Renaissance des Faschismus?

Faschismus In der wirtschaftlichen Dauerkrise entwickeln nicht nur rechtspopulistische, sondern auch faschistische Bewegungen vielerorts in Europa eine enorme Anziehungskraft

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Die rechten Parteien sind die eindeutigen Wahlsieger der Europawahlen 2014. In gleich drei Ländern, darunter Frankreich und Großbritannien, wurden Parteien am rechten Rand des politischen Spektrums stärkste politische Kraft. Mit dem Front National gelang in dies Frankreich einer Partei mit einem klar rechtsradikalen Profil und einem kaum verhohlenen faschistischen Erbteil. Etwa 18 Prozent der Abgeordneten im zukünftigen europäischen Parlament werden rechtsradikalen und euroskeptischen Parteien angehören, unter ihnen mehrere Deutsche. Neben der AfD wird auch die NPD erstmals einen Abgeordneten nach Brüssel schicken.


Soweit so schlecht, aber die Erfolge der Rechtsparteien verdeutlichen vor dem Hintergrund der Finanzkrise lediglich eine sich schon lange abzeichnende Entwicklung: die schleichende Renaissance faschistischer Bewegungen in Europa. Denn es sind eben nicht „nur“ rechtspopulistische Grenzgänger mit bürgerlichem Anstrich, die zunehmend erfolgreich um Stimmen werben, sondern auch genuin rechtsradikale Parteien, die aus ihrer faschistischen und antidemokratischen Gesinnung kaum einen Hehl machen.

Wie groß war die Empörung, als zu Beginn des neuen Jahrtausends mit der FPÖ erstmals eine rechtspopulistische Partei innerhalb der EU an der Regierung beteiligt wurde. Inzwischen gehört die Beteiligung rechtspopulistischer Gruppen an der Regierung zur stillschweigend akzeptierten Normalität. In Ungarn bastelt sich die eigentlich „nur“ rechtskonservative Fidesz unter Viktor Orban einen mit europäischem Recht konform gehenden autoritären Staat zurecht, während jeder fünfte Ungar die offen faschistische Jobbik-Partei und deren Paramilitärs von der „Neuen ungarischen Garde“ unterstützt. Beide Parteien vertreten einen katholisch angehauchten ungarischen Nationalismus und berufen sich auf das Horthy-Regime, Jobbik auch auf die faschistischen Pfeilkreuzler, deren Fahnen und Symbole von den Milizen offen zur Schau getragen werden.

Auf das Christentum bezieht sich auch die Goldene Morgenröte in Griechenland, wenngleich in dessen griechisch-orthodoxer Variante. Bei der Europawahl gewann die Partei über 9 Prozent der Stimmen und erzielte damit ihr bisher bestes Wahlergebnis auf nationaler Ebene. Vertreter der Partei zeigten offensiv ihre Sympathie für die in den 60er und 70er Jahren bestehende Militärdiktatur. Ebenso wie die Anhänger von Jobbik fallen ihre Anhänger und Mitglieder durch ihre offen zur schau gestellte faschistische Gesinnung und brutale Gewalt gegenüber politischen Gegnern und Menschen mit ausländischem Hintergrund auf. Besonders beunruhigend ist dabei, dass die Goldene Morgenröte bei den griechischen Polizeikräften auf offene Sympathien stößt.

Noch wesentlich beunruhigender ist, dass in der Ukraine – zwar kein EU-Mitglied, aber immerhin ein europäisches Land – mit der Swoboda eine Partei mit faschistischen Wurzeln an einer prowestlichen Regierung beteiligt wird. Damit sind erstmals seit dem Ende der rechten Diktaturen in Südeuropa Faschisten an der Regierung eines europäischen Landes beteiligt. Und deren Anführer, Oleg Tjagnibok, durfte dem deutschen Außenminister vor der Weltpresse lächelnd die Hand schütteln. Jörg Haider wäre bei soviel Anerkennung für einen überzeugten Antisemiten gewiss neidisch geworden.

Man kann sicher darüber diskutieren, wie einflussreich faschistische Bewegungen in Europa tatsächlich sind. Die rechtsradikalen Kräfte sind nach wie vor klar in der Minderheit, aber allein die enormen Zuwächse in einigen Ländern sollte nachdenklich stimmen. Viele Wissenschaftler waren sich einig, dass der Faschismus, wie er Europa bis zum 2. Weltkrieg heimsuchte, nie wieder zur alter Stärke finden würde. Zu groß seien die von ihm begangenen Verbrechen, zu stabil die demokratischen Strukturen der europäischen Staatenwelt, zu stabil die wirtschaftliche Entwicklung. Aber ist dies wirklich unmöglich?

Die zerstörerischen Auswirkungen der Finanzkrise haben das Potential, die demokratischen Systeme in ihren Grundfesten zu erschüttern. Ein politisches System, das nicht in der Lage ist, die elementaren sozialen Grundbedürfnisse der Menschen zu gewährleisten, verspielt langfristig seine Legitimität. Die von der Merkel-Regierung durchgesetzte Sparpolitik in den ökonomisch angeschlagenen Staaten der EU stranguliert die dortigen Ökonomien und treibt die Verschuldung der Länder weiter in die Höhe, anstatt sie zu verringern. Große Teile der Bevölkerung in den kriselnden Ländern leben inzwischen in extremer Armut, wogegen die wohlhabenden Oberschichten in den dortigen Ländern weitgehend geschont werden. Das Vertrauen in die staatlichen Institutionen, der ökonomischen Dauerkrise Herr zu werden, schwindet zusehends, zumal ihr einziger Daseinszweck darin zu bestehen scheint, die Staatsschulden abzubauen, wozu aufgrund der Wirtschaftskrise aber nicht in der Lage sind. Ein fruchtbarer Boden für das weitere Wachstum faschistischer Bewegungen.

Sicher muss jedes Land in seinem spezifischen Kontext betrachtet werden und es ist unwahrscheinlich, dass Deutschland eine ähnliche Entwicklung wie Ungarn nehmen wird. Die bisherigen Wahlergebnisse in Ländern wie Portugal und Spanien zeigen, dass rechtsradikale und faschistische Bewegungen in wirtschaftlich angeschlagenen Ländern nicht zwangsläufig an Boden gewinnen. Wo eine danieder liegende Ökonomie, korrupte politische und wirtschaftliche Eliten sowie ethnisch aufladbare soziale Konflikte und ein ethno-national und kollektivistisch geprägter Kultur-Diskurs zusammentreffen, sind die Gefahren für eine Renaissance des Faschismus sehr groß. In Zentral- und Osteuropa ist diese Krisenkonstellation vielerorts gegeben, in Süd- und Westeuropa ist die Lage etwas differenzierter, jedoch zeigt das enorme Potential für islamfeindliche Bewegungen in einigen Ländern Westeuropas, dass rechtsradikale Bewegungen dort sehr wohl erfolgreich sein können, sofern sie sich wenigstens oberflächlich von faschistischen Ideologemen distanzieren.

So wichtig es ist, angesichts des Rechtsrucks bei den Europawahlen nicht in blinde Panik zu verfallen, so wenig ist der europäischen Sache gedient, wenn dieses Phänomen nun von einigen „Experten“ verharmlost wird. Ja, es sind „nur“ 18 Prozent der Stimmen, die an Gruppen von rechtsaußen gefallen sind. Aber es gibt wenig Anzeichen dafür, dass der Trend nach rechts damit seinen Zenith erreicht hat, auch wenn einige rechte Parteien bei der Europawahl Verluste erlitten haben. In vielen bürgerlichen Medien scheint man sich bereits mit dem Rechtstrend arrangiert zu haben. Kritik an der merkelschen Krisenpolitik wird nicht geübt. Links und Rechts wie üblich gleichgesetzt und der Burgfrieden aller etablierten Parteien beschworen. Augen zu und durch, das scheint die Parole der politischen Elite zur Stunde zu sein.

Die Frage ist nur: Wohin?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Philipp Schaab

Studierte Religionswissenschaft, Geschichte und etwas Geographie in Heidelberg und Krakau. Schreibt über Religionen, Geschichte u. a. schöne Dinge.

Philipp Schaab

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