Aus der Heimat, weit weit weg!

Heimat verlassen für Birhat (damals 11 Jahre) kommt die Zeit des Abschiednehmens

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Nachdem wir wieder nach Baadre zurück gekommen waren, haben wir wieder ganz wie vorher gelebt, oder fast. Ich habe wie früher unsere Ziegen und Schafe auf die Wiesen geführt. Mir kam alles ganz normal vor, obwohl an der Stelle zu der ich mit den Tieren gegangen bin, Landmienen gefunden wurden. Diese Landmienen waren dort liegengelassen worden, weil niemand sie entschärfen konnte.

In unserer Schule wohnten Familien, die aus Shingal geflohen waren. Deshalb gab es dort eine lange Zeit keinen Unterricht mehr. Die Erwachsenen haben über die Gefahr von Daesh nicht gesprochen, zumindest nicht mit uns Kindern. Rund um die Stadt gab es Straßensperren, die von Soldaten kontrolliert wurden. Einmal haben Kämpfer von Daesh versucht mit Sprengstoffgürteln am Körper nach Baadre hinein zu kommen. Die Soldaten konnten sie aber aufhalten.

Ein paar Monate später hat man mir gesagt, dass mein ältester Bruder Sirwan nach Deutschland gehen wird. Gemeinsam mit anderen aus der Stadt hat er sich auf den Weg gemacht.

Auch mein Bruder Sherzad, der damals elf Jahre alt war ist später, zusammen mit einem Onkel und dessen Familie nach Deutschland gegangen. Wir haben Sherzad mit dem Auto in die Nähe der Türkischen Grenze gebracht. Dort war der Treffpunkt. Zu Fuß sind sie über Schleichwege gelaufen um nicht am Grenzübergang kontrolliert zu werden. Um nicht entdeckt zu werden, sind sie nur in der Nacht gegangen. Später hat mir Sherzad erzählt, dass sie sich verlaufen hatten und nach zwei Tagen wieder am Ausgangspunkt gelandet waren.

Zwei Jahre später konnte auch ich, mit Mutter und kleinem Bruder nach Deutschland kommen. Wir mussten nicht zu Fuß gehen oder uns in Lastwagen verstecken, sondern konnten direkt mit dem Flugzeug von Erbil nach Düsseldorf fliegen.

Mein Bruder Sherzad hatte uns am Telefon erzählt, dass es auch in Deutschland viele Jesiden gibt. Deshalb hatten wir erwartet in Deutschland genauso wie im Irak, in einem jesidischen Dorf leben zu können. Mit Schafen und Ziegen und einer Schule nur mit kurdischen Kindern. Aber es kam ganz anders ..

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Geschrieben von

Philipp Tenta

österreichischer Komponist und Autor. Kulturrezensionen für die Neue Westfälische. Betreut seit 2015 minderjährige Flüchtlingee

Philipp Tenta

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