Napoleons, wonach Frauen das Eigentum ihrer Männer sein sollten. Überhaupt sind ihm Frauen- und Schwulenrechte eine „unheimliche Sache“. In diesen Punkten distanziert er sich auch von amerikanischen Libertären und folgt hier einer katholisch-konservativen Agenda. Selbst Marine Le Pen und Geert Wilders gehen Korwin-Mikkes Ausfälle zu weit. Eine gemeinsame Rechts-Fraktion unter Einbeziehung der KNP wird es mit ihnen vorläufig nicht geben.

Dabei zeigt sich, dass zwischen rechts-libertären und rechts-konservativen bzw. -radikalen Positionen häufig nur ein scheinbarer Widerspruch besteht. Wird der Faschismus von den Libertären auch als „brauner Sozialismus“, also eine vermeintlich linke Ideologie abgelehnt, teilen beide Bewegungen einen ausgewiesenen Sozialdarwinismus, Elitismus, Anti-Egalitarismus, ebenso den unbedingten Glaube an das Recht des Stärkeren sowie die Ablehnung der durch die französische Revolution in Europa implementierten Werte. In Deutschland zeigt sich dies auch an den engen Kontakten zwischen Autoren von „Eigentümlich Frei“ und der Rechtspostille „Junge Freiheit“.

Wes Geistes Kind Korwin-Mikke ist, zeigt sich auch in seinen Äußerungen zu Europa. Er wünscht sich die Restauration der politischen Vormachtstellung Europas über die restliche Welt, so wie sie im 19. Jahrhundert bestand. Ein Europa des kolonialen Imperialismus, der patriarchalen Gesellschaftsordnung und des brutalen Manchester-Kapitalismus. Heute hingegen, klagte er in einem Interview, werde Europa von Arabern und Chinesen kolonialisiert und von einer interventionistischen und bürokratischen EU „terrorisiert“. Deshalb will er auch mit der KNP „Chaos und Unruhe“ in der EU schüren, das Europa aggressiver Nationalstaaten wieder auferstehen lassen. „Krepieren“ solle die EU und die politische Klasse seines Landes wünscht er sich hinter Gittern.

Im kulturellen Diskurs Europas, wo der Gedanke des Gemeinwohls und der sozialen Gerechtigkeit immer stärker durch die neoliberale Agenda verdrängt wird, vermag die Faszination des von Gruppen wie der KNP propagierte Markt-Fanatismus im Grunde kaum zu verwundern. Findet hier doch lediglich der von Finanzoligarchie und Wirtschaft forcierte Struktur- und Werte-Wandel seine parteipolitische Resonanz. Der Libertarismus und andere radikal-liberale Strömungen bilden die ideologische Speerspitze jener Kreise, die das Prinzip des schrankenlosen Egoismus zum gesellschaftlichen Leitbild erklären wollen. Das die Entfesselung der Märkte nicht zur Freiheit des Einzelnen führt, sondern lediglich neue Mechanismen der Unterdrückung generiert, gesellschaftliche Hierarchien zementiert und die soziale Abhängigkeit der arbeitenden Bevölkerung verschärft, stört die Verfechter dieser „Freiheit“ nicht, im Gegenteil. Wenn das Gleichheitsgebot nicht mehr gilt, dürfen sich die selbsternannten Eliten auch wieder die Freiheit zur Ausgrenzung und Ausbeutung der weniger begüterten Bevölkerungsgruppen nehmen.

Freiheit muss man sich dann eben leisten können.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Philipp Schaab

Studierte Religionswissenschaft, Geschichte und etwas Geographie in Heidelberg und Krakau. Schreibt über Religionen, Geschichte u. a. schöne Dinge.

Philipp Schaab

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