Kapitalismus, ein bisschen schöner.

Zukunft der Wirtschaft Paul Mason will den Kapitalismus abschaffen, ohne ihn zu verstehen. Die Democracy Lecture "Nach dem Kapitalismus?!" mit Paul Mason im Haus der Kulturen der Welt in Berlin

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Eingebetteter MedieninhaltNach Thomas Piketty (2014) und Naomi Klein (2015) war es in diesem Jahr dem englischen Journalisten und Autor Paul Mason vorbehalten, die dritte von den Blättern für deutsche und internationale Politik veranstalte "Democracy Lecture" im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu halten. Mason, der sich als "radikalen Sozialdemokraten" bezeichnet und dessen Buch "Postkapitalismus – Grundrisse einer kommenden Ökonomie" in Kürze erscheint, hatte für die Krise des Systems einen altbekannten Schuldigen ausgemacht: den "Neoliberalismus". Dabei lieferte er eine wirr durcheinander geworfene Beschreibung ökonomischer Phänomene der letzten Jahre: Entkopplung des Finanzkapitalismus von der "Realwirtschaft", Wachstum der Geldmenge, Null- bzw. Negativzinsen und zunehmende Ungleichheit.

Auf Ursachen und Zusammenhänge konnte oder wollte Mason in seinem Vortrag nicht eingehen. Stattdessen hielt er eine scheinbar simple Lösung bereit, die er eins zu eins von Jeremy Rifkins Theorie der "Null-Grenzkosten-Gesellschaft" kopiert zu haben schien: Die kapitalistische Produktionsweise werde im "Informationszeitalter" von selbst obsolet werden, da Information kein knappes Gut sei und die sog. "Grenzkosten" der Produkte zukünftig weiter gegen Null gingen. In der postkapitalistischen Gesellschaft Masons solle außerdem jeder ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten, in dessen Folge lästige Arbeit weitestgehend automatisiert werde und die Produktion nur noch in "kollaborativen commons" stattfinde.

Mason vermochte es nicht nur nicht diese Ideen halbwegs schlüssig darzustellen und zu begründen, sondern ihm gelang auch das Kunststück, in den 45 Minuten seines Vortrags kein einziges Wort zu Wachstumszwang, Zerstörung des Ökosystems, Übernutzung endlicher Ressourcen, Effizienzparadox, Geldsystem, Überproduktion, Konsumverzicht oder globalen Produktionsketten zu verlieren. Aufschlussreich war lediglich der spontane Applaus aus dem voll besetzten Auditorium, als Mason davon sprach, einen Kapitalismus schaffen zu wollen, der etwas "schöner" als der jetzige sei und außerdem "funktioniere". Diese beruhigende Botschaft hörte man im Publikum gerne: Die Zukunft wird so wie die Gegenwart, nur etwas freundlicher.

Genau dies ist es, was sich der vermeintlich aufgeklärte Wohlstandsbürger der ersten Welt weiterhin gerne einredet oder einreden lässt: Neue Technologien werden alle Probleme lösen, eine Veränderung des eigenen Lebensstils ist nicht nötig. Statt Auto mit Benzin fährt man in Zukunft Auto mit Strom aus Sonne und Wind, und alles ist gut. Bis dahin darf man auch bedenkenlos und scheinbar folgenlos mit dem Flugzeug durch die Welt reisen, täglich Fleisch essen und alle Jahre ein neues Smartphone kaufen. Wohlgemerkt: Dies alles kann man heute tun und gleichzeitig gegen den Kapitalismus sein.

Will man diesen Widerspruch auflösen, wird es höchste Zeit für die (unbequeme) Erkenntnis, dass WIR SELBST und das Leben, das wir (auf Kosten anderer) führen, etwas mit dem Ganzen zu tun haben. Wir sind der Kapitalismus. Und wenn wir ihn überwinden wollen, dann müssen wir Verantwortung für unser Handeln übernehmen und unser Leben ändern. Dass uns - wie uns auch besonders gerne die Techno-Utopisten aus dem Silicon Valley weismachen wollen - die schöne neue Welt des Digitalen, der 3-D Drucker und erneuerbaren Energien von allem Unheil erlösen werden und wir mit ihnen das Modell unbegrenzten Wachstums fortsetzen können, ist ein naiver Irrglaube. Auch die neuen Technologien bleiben an die stofflich-physikalischen Realitäten des Planeten gebunden.

Was wir in Zukunft brauchen, sind weniger Dinge und mehr sinnvolle Beziehungen zu Mensch und Natur - so einfach und so schwer ist die Formel für den Aufbau einer wirklich "postkapitalistischen" Gesellschaft.

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