Eigentlich verspricht die Jahreszeit jetzt Anfang Dezember nur kurze Rendezvous mit dem Winter. Spätestens bis zum Mittag hat sich der gefallene Schnee in Wasser verwandelt und lässt das Land dann wieder in gewohntem Grau erscheinen. In diesem Jahr ist es anders. Die winterliche Pracht, welche gewöhnlich nur die Höhenlagen des Harzes, gleich hier in meiner Nähe, in eine märchenhafte Kulisse zu verwandelnvermag, hat die Täler überrollt und die noch nicht ganz beseitigte Unordnung auf dem Hof hinterm Haus mit ihrer weißen Ordnung übermalt. Wie kleine Soldaten stehen die Zaunpfähle mit von Frau Holle gestrickten Mützen da. Dahinter auf dem Teich, haben sich die Enten ganz eng zusammengezogen und halten durch ihre Bewegung die von den Weiden geschützte Stelle frei von Eis. Das kratzende Geräusch der Schneeschieber meiner Nachbarn durchdringt die Stille und breitet sich über die Straße aus. Der eisige Wind trägt die fröhlichen Stimmen der rodelnden Kinder aus dem angrenzenden Wald heran. Nebenher treibt er die leichten, glitzernden Schneekristalle vor sich her und hinterlässt eine dünenartige Landschaft, die mich an den Ostseestrand erinnert. Gerade noch rechtzeitig habe ich die Filteranlage am kleinen Teich an der Terrasse abbauen können, das Wasser aus den Schläuchen entweichen lassen. Über mir flogen eilig die letzten Kraniche, wahrscheinlich von Rügen kommend,in der gewohnten Formation lauthals kreischend, eilig sonnigeren Temperaturen entgegen. Sie haben den Instinkt der Notwendigkeit des Weges und seine Richtung Süden in ihren Genen. Spät dran in diesem Jahr sind sie, denke ich und schicke ihnen einen guten Weg gedanklich hinterher. Gern würde ich es ihnen gleich tun, den Winter in der spanischen Extremadura unter Steineichen oder noch weiter im Süden verbringen. Zu schön sind die Erinnerungen an diese Landschaft.
Irgendwie freue ich mich schon jetzt auf ihre Rückkehr im Frühling, wenn die Kraniche steigende Temperaturen und den erneuten Farbwechsel verkünden. Bis dahin bleiben mir hoffentlich einige Abende, an denen ich genug Zeit und Muße finde, mich vorm knisternden Kamin sitzend, wie einst Descartes, mit meinen Gedanken zu unterhalten oder wie Plato es formulierte, mich im Selbstgespräch mit der Seele zu üben. Ist es nun möglich sich auch mit den Gedanken solcher Denker in ihren hinterlassenen Zeilen zu unterhalten? Kann ich die heutige Welt dabei vielleicht durch ihre Augen sehen? Dies scheint mir wesentlich nachhaltiger für die Züge meines eigenen Gemäldes, als mich der unerträglichen Leichtigkeit des Seins hinzugeben. Das Leben an der Oberfläche mehr oder weniger genießend und kurzen Glücksempfindungen hinterher jagend, wenn man so will. Die von uns Menschen geschaffenen Wortgebäude sind zuweilen von hohem Standund großem Raumangebot, obgleich sie sich in der Welt dann wieder leicht zu verlieren scheinen.Freilich beschleicht mich die Furcht dabei, mich besonders in den Wortgebäuden gleichsam verlieren zu können, während ich mich dieser großen Welt noch nie verlaufen musste. Irgendwie ein Zwiespalt. Ist es das, was die Ruhelosigkeit meiner Gedanken bestimmt? Oder ist es das Gefühl, dass manches Wort und mancher Sprecher nicht das verheißen, was sie eigentlich versprechen? Wenn aber die Sprache der Dolmetscher unserer Seele ist, wie M. Montaigne in seiner Essays schreibt, und es um die sozialen und kulturellen Bande schlecht bestellt sei, da die Wahrhaftigkeit ihren Bestand verlöre? Wie viel ist die Sprache dann noch wert? Schließlich teilen wir unsere Gedanken, unser Empfinden und Verlangen durch bloße Worte mit, wenn einmal von der Mimik und Gestik absieht.Daraufhin richten unsere Handlungen ein. Wenn die Wahrheit also wenigerin dem besteht,was ist, als darin, wovon man andere zu überreden sucht, so wie wir nicht nur das Münze nennen, was naturgemäß ausgeprägt ist, sondern auch die gefälschte, welche sich heimlich dazu gesellt, wohin führt dann unser Weg? Anstelle der Wahrhaftigkeit ist die Verstellungskunst getreten und die Gesellschaft dadurch zu einem immerwährenden Maskenballgeworden. Je bunter das Kostüm, desto mehr Zuschauer klatschen ihm Beifall! Und umso mehr Beifall, desto inniger verschmilzt das Kostüm mit seinem Träger.
Ich versuche nun Montaigne Gedankenwelt zu verlassen und in meine eigene zurückzukehren, soweit man dies überhaupt behaupten kann. Denn eine Frage tut sich dabei auf,woherweiß ich, was ich denk? Wann bin ich wirklich bei mir selbst, frage ich mich öfters und eine mir sehr nahestehende Person manchmal laut. Es sind wahrscheinlich jene Momente, in denen ich das Wahrnehmen vergesse und rein im denken verharre. Descartes Ansatz „Ich denke, also bin ich“ scheint mich an dieser Stelle eher in die Irre zu leiten. Er nützt mir höchstens zu einem theoretischen Beweis meines Seins. Erst seit ich nicht mehr sein will, bin ich wirklich! Dieses entspricht eher den Ansichten Krishnamurti, der die innere Freiheit für das wichtigste Gut hielt. Keine zwölf Männer hätte die Geschichte hervorgebracht, die ihr ganzes Leben hindurch ein und dasselbe geblieben wären, schreibt Montgaigne an anderer Stelle seines Buches.Dieses ist nicht verwunderlich, werde ich doch täglich, ja stündlich ein anderer, gleich dem Baume, der beständig an Jahresringen zulegt. Das hatte er auch nicht gemeint. Er sprach von der Geradlinigkeit unserer Handlungen. Dass sie sich die gesamte Zeit hindurch, die wir sind, an denselben Grundfesten ausrichten, wie der Hund, der unablässig einer Spur folgt. Wer könnte sich heutzutage schon dessen rühmen?
Ich stelle leicht bestürzt fest, es ist gar nicht so einfach, in die eigene Gedankenwelt einzukehren. Ein Gedanke ist wie ein Samen. Er kommt daher geflogen, setzt sich, beginnt zu keimen und vervielfältigt sich. Es kann sein, dass ganz was Neues daraus wird. Fange ich erst einmal beim Wort an. Schließlich steht es am Anfang, sagt der Gläubige. Ein anderer meint wohlmöglich, dort am Anfang stehe der Wunsch sich auszudrücken, sich seinesgleichen mitzuteilen.Aber das Wort kann auch am Anfang stehen, in der Form, es als Motto, besser gesagt als Ziel zu betrachten. Wie einen Ort, den ich erreichen möchte und wenn ich an ihm verweilen will, muss ich ihn verstehen lernen. Ein Grundgesetz der Natur, wie mir scheint. Worte haben wir viele erschaffen und der Raum, in den wir sie tun, wächst beständig.Wir unsererseits wachsen mit ihrem Klang auf, ohne uns um ihre tiefere Bedeutung zu bekümmern. Sie gehen uns in Fleisch und Blut über, so dass wir selten etwas bedenken, bevor wir es aussprechen, was uns zuweilen zur Reue bewegt. Mit manchen Worten gehen wir sehr leichtfertig um, wie ich meine. Bewusstsein ist ein solches. Wir rühmen uns damit und schreiben dieses allein unserer Art zu. Dabei kann man doch höchstens von Bewusstseinszuständen sprechen, die sich den jeweiligen umgebenden Bedingungen anpassen. Seien sie gesellschaftlicher oder natürlicher Art. Das Bewusstsein kann auch in einen Glauben münden. Und wenn die Religion als Glauben nichts mehr herzugeben scheint, dann macht sich ein anderer Glaube an seiner Stelle breit. Es kann sich dabei um den Glauben an ein System handeln, eines was bspw. auf einer Ideologie basiert. Nun kann diese Ideologie auch auf einem durch und durch, materialistischen Weltbild aufbauen, welches größtenteils von den Kapitalströmen bestimmt wird. Man wird es aufgrund freier Wahlen trotzdem Demokratie nennen und von Freiheit sprechen, obgleich das Geld weit mehr als nur diese Wahlen beeinflusst. Fällt denn das Einrichten unserer Handlungenzum Gelderwerb in das enge Feld des Bewussten? Das was alle tun, ist nicht auffällig, muss demzufolge nicht überdacht werden. Um auf den einzelnen zurückzukommen, so kann es sich zutragen, dass mancher erst in eine Bewusstlosigkeit fallen muss, um überhaupt zum Nachdenken über sich selbst und seinen Bezug zu seiner Umwelt nachzudenken und daraufhin zu einer Art Bewusstsein zu gelangen. Beanspruchen der Glaube und das Bewusstsein denselben Platz im Kopf des Menschen? Und kann deshalb nur eines der beiden vorherrschend sein? Wo überschneiden sie sich, oder ist es das gleiche? Es mag nicht leicht sein, sich dem Kern der Dinge zu nähern und die Erkenntnisse daraus anderen mitzuteilen. Die Bilder, die ich dazu habe, existieren nur in meinem Kopf. Und die Mittel der Sprache sind beileibe begrenzt. Deshalb kommt es, dass ich eigentlich ganz allein da stehe und oft denke: „Ja seht ihr es denn nicht auch?“ Wann war ich einst hinausgeschwommen auf dieses weit abgelegene Meer und wofür eigentlich? Ist es wie der Weg in den Süden bei den Kranichen, in mir drin? Das Leben kennt keine Bestimmung und doch fühlen wir da was, etwas was sich nicht erklären lässt.
Was habe ich nun im Buch des Lebens über mein eigenes Bewusstsein gelesen? In meinem Buch? Hier komme ich wieder an den Anfang des Blogs. Sollte ich es beschreiben, so würde ich von einem aus der Bahn geratenen Bestandteil des großen Ganzen sprechen. Es versucht sich, in die große Ordnung der Natur, ja des Universums zu fügen. Dabei rotiert es um seien Mittelpunkt. So gesehen ist es nichts und doch für mich ist es alles! Ich bin Ureinwohner, der Einklang sucht und zerstörerische Zivilisation in einem. Manchmal empfinde ich mich wie ein Abbild des scheinbar ungeordneten Chaos des Weltalls. In einem Moment betrachtet, kreist alles wild durcheinander, aber je länger ich es ansehe, umso mehr tut sich eine Ordnung dahinter auf. Doch wer hat heutzutage schon die nötige Zeit dafür? Es gibt Planeten, die in ähnlicher Entfernung um eine Sonne kreisen, wie die Erde und diese glühen förmlich oder erstarren vor Frost. Ich bin mir der Zufälle, des Glücks, die uns hervorgebracht haben durchaus bewusst. Daran richte ich mich aus. Wir alle sollten dies zu schätzen wissen.
Und was ist mit der Gesellschaft? Das ist mehr eine äußere Welt für mich, die mit meinem Bewusstsein nichts zu tun hat. Mit der Essenz des Lebens habe sie im Grunde wenig gemeinsam. Rahmenbedingungen, die sich jederzeit ändern können. Aber ich lebe in ihr und von ihr und deshalb kann es mir ebenfalls nicht egal sein, was dort vor sich geht. Folgendes Zitat von Satre, scheint mir, wenn ich mich so umsehe, ein wenig zu wörtlich genommen!
„Wenn die Welt im Ganzen schon keinen Sinn macht, so steht es mir doch frei, meinen eigenen Sinn zu stiften. Als Work in Progress kommt, verweilt und geht er mit dem einzelnen Menschen.“
Wir sollten darüber nachdenken……..
Kommentare 8
Hallo Philoron ! Dieser Montaigne wird mir immer sympatischer ! Mal sehen, wo ich noch mehr über ihn finde !
Zu dem letzten Satz: Und wenn wir diese Freiheit nicht wahrnehmen, unseren eigenen spezifischen, individuellen Sinn zu stiften, leben wir nicht, sondern vegetieren nur.
LG
Man könnte ihn als einen guten Lehrer bezeichnen, obgleich es sich manchmal nicht leicht liest. Ist ja auch schon ein paar Jahre alt und Philosophie ist eben generell keine leichte Kost, man muss sie schon mögen. Es gibt noch ne Menge anderer, ich will sie mal Klarseher nennen. Alles was für eine bessere Welt bräuchte, steht bereits geschrieben. Es muss nur im Herzen der Menschen ankommen!
Der individuelle Sinn darf sich nicht zu sehr am Egoismus ausrichten, so wichtig er auch ist. Die Gemeinschaft braucht auch Gemeinschaftssinn. Man kann lernen auch daraus, gerade daraus Gutes zu ziehen.
LG
Lieber Philoron, man kann Deinen Blog wirklich nicht im Schnellverfahren konsumieren. Da gibt es so viel zu sagen. Ich pick mir mal einfach etwas raus, was mir besonders am Herzen liegt:"Anstelle der Wahrhaftigkeit ist die Verstellungskunst getreten und die Gesellschaft zu einem immerwährenden Maskenball geworden." Es wird mit den heutigen Mitteln immer schwerer, diese Masken zu erkennen, geschweige denn, denjenigen, der sie trägt. Und meine eigene Maske? Das ist am schwersten. "Wann bin ich wirklich bei mir selbst?" Ist das überhaupt möglich, ohne eine Maske zu leben? Leben wir mit falschen Axiomen? Mit dem einer Freiheitsmöglichkeit für den Menschen? Die Chaostheorie ist dabei auch nicht uninteressant. Immerhin Mathematik. Sie sagt: Systeme fallen auseinander und ordnen sich neu. Wir müssen hypothetisieren, warum die Systeme auseinander fallen. Ich sage, wenn sie sich aus irgendeinem Grund als unsinnig erweisen. Sie fallen in ihre kleinsten Teile auseinander, die sich einzeln wieder zu neuen Systemen formen. Es braucht also Einzelne, die andere Einzelne suchen, um ein neues System zu bilden. Und wenn das in der Mathematik so ist, warum nicht auch in der menschlichen Gesellschaft?
dumm und ignorant der, der den abklatsch der wirklichkeit für die wirklichkeit hält. ich bin ja eher pragmatisch als philosophisch eingestellt, aber solche blogs sind doch gut für sie seele. punkt 2: verrückt, entrückt, das ist das schöne an der sprache, fand ich schon als kind, wie schön, dass kleine worte ganze zustände so treffend erklären können. lg
Was ist die Wirklichkeit, wenn jeder seine eigene hat? Ist sie nichts weiter als der ganze Wust von den subjektiven Empfindungen jedes einzelnen, zusammengewürfelt in einem Topf? Die gemeine Denkungsart schließt sich einem BIld über die allgemein gültige Wirklichkeit an, die mich eher an eine große Illusion erinnert. Ein Zitat besagt "Geschichte ist diejenige Lüge, auf die man sich geeinigt hat." Ist es mit der Gegenwart nicht ebenso?
LG
"Erst seit ich nichtmehr sein will, bin ich wirklich". Diese Wahrheit ist mir offenbar geworden als "twen" nach einer langwierigen, familiär bedingten Psychose, die aber so eine Art Feuerprobe war. Ich hörte unaufhörlich Stimmen damals in meinem Kopf und es hat noch Jahre gebraucht, bis sich das ganz verloren hatte. Aber in diesen Jahren ist eines Tages ganz klar die Erkenntnis aufgetraucht, dass ich schon sehr lange unnötig und belastend ein Bild meiner Selbst vor mir her getragen hatte, das ich zwanghaft glaubte, erfüllen zu müssen und natürlich nie erfüllen konnte, sondern mich damit selbst immer nur beschnitten und verhindert hatte.
Diese Art Zwangsvorstellungen wurden aber auch begünstigt durch unsere westliche Leistungsgesellschaft, die ja jetzt auch am kollabieren ist. Dass damals so viele Hippies, so viele "Wahrheitssucher" nach Indien gereist sind, kann man als Modeerscheinung sehen. Aber jede Modeerscheinung hat auch ihren tiefen Grund, wie alle anderen Erscheinungen und heute weiß ich genau, dass die östliche Art der Lebensanschauung die heilsamere ist und dieses Heil haben die Menschen damals umso verzweifelter gesucht ! Ich denke, die ganze Menschheit muß sich in diese geistige Richtung bewegen, um wieder zu heilen.
hmm, also ich meinte das eher in richtung gehend, dass man sich anstatt sich eine eigene meinung zu bilden die meinung von den medien, tv usw. geben lässt, wie gesagt, ich bin weniger philosophisch, eher naturell angelegt, weswegen ein spaziergang manchmal mehr bewirken kann als grübelei, auch wenn der mensch natürlich auch ein kopfwesen ist. in der westlichen konsumwelt kann man vor lauter "ware" manchmal das wesentliche nicht (mehr) sehen und verirrt sich im überflüssigen. die ureinwohner amerikas zum beispiel haben ja eine große faszination auf mich, die straheln etwas ureigenes aus, etwas weises. da ist das gequatsche einiger selbsternannter wissenden (siehe forum hier) wirklich ein echter kinderpups dagegen. lg
Schwierige Frage, wann ich wirklich bei mir selbst bin. Gehe ich denkend an die Sache heran, würde ich es mit Hilfe der Transaktionsanalyse betrachten und könnte mich darauf hin schin einordnen. Aber ob das so erfolgreich ist? Es mit der eigenen Wahrnehmung zu versuchen, scheint mir erfolgreicher. Wenn ich inne halte, mich darauf konzentriere, was spüre ich dann? In der Woche wenn mich die Dinge um mich herum einnehmen, ist es etwas ganz anderes, als an freien Tagen. Die Differenz zwischen beiden Zuständen sagt viel aus. Dort kann ich ansetzen. Inwie weit bin ich von fremden Reizen eingenommen, könnte ich mich dabei fragen.
Masken erkennen, das ist auch eine Frage des Gespürs, Intuition. Obwohl ich den ganzen Tag darüber nachgedacht habe, kann ich es kaum erklären. Um so mehr ich denke und doch nicht zu einem Ergebnis komme, desto mehr muss ich annehmen, dass das wirklich Gefühlte kaum mitteilbar ist.
Das Hier und Jetzt ist wichtig- zu oft entgleitet es mir......
LG