Die Müllwerker der Medienbranche

15 Jahre „Altpapier“ Wenn die Emotionen hochkochen, sind Medien-Watchblogs ein wichtiges Korrektiv
Ausgabe 47/2015
Wirklich altes Papier
Wirklich altes Papier

Foto: Cord/Imago

Dort, wo Emotionen hochkochen, den Deckel drauf setzen. Wo unsauber gearbeitet wird, mit klaren Fakten dagegenhalten. So könnte man die Rolle von Medien-Watchblogs beschreiben. Ein paar Tage nach den Anschlägen in Paris kritisierte zum Beispiel Telepolis, wie Live-Ticker minütlich Neues über die Hintergründe der Tat melden und auf Facebook Profilbilder in der Trikolore eingefärbt werden, während Anschläge in Bagdad, Beirut oder selbst in der Ukraine nach einem Tag in Vergessenheit geraten. Zeigen die Europäer also nur selektives Beileid und forcieren die Medien diesen Trend?

Medien-Watchblogs analysieren in solchen Situationen die Rolle der Presse. Sie sind nah dran an den klassischen Medien und deren Redakteure gründen gelegentlich sogar Watchblogs. An dem eigentlichen Geschäft der Medien sind sie aber nicht beteiligt. Denn sie informieren nicht einfach, sondern informieren darüber, wie informiert wird. Informieren hoch zwei also. Die Nase halten sie dabei auch gelegentlich hoch.

Medien-Watchblogs gibt es in Deutschland seit Beginn der 2000er. Sie waren zunächst die kritischen Begleiter der Medienseiten der Tageszeitungen, die um diese Zeit herum entstanden. Das Altpapier ist der älteste Medien-Watchblog in Deutschland. Christoph Schultheis gründete es im Jahr 2000, seitdem erscheint es täglich von montags bis freitags im Internet und kommentiert ironisch bis kritisch das deutsche Mediengeschehen. Diesen Monat wird das Altpapier 15 Jahre alt. Besonders für ein Medien-Watchblog ein wirklich altes Papier also. Und der Name passt. Schließlich geht es bei den Medien-Watchblogs gerade nicht darum, ständig neues Papier mit bunten Bildern und Geschichten zu produzieren. Wenn andere nach den vulkanartigen Berichterstattungen schon „zur Normalität zurückkehren“, fängt bei Watchblogs wie dem Altpapier die Arbeit an: Sie kramen im Mülleimer der Medienbranche, um das Geschriebene dann mit einer gewissen Distanz neu zu verwerten.

Nicht nur die journalistische Sorgfalt macht die Arbeit beim Altpapier mühsam. Der Tag dort beginnt laut einem ehemaligen Mitarbeiter um sechs Uhr früh. Mit dieser Haltung war es Vorreiter für spätere beliebte Watchblogs wie den Bildblog, der 2004 entstand. Die B-Blog Gbr gründete übrigens Altpapier-Erfinder Schultheis zusammen mit dem Medienjournalisten Stefan Niggemeier. Die Medienkrise hat das Altpapier gut überstanden, sein Alleinstellungsmerkmal hat es durch die vielen weiteren Watchblogs nach und nach verloren. Kritischer als die anderen ist es immer noch. Seit 2010 erscheint es unter dem Dach des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik.

Diese Woche widmet sich auch das Altpapier den Anschlägen in Paris. Im Eintrag Betroffenheit und Nähe analysiert Juliane Wiedemeier die Berichterstattung der ARD im Krisenfall und wieso die Pariser Anschläge so viel Aufmerksamkeit absorbieren. Ach ja, die Öffentlich-Rechtlichen und die Lügenpresse, wichtige Themen für die Medien-Watchblogs in den letzten Jahren. Das Renommee war beim Altpapier allerdings schon vorher da. Zum Beispiel in Persona von Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung, der 2006 anlässlich der 2000. Ausgabe einen prominenten Gastauftritt hatte. Außerdem war das Altpapier mehrmals für den Grimme Online Award nominiert. Verdient gemacht hat es sich auch ganz ohne Pokal. Sorgfalt schillert nicht.

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Geschrieben von

Pia Rauschenberger

lebt in Berlin. Schreibt in Berlin. Und über die Welt.

Pia Rauschenberger

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