Hier, wo die Schmankerl süß sind, erzählt Mohamed Zalah von seinem Alltag im rechtsextremen Terror. Baklava verkauft er in dieser Confiserie, ein Gebäck, angereichert mit Mandeln, Pistazien oder Walnüssen. Wenn der syrische Bäcker morgens um neun Uhr die Ladentür passiert, ist die Stimmung jedoch weniger lieblich. Dann fragt er sich, ob schon wieder rote SS-Runen an die Außenfassade geschmiert worden sind. Zuletzt ist eine solche Kriegserklärung im Juni in Farbe gegossen worden, schon die siebte Attacke in jüngster Zeit. „Ich musste mir erst einmal von Nachbarn erklären lassen, was dieses Symbol überhaupt bedeutet“, sagt Zalah.
2015 ist der 24-Jährige aus Aleppo geflohen, über die Türkei und den Balkan. Bald soll er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen. Eine Happy-End-Figur im Plot der deutschen Willkommenskultur. Wie sein Chef, der die Bäckerei eröffnet hat, geflohen aus Homs. „Damaskus“ heißt das expandierende Geschäft; es gibt mittlerweile sogar zwei weitere Filialen. Hotspots eines kosmopolitischen und lebensbejahenden Berlins sind diese Orte, vor allem der Stammladen an der Sonnenallee, im hippen Norden des Bezirks Neukölln, wo Zalah an der Theke steht. Es sind Orte, die sonst wegen anderer Phänomene die Menschen in der Republik umtreiben: geprägt von Hipstern mit Dutt-Frisuren und klobigen Turnschuhen, einer bunten arabischen und türkischen Community und früher, in wilden Zeiten, von Gang-Kriminalität.
Seit einigen Jahren sind Orte dieser Art zugleich Ziele einer Anschlagsserie, die beispiellos ist in der jüngeren Geschichte rechtsmotivierter Kriminalität. 137 rechte Straftaten wurden in Neukölln allein in den neun Monaten bis Mitte Juni begangen – darunter Sachbeschädigungen, Diebstähle, Morddrohungen. Zudem sind allein 2.800 Brandstiftungen im Lauf der vergangenen sieben Jahre registriert worden.
Eine Entwicklung, die auch über Berlin hinaus bedeutungsvoll ist. Die Verbrechen zeigen, dass die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen braune Netzwerke versagen – denn die Täter sind in den meisten Fällen noch nicht gefasst.
Die Brandanschläge trafen Protagonist*innen der linken Zivilgesellschaft: die Autos etwa eines IG-Metall-Funktionärs und eines antirassistischen Buchhändlers, einer SPD-Lokalpolitikerin und einer Mitarbeiterin der Falken, der sozialdemokratischen Jugendorganisation. Ein Brandsatz wurde zudem unter dem Rollladen des queer-feministischen Lokals „k-fetisch“ deponiert. Bereits 2018 war der Wagen des Linken-Politikers Ferat Kocak im Carport in Brand gesteckt worden, in Rudow, einer ruhigen Wohngegend im äußersten Süden des Bezirks.
Bisweilen verhinderte nur die Feuerwehr größere Brünste – oder das Zusammenspiel von Wind, Wetter und verbauten Werkstoffen. Die Flammen hätten sonst Menschen das Leben kosten können.
Ein vollstreckter Mord hingegen ist aufgeklärt worden: an einem britischen DJ, Anfang 30, erschossen im Jahr 2015 von einem arbeitslosen Betonbauer, der Hitler-Büsten in seiner Wohnung hortete. Eine weitere Tragödie bleibt nebulös. Vor etwas mehr als acht Jahren ist Burak Bektaş, ein 22-jähriger Neuköllner, abends auf offener Straße hingerichtet worden. Eine Initiative vermutet, dass der oder die Mörder aus einem rechtsextremen Motiv handelten; sie hält sogar eine Verbindung mit dem Mord an dem Exil-Briten für möglich. Berlins Innensenator Andreas Geisel, SPD, hat 2019 eine Sonderkommission ins Leben gerufen – ein Team aus 108 Beamten und Beamtinnen, die nach Tätern in diesem „Neukölln-Komplex“ fahnden. Zu den Asservaten zählen rund zwei Millionen Datensätze.
Bislang führten noch keine Beweise zu einer Anklage. Stattdessen rücken die Staatsdiener nun selbst ins Zwielicht. Es geht um die Frage, ob die Chefermittler integer sind. Berlins Generalstaatsanwältin Margarete Koppers hat jedenfalls zwei Staatsanwälte von den Ermittlungen abgezogen. Und das Verfahren ihrer eigenen Behörde übertragen.
Das belastende Dokument ist ein Observationsprotokoll der Polizei, gewonnen aus dem privaten Chat eines ehemaligen AfD-Kreispolitikers namens Tilo P. Er ist Hauptverdächtiger in einem Verfahren, das mindestens 70 Delikte im „Neukölln-Komplex“ umfasst, Brandanschläge, Sachbeschädigungen, Drohungen. In der Online-Unterhaltung soll dieser Tilo P. einem AfD-Kameraden eröffnet haben, dass der Oberstaatsanwalt aus der Abteilung für Staatsschutz-Angelegenheiten, der die Hoheit bei den Ermittlungen hatte, AfD-nah sei. Und dass ihm nichts passieren werde. Diesen Eindruck will Tilo P. aus einer Vernehmung gewonnen haben.
Man muss kein Antifa-Aktivist sein, um die politische Brisanz zu verstehen. Das Arrangement weltanschaulicher Neigungen in den Sicherheitsbehörden erinnert an den NSU-Komplex, bei dessen Aufklärung der thüringische Landesverfassungsschutz ein ziemlich schlappes Arbeitsethos an den Tag gelegt hatte – unter der Ägide eines Landesverfassungsschutzpräsidenten, der später in neurechten Postillen publizierte.
Ein Hans-Georg Maaßen 2.0
Der ausgebootete Oberstaatsanwalt in Berlin ist offenbar ein Reaktionär vom Typ Hans-Georg Maaßens, des ehemaligen Chefs des Bundesverfassungsschutzes, der heute Wortführer der „Werteunion“ ist. In dessen Sound zumindest soll der ranghohe Justizbeamte einmal während eines Smalltalks mit Jura-Prüflingen gesagt haben, in Chemnitz habe es keine Hetzjagden auf Migranten gegeben. Geht so ein Jurist mit dem nötigen Eifer an die Sache?
Sein Untergebener, der ebenfalls versetzte Staatsanwalt S., hat den Ruf eines Linkenfressers. Jemand, der nach der Aktion einer Nichtregierungsorganisation schon mal pompöse Durchsuchungen in deren Objekten anordnet. So geschehen 2018, nachdem Greenpeace-Aktivist*innen die Straßen rings um die Berliner Siegessäule mit gelber Farbe zugeschüttet hatten.
Die Posse um Berlins Justiz wirft ein neues Licht auf Pannen der Behörden. Darauf etwa, dass Ferat Kocak, der besagte Linken-Politiker, dessen Auto in Flammen aufging, nicht vorgewarnt worden ist – obwohl ein abgehörtes Telefonat auf ein Risiko hindeutete. Oder dass eine Feindesliste, darauf Politiker und Journalistinnen, gespeichert auf einem konfiszierten Rechner, erst mehr als anderthalb Jahre nach der Beschlagnahmung unter den Daten entdeckt worden ist. In dem Register findet sich auch Anne Helm wieder, heutige Fraktionsvorsitzende der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, die Droh-Mails vom „NSU 2.0“ erhalten hat, jenem Netzwerk, das in der hessischen Polizei eng geknüpft ist.
Zudem befürchten Beobachter undichte Stellen beim LKA. Im März 2018 soll ein Polizist mit einem vorbestraften Neonazi in einer Kneipe am Tisch gesessen haben, danach mit ihm in ein Auto gestiegen sein. Ohne dabei im Dienst gewesen zu sein.
Wer die Soziotope von Neuköllns rechten Straftätern erleben will, muss in die U7 steigen, die U-Bahn-Linie, die Neuköllns Szene-Viertel mit den unscheinbaren Gegenden des Bezirks im Süden wie Buckow, Britz und Rudow verbindet. Dort lebt seit jeher vor allem eine traditionelle, weiße Gesellschaftsschicht. Ein Berlin der Deutschlandfahnen und der Jägerzäune. Rechtsextremisten steigern sich dort in ihren völkischen Wahn. Die Verdächtigen, gegen die ermittelt wird, waren dort ebenfalls aktiv. „Eine Hochburg der rechten Szene“ sei diese Gegend, sagt Simon Brost, ein Experte der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Schon vor der Wende zogen im Süden Neuköllns martialische Schlägertrupps durch die Straßen, mit Namen wie „Berliner Türkenbeseitigungs Gang“, „Britzer Befreiungsfront“ oder „Terrorbande Wutzkyallee“. Ein Brennpunkt ist die Rudower Spinne, eine Straßenkreuzung vor der Kulisse von Mietshäusern. Dort haben Rechtsextremisten in den vergangenen Jahren Infostände von CDU, SPD und Linkspartei angegriffen. An Stromkästen und Laternenpfählen sind immer wieder Nazi-Symbole geschmiert worden.
In dieser Umgebung ist 2012 auch Burak Bektaş ermordet worden. In Kneipen trifft sich nun die Bezirks-AfD. „Hier hat es lange Zeit nur wenig Widerspruch aus Politik und Zivilgesellschaft gegeben“, kritisiert Brost von der Mobilen Beratung. Inzwischen haben sich die Initiativen „Hufeisern gegen Rechts“ und „Bündnis Neukölln“ gegründet. Aber die Angst, sie bleibt.
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