Auf Seiten der Ameisen

Romantisch-patriotisch Zum Tod des polnischen Sozialisten Aleksander Malachowski

Stalin soll gesagt haben, Polen und Sozialismus würden so gut zueinander passen wie eine trächtige Kuh und ein Pferdesattel. Friedrich Engels schrieb, die Polen hätten nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, national zu denken. - In ihren Mutmaßungen sollten beide Recht behalten: Nicht dass Polen bis 1945 keine sozialistische Tradition gehabt hätte, im Gegenteil, doch sie war tatsächlich auf eine ganz eigene Art gefärbt: patriotisch, romantisch verklärt, dem Gefühl stärker verpflichtet als dem politischen Kalkül. Es war die Polnische Sozialistische Partei (PPS), die im Polen der Zwischenkriegszeit diese Ideale am deutlichsten repräsentierte. Doch auch die Kommunisten der Moskau treuen Kommunistischen Partei Polens schienen nie gänzlich frei vom patriotisch-romantischen Bazillus - was ihnen die Moskauer Zentrale mit der Auflösung im Jahr 1938 quittierte.

Der langjährige Vizemarschall des polnischen Sejm Aleksander Malachowski, der Ende Januar achtzigjährig in Warschau starb, war nie Mitglied der PPS, aber wohl der letzte Politiker Polens, der die Kontinuität zwischen den sozialistischen Idealen der Zwischenkriegszeit und der Gegenwart persönlich verkörperte: Untergrundkämpfer gegen die Hitler-Besatzung, Gefangener stalinistischer Gefängnisse, führender Publizist der Tauwetterperiode Mitte der fünfziger Jahre, später Mitbegründer von Solidarnosc, noch später Alterspräsident des ersten freigewählten Sejm, zuletzt sein Vizemarschall. Malachowski blieb stets felsenfest davon überzeugt, dass Armut kein Schicksal und soziale Ausgrenzung keine Bedingung wirtschaftlichen Fortschritt sein müssten. Links zu sein bedeutete für ihn vor allem, immer wieder gegen jede Form von Ungerechtigkeit einzutreten. Obwohl er mit seinem langen Bart, einem schier unerschöpflichen Zitatenschatz und einer kulturvollen Sprache den Intellektuellentypus par excellence verkörperte, interessierten den großen alten Mann der polnischen Linken Programmdebatten überraschend wenig. Tomasz Nalecz, Vizevorsitzender der von Malachowski mitbegründeten Union der Arbeit (UP), erinnert sich: "Als wir Malachowski ein mühsam erarbeitetes 40seitiges Programm vorlegten, verblüffte er uns mit der Bemerkung, eigentlich würde auch ein Aufruf reichen, der besagt, dass im Konflikt zwischen Ameisen und dem Ameisenbär jeder anständige Mensch auf der Seite der Ameisen stehen sollte."

Verblüfft hat Malachowski seine Freunde auch, als er zu einer Zeit, in der sich das für einen hochdekorierten Oppositionellen noch gar nicht schickte, über ein Ende der Isolierung der Postkommunisten nachdachte. Noch mehr erboste er frühere Gefährten, als er in den Neunzigern bekannte: "Ich bin mir gar nicht mehr so sicher, ob die historische Bilanz nicht besser ausgefallen wäre, wenn der realexistierende Sozialismus zehn Jahre länger überlebt hätte, um modernisiert zu werden. Eine langsame Veränderung der staatlichen Strukturen hätte womöglich zu weniger sozialen Spannungen geführt als ihre Zerschlagung." Fast das Urteil eines Häretikers.


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