Das größere und das große Übel

Slowakei Aufrührer Vladimir Meciar fordert bei den Präsidentschaftswahlen den Abwiegler Eduard Kukan heraus

In Zilina ist Wahlkampf angesagt. Da muss sich selbst der Berufsdiplomat volksnah geben. Entschlossen betritt Eduard Kukan daher die Kegelbahn, stellt die Halbe mit Kozel-Bier ab und greift nach der Kugel. Ein prüfender Blick, ein Anlauf, und: fast alle neune - aber eben nur fast. Das Publikum applaudiert höflich. Und weil Geselligkeit durstig macht, stellt sich Kukan an diesem Abend auch an den Zapfhahn und schenkt persönlich aus.

Seit Mitte März, dem offiziellen Beginn der Wahlkampagne, spult der aussichtsreichste Kandidat für die slowakische Präsidentschaft dieses Programm nahezu täglich ab: Zuerst die herkömmliche Wahlveranstaltung unter freiem Himmel, dann als spezifisches Markenzeichen - Happy Hour mit Eduard Kukan im nahe gelegenen Gasthaus: eine Mischung aus Bierrunde und Talkshow. Die meisten größeren Städte hat der Kandidat bereits mit seiner Präsenz bedacht.

Doch wie sehr sich der 64-Jährige, im Brotberuf Außenminister der Slowakei, auch müht, Massen sind es nicht, die zu ihm strömen. In Zilina kommen vielleicht 200 Menschen. Und viele bleiben nur deshalb stehen, weil es hier "kukance" gibt, Maiskolben, die dank eines Wortspiels fast so heißen wie der Kandidat.

Vier der elf Bewerber haben nach den Umfragen noch einigermaßen intakte Chancen, kommenden Sonntag den Sprung in die Stichwahl zu schaffen. Die eindeutigen Favoriten sind aber Eduard Kukan und der frühere Premier Vladimir Meciar. Bei rund 27 Prozent hält in Meinungsumfragen der tendenziell pro-europäische Kukan - bei 24 der eher EU-skeptische Meciar. Sowohl Ivan Gasparovic, der von der starken links-populistischen Smer-Bewegung protegiert wird, als auch der amtierende Präsident Rudolf Schuster haben mit 17 und 13 Prozent nur Außenseiter-Chancen.

Kein sonderlich aufregendes Feld, das da antritt: Auf der einen Seite, der biedere Diplomat und Minister Eduard Kukan, der von sich selbst behauptet: "Ich lache nur dann, wenn es die Situation erlaubt". Auf der anderen Seite mit Meciar und Gasparovic zwei Populisten reinsten Wassers und als Draufgabe der amtierende Präsident, der im Laufe seiner Amtszeit die Sympathie der Bevölkerung gründlich verspielte - nicht zuletzt durch seine kaum nachvollziehbare Obstruktionspolitik gegenüber dem Parlament. Die Rolle eines aktiven Präsidenten reduzierte Schuster darauf, diversen Gesetzesvorschlägen seine Unterschrift zu verweigern, worauf sie zurück in die Legislative gingen, die sie dann doch in zweiter Lesung beschloss.

Verzweifelt und nicht immer mit sauberen Mitteln versuchte Schuster in den Wochen vor der Wahl, verlorenes Terrain zurück zu gewinnen: Schon vor dem offiziellen Wahlkampf reiste er durch Städte und Dörfer der Slowakei, um "Treffen mit den Bürgern" abzuhalten - nicht als Kandidat freilich, sondern als amtierender Präsident. Sein Tross klebte Plakate, auf denen zu erfahren war: "Sie sind nicht allein!" Die auf Medienbeobachtung spezialisierte unabhängige Bürgerrechtsgruppe Memo ´98 fühlt sich durch Schusters Vermischung von Amtsgeschäften und Werbung in eigener Sache allerdings fatal an den jüngsten russischen Präsidentschaftswahlkampf erinnert. Genutzt hat diese Vermischung Schuster allerdings nicht wirklich. Ebenso wenig wie der Versuch, im Anschluss an die Roma-Proteste auf den nationalistischen Zug aufzuspringen: "Aufgabe der Politik ist es, das Leben und den Besitz der Bürger, nicht irgendwelche Roma-Siedlungen zu schützen", vertraute er der angesehenen Tageszeitung Pravda an. Dass Schuster keine große Liebe zur Roma-Minderheit hegt, ist nichts Neues: Zur kommunistischen Zeit war er als Bürgermeister von Kosic?e unter anderem nicht zuletzt deshalb beliebt, weil er die Roma aus der Innenstadt in Plattenbauten am Stadtrand aussiedeln ließ.

Im Gegensatz zu Rudolf Schuster hat sich Vladimir Meciar im Wahlkampf zum Beschützer der Roma-Minderheit stilisiert. "Ich war während der Unruhen im Osten. Man hat mir erzählt, dass unter den Roma die Arbeitslosigkeit 95 Prozent beträgt, und man bat mich, bei Roma-Kundgebungen zu sprechen. Ich habe es dann doch nicht getan, weil die Regierung mir das gewiss als Aufwiegelung ausgelegt hätte", sagt er. Tatsächlich unterstützen etliche Roma-Politiker Meciars Kandidatur, doch auch unter den Slowaken ist Meciars Ansehen derzeit nicht das Schlechteste: Im Ranking der "vertrauenswürdigen Politiker" belegt er nach Oppositionsführer und Smer-Chef Robert Fico Platz zwei. Selbst in Zilina, bei Kukans Wahlkampf, ist das zu spüren: "Wenn Sie mich fragen", sagt Tomas Pokorny, ein arbeitsloser Ingenieur, "ist Meciar, der Einzige, der das moralische Recht hat, slowakischer Präsident zu werden."

Kukans Handicap, das Meciar stärkt, besteht darin, dass er als gemeinsamer Kandidat einer Regierungskoalition ins Rennen geht, die ihren Kredit durch ein stringent neoliberales Wirtschaftsprogramms längst verspielt hat: 80 Prozent der Slowaken geben dem Kabinett von Mikulas Dzurinda die Schuld an einer unübersehbaren Verschlechterung der sozialen Lage, auch wenn Kukan das nicht direkt auf seine Person beziehen will. Hatte die Regierungskoalition bei ihrem Amtsantritt 78 von 150 Mandaten im Parlament, so käme sie - würde am Sonntag auch ein neues Parlament gewählt - auf kaum mehr als 50 Mandate, knapp über 30 Prozent der Stimmen. Und je weiter man nach Osten gerät, desto schlechter werden die Umfragewerte. Kein Wunder: Vier Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit in Bratislava - in der Ostslowakei 21.

"Bei diesen Wahlen geht es gar nicht um mich, es geht in Wirklichkeit um das Kabinett Dzurinda", glaubt Meciar. Das stimmt zumindest teilweise: Die Präsidentenwahl ist tatsächlich ein Test dafür, wie sehr die Mitte-Rechts-Regierung noch im Stande ist, ihre Wählerschaft zu halten: Schließlich findet zeitgleich mit den Präsidentenwahlen ein Referendum über vorgezogene Parlamentswahlen statt. Hat es Erfolg, dürften die Tage der Koalition gezählt sein.

Unabhängig davon, wer in die zweite Runde gegen Eduard Kukan einzieht - Meciar oder sein in Umfragen drittplazierter langjähriger Weggefährte Ivan Gasparovic - die Frage, die die Slowaken bei Variante eins zu beantworten haben werden, steht schon fest: Was ist uns mehr wert? Ein Denkzettel für die Regierung, dafür aber ein Präsident, der die Slowakei mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder Negativschlagzeilen bringt? Oder ein Berufsdiplomat, der zwar Teil des ungeliebten Kabinetts ist, der aber wenigstens keinen Schaden anrichtet?


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