Aus der Heimat, weit weit weg! (1/8)

Erinnerungen aus dem Irak Eine spannende Geschichte als Aufgabe im Lockdown? Seitdem schreibt Birhat Alshaibo (15 Jahre) über seine Kindheit in einer jesidischen Kleinstadt.

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1. Der rote Mond

Manche Sachen machen uns krank, durch andere werden wir wieder gesund. Wenn man in Deutschland krank wird, geht man zum Arzt oder zu Apotheke. Danach nimmt man Medikamente, bleibt zu hause, sieht fern und hofft bald wieder gesund zu werden. Im Irak hatte ich das ganz anders in Erinnerung. Wenn es mir nicht gut ging, holte ich mir meistens Rat und Hilfe bei meiner Großmutter. War ich erkältet, machte sie Wasser zum Inhalieren heiß, danach hat sie eine Decke über meinen Kopf und den Wassertopf gelegt und ich musste den heißen Wasserdampf einatmen.

Unsere Famlilie hatte durch ihre Heilkräfte eine ganz besondere Aufgabe in unserer Gemeinschaft. Beim Monatswechsel wurden Kinder sehr oft krank und wurden zu meiner Großmutter gebracht. Mit Ruß zeichnete sie ihnen Kreuze auf Stirn und Brust, Ringe um die Handgelenke. Danach ging es ihnen immer viel besser, davon bin ich fest überzeugt. Sie wusste auch sehr genau welche Pflanzen bei Krankheiten helfen.

Meine Familie ist durch ihre Heilkräfte bekannt geworden. Einer meiner Vorfahren, Hasne Sharaf Alshaibo Hawiri war sogar von Geburt an unverwundbar! Später wurde er deswegen als Held berühmt. Als Soldat kämpfte er immer furchtlos in der erste Reihe, weil er vor den Gewehrkugeln der Feinde keine Angst haben musste. In Armenien wurde sogar ein Denkmal errichtet, das an ihn erinnert.

Es ist wichtig Mittel zu kennen die uns gesund machen können, aber vielleicht ist es noch wichtiger uns gegen Dinge die krank machen zu schützen. Im Irak sind wir überzeugt, dass der rote Mond ein Vorbote und Verursacher von schlimmen Krankheiten ist. Es soll einen Haifisch im Himmel geben, der den Mond verletzt und er deswegen zu bluten beginnt. Man weiß aber nie wann das passieren wird. Sobald der rot gefärbte Mond am Himmel erscheint, weiß jeder was zu tun ist. Die Kinder schlagen auf Töpfe und Straßenlaternen, machen Lärm um den Himmelshai zu verjagen. Erwachsene meiner Familie machen in der Zwischenzeit ein Tuch nass und hängen es ins Mondlicht. Das ist unsere Familienaufgabe. Sobald später Menschen aus der Nachbarschaft erkranken, wird dieses Tuch noch einmal nass gemacht und ihnen auf den Kopf gelegt. Danach werden sie schnell wieder gesund.

Auch in Deutschland hatten wir einmal den roten Mond gesehen und meine Mutter hat, wie im Irak sofort ein nasses Tuch aufgehängt. Als mein kleiner Bruder später krank wurde, hat ihm dieses Tuch wie auch früher im Irak geholfen. Ich glaube aber nicht, dass so ein Tuch auch gegen den Coronavirus wirken kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Philipp Tenta

österreichischer Komponist und Autor. Kulturrezensionen für die Neue Westfälische. Betreut seit 2015 minderjährige Flüchtlingee

Philipp Tenta

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