Ideal und Realität klaffen bekanntlich oft auseinander. Besonders dann, wenn es um die Gleichberechtigung in Beziehungen geht. Und vor allem nach der Geburt des ersten Kindes. Wer arbeitet wie viel? Wie hatten wir uns das eigentlich mal vorgestellt? Eine neue Studie des Delta-Instituts hat 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums nun untersucht, wie die unterschiedliche Sozialisierung in Ost- und Westdeutschland die Antworten auf diese Fragen beeinflusst. 3.000 Menschen wurden dafür befragt. Wie groß die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit ist, kann einen als junge Frau dabei erschaudern lassen. Laut Studie ist die eindeutige Mehrheit in Ost- und Westdeutschland daran interessiert, dass beide Partner in einer Beziehung grundsätzlich gleichberechtigt sind. Nur: In Westdeutschland sind Mütter unter 40 nur zu 17 Prozent berufstätig, in Ostdeutschland sind es immerhin noch 40 Prozent.
Ein Teilergebnis der Studie deutet einen Backlash bei den Einstellungen im Osten an. Bei ostdeutschen Frauen unter 40 Jahren ist das Interesse an Gleichstellung deutlich niedriger als bei älteren ostdeutschen Frauen. Nur 41 Prozent der unter 40-Jährigen wollen eine gleichgestellte Partnerschaft im Gegensatz zu 60 Prozent der über 40-Jährigen. Als Rolle rückwärts und Retraditionalisierung interpretieren die Autoren diese Zahl. Dagegen stehen junge ostdeutsche Männer plötzlich als emanzipatorische Kraft da: 68 Prozent von ihnen bevorzugen eine gleichgestellte Partnerschaft, auf das traditionelle Modell lassen sich nur 17 Prozent ein. Sind Männer nun also die Triebfeder der Emanzipation, die entmutigte junge Frauen zu neuen Taten inspirieren müssen? Die Autoren der Studie schätzen diese Frauen als ernüchtert und desillusioniert in Bezug auf Gleichstellungschancen ein. Sie würden Misserfolge meiden. Vielleicht sind sie auch nur in der gesamtdeutschen Realität angekommen und geben sich ganz pragmatisch, weil ungleiche Chancen auf Führungspositionen und ungleiche Bezahlung keine große Lust auf die Doppelbelastung durch Job und Kinder machen. Die Autoren interpretieren die Zahlen aber anders: Ostdeutsche Frauen hätten durch die Wiedervereinigung die Vorzüge des traditionellen Modells kennen und schätzen gelernt. „Hier wächst auch der Wunsch nach Variationen der Lebensform in Distanzierung von jenem früher staatlich vorgegebenen Standardprogramm der Lebensform“, heißt es.
Dabei fällt auf: Die Wissenschaftler bieten selbst nur eine begrenzte Anzahl von Variationen in ihrem Fragebogen an. Wie beliebt ein Modell wäre, in dem beide Partner Teilzeit arbeiten und sich gleichberechtigt um die Kinder kümmern, wird gar nicht abgefragt. Dass junge, ostdeutsche Frauen der Vollzeitarbeit scheinbar abgeschworen haben, muss aber nicht zwingend bedeuten, dass sie eine gleichberechtigte Partnerschaft nicht bevorzugen würden. Es ist schon verwunderlich, dass die Autoren alle möglichen Spielarten der Aufteilung zwischen Beruf und Familie abfragen – außer dieser, die doch am ehesten dem Ideal der Gleichberechtigung entsprechen würde.
Dabei ist Familienministerin Manuela Schwesig mit ihrer Idee von einer Familienarbeitszeit doch nah dran an einer solchen Version der Gleichstellung. Vielleicht drückt sie als junge ostdeutsche Frau damit eher die Ideale vieler junger ost- genauso wie westdeutscher Frauen aus, als die Studie es schafft – obwohl das Bundesfamilienministerium die Wissenschaftler beauftragt hatte. Im Sinne der Gleichstellung ist deshalb zu hoffen, dass Schwesig sich jetzt wieder vor allem auf ihre Ideale konzentriert.
Kommentare 3
Wie nun? An was nun machen Sie das mit dem mangelndem Interesse der Frauen an einer gleichgestellten Partnerschaft fest, Frau Rauschenberger? Am Wunsch nach Berufstätigkeit? Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?
Delta-Institut?
Ach so, dieses: http://www.delta-sozialforschung.de/
Studie?
Ach so, diese:
http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=219632.html
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung4/Pdf-Anlagen/jahresbericht-einheit-gleichstellung,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf
Interessant auch das Fazit der Studie (auch wenn es manchen hier wohl nicht gefallen mag:
"Die Situation von Frauen in der DDR erfährt heute von der Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung eine verklärende Stilisierung in Richtung nahezu umfassender Gleichstellung, die in dieser Verallgemeinerung nicht zutrifft wie die pauschale Missachtung von Gleichstellungsaspekten, die in der DDR weiter entwickelt waren als in der früheren Bundesrepublik. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen unmittelbar nach der Wiedervereinigung belegen einerseits, dass in der ausgehenden DDR Frauen eine ähnlich hohe Erwerbsquote hatten wie Männer (weltweit der höchste Wert) und die Infrastrukturen der Kinderbetreuung hervorragend ausgebaut waren: Hier war die DDR viel „weiter“ als die frühere Bundesrepublik. Die Untersuchungen belegen aber auch Parallelen zu Westdeutschland: Teilzeitarbeit gab es fast nur für Frauen; es bestand eine sektorale Segregation der Berufsfelder (Frauen in typischen Frauenberufen, v. a. in den Bereichen Dienstleistung und Gesundheit; Männer überwiegend in der Industrie), eine erhebliche Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern; Frauen waren trotz gleicher Qualifikation und Berufserfahrung kaum in hohen und Top-Führungspositionen; und Frauen übernahmen überwiegend die Aufgaben im Haushalt (Doppelbelastung von Beruf und Hausarbeit): Frauen in der DDR hatten nicht die gleichen Chancen wie Männer; einige Strukturen, die der Gleichstellung abträglich waren, bestanden in der früheren Bundesrepublik ebenso wie in der DDR."
Was dann das alles noch mit "gleichgestellter Partnerschaft" zu tun haben soll - also dem Binnenverhältnis unter den Partnern - was was grundsätzlich anders ist als Gleichberechtigung in Bezug auf gleichberechtigten Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe, erschliesst sich mir da dann immer noch nicht. Doppelbelastung ist eine Sache - die allerdings für sich allein genommen immer noch nichts über das Binnenverhältnis an sich aussagt ....