Im Zwiegespräch mit dem Selbst

Fotografie Vor 15 Jahren hat sich der indische Fotograf Sankar Sarkar zum ersten Mal mit seiner Kamera auf die Suche nach der eigenen Geschichte gemacht. Ein Interview

Sankar Sarkars einfühlsame Bilder strahlen Intimität, Lebendigkeit und Emotionen aus – und auf den zweiten Blick stellen viele von ihnen versteckte Fragen.

Sankar Sarkar, dein Portfolio ist voller eindrucksvoller Bilder von Menschen, aufgenommen in Momenten der Intimität. Wie erzeugst du solche Nähe zu deinen Motiven?

Der einfachste Weg, sich Menschen zu nähern, ist, zunächst ein freundliches, unverfängliches Gespräch mit ihnen zu beginnen, Interesse an ihrem Leben zu zeigen, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Manchmal sagen Menschen auch "Nein" zu mir, aber ich halte das Gespräch am Leben, damit sie wissen, dass mein Interesse an ihnen aufrichtig ist. Am Ende ändern sie entweder ihre Meinung und erlauben mir, Fotos von ihnen zu machen, oder ich gehe zum nächsten Thema über.

Apropos Intimität: Seit dem Jahr 2000 arbeitest du an einem Foto-Projekt, dass deine Mutter porträtiert. Sie wurde Opfer von Menschenhandel und darüber zur Prostituierten als du noch ein Kind warst. Kannst du uns ein wenig über Facing one’s own erzählen?

Facing one’s own reflektiert den Dialog mit meiner Mutter über meine Kamera - zuvor lebten wir an unterschiedlichen Polen. Sie wurde von Menschenändlern von Sethbagan nach Malkangiri im Bundesstaat Orissa – wo ich geboren wurde –verschleppt, und dort zur Prostituierten.

Auf der Suche nach meiner Mutter kam ich mit meiner Großmutter nach Kolkata. Anfangs war es eine Phase der Entfremdung für uns beide – meine Mutter, Kavita und mich. Die Fotografie vereinte uns wieder, deshalb nenne ich es einen Dialog über die Kamera. Ich mochte ihren Beruf nicht, und das war ein offensichtlicher Aspekt unserer Beziehung. Aber nach und nach wurde mir klar, dass unsere fragile Verbindung eng und stark werden könnte. Je mehr Fotos ich von meiner Mutter machte, desto mehr gelang es mir, die Entfremdung zu überwinden. Es ist eine Herausforderung für einen Sohn, solche Bilder von seiner Mutter zu machen, denn er ist kein Außenseiter und er bricht auf diese Weise mit Stigma und Tabu. Eine ebenso herausfordernde Aufgabe war es, als „Insider“ an dem Ort zu fotografieren, wo ich lebte.

Die zwischenmenschliche Beziehung zu meiner Mutter ist nach wie vor kompliziert. Sie hat einen emotionalen sowie einen institutionellen Aspekt. Mit meinen Bildern habe ich versucht, die zwischenmenschliche Beziehung zu meiner Mutter einzufangen.

Wann hast du überhaupt beschlossen, Fotograf zu werden, und weshalb?

Meine fotografische Reise begann im Jahr 2000 über ein UNICEF-Projekt namens "Empowering Sex Workers’ Children through Photography"; nämlich genau in dem Moment, in dem der Projektarbeiter unsere Gegend besuchte und mir eine kleine, kompakte Analogkamera gab. Er bat mich, damit meine Mutter und ihre Umgebung zu fotografieren. Er brachte uns damals alle möglichen technischen Fähigkeiten bei, zum Beispiel Bildkomposition.

Wie würdest du heute die perfekte Ausgangssituation für das perfekte Foto beschreiben?

Die perfekte Situation aus dem Unvollkommen schaffen zu können, das ist alles, was zählt.

Welches deiner eigenen Bildern kommt dem perfekten Foto am nächsten? Weshalb?

Es gibt tatsächlich zwei Bilder, die mir dabei einfallen: ein Selbstporträt mit meiner Mutter, das mich daran erinnert, wie weit ich während meiner Kindheit von ihr entfernt war. Das andere ist eines, auf dem ich mit einigen Kindern abgebildet bin, das mich zurück in die Tage meiner Kindheit versetzt.

Sankar Sarkar ist Mitglied von Drik India und Majority World. Über Photocircle unterstützt er ein Projekt des Barefoot College in Indien.

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Geschrieben von

Katrin Strohmaier | Photocircle

Sprachrohr von Photocircle mit Faible für Entwicklung, Kunst & Menschenrechte

Photocircle

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