Einst galten sie als Bastionen der Moral und des Widerstands - heute schlittern Osteuropas Kirchen von einem Skandal in den nächsten: Korruption, Kinderpornographie, Geheimdienstkontakte, zuviel Tuchfühlung mit dem einst sozialistischen Staat. Die einschlägigen Nachrichten gehen beinahe im Wochentakt ein.
Begonnen hat die unglückselige Serie zur Jahreswende mit dem Rücktritt des designierten Erzbischofs von Warschau, Stanislaw Wielgus, der seine Geheimdienst-Vergangenheit zunächst monatelang leugnete, um dann doch reumütig zu demissionieren. Wielgus freilich ist bei Gott nicht der Einzige unter Osteuropas Kirchenfürsten, der mit den bewussten Diensten freundschaftlich geschäftliche Beziehungen unterhielt. Erst vor wenigen Tagen hat der Erzbischo
hat der Erzbischof von Bratislava, Jan Sokol, ähnliche Kontakte zugegeben - auch er nach monatelangem Leugnen.Allerdings besteht Sokol darauf: "Ich habe keine Informationen weitergegeben, die der Kirche schaden konnten." Da war es wenig günstig für den frommen Mann, dass die Tageszeitung SME inzwischen eine minuziöse Aufstellung der finanziellen Zuwendungen veröffentlicht hat, die Sokol von 1984 bis 1988 für seine Dienste erhielt. Im Gegenzug soll der Bischof slowakische Emigranten im Vatikan ausspioniert haben. Kaum besser als in Polen und der Slowakei erscheint die Lage in Tschechien: Dort ist inzwischen von mehreren hohen Geistlichen die Rede, die dem sozialistischen Staat zugearbeitet haben, darunter auch der heutige Bischof von Ostrau, Frantisek Lobkowicz.Trotz derartiger Hiobsbotschaften - so etwas wie Verhangenheitsbewältigung hat in Osteuropas Kirche noch nicht einmal richtig begonnen. Als der polnische Geistliche und Historiker Tadeusz Isakowicz-Zalewski Ende Februar ein Buch mit dem Titel Pfarrer und die Stasi publizierte, sah er sich mit der derben Kritik seiner Vorgesetzten und recht harschen Vorwürfen aus dem national-katholischen Lager konfrontiert, das ihn postwendend zum Nestbeschmutzer erklärte.Ähnliches erlebte auch der ungarische Historiker und Pfarrer Gabor Adriany. Sein Buch über die kooperativen Strukturen zwischen Staat und Kirche vor 1989 lag dem Episkopat derart im Magen, dass sämtliche katholische Buchhandlungen im Land angewiesen wurden, das Werk aus dem Sortiment zu nehmen - "um die Gläubigen nicht zu brüskieren". Das überrascht kaum, denn Ungarns katholische Kirche war besonders stark von der Staatssicherheit durchsetzt. Wie man inzwischen weiß, stand auch der langjährige Primas Laszlo Paskai in deren Diensten.Verschweigen und vertuschenVielleicht würden die Gläubigen in Mittelosteuropa all das mit gleichgültigem Schulterzucken quittieren, wären da nicht noch gröbere Verfehlungen. Etwa in der polnischen Diözese Plock, die Stanislaw Wielgus nach 1999 führte. Dort ist seit einem Jahr der Fall eines Priesters bekannt, der von Internetpolizisten als Quelle kinderpornographischer Bilder ausgemacht wurde. Überdies sickerte durch, dass im Priesterseminar von Plock die sexuelle Belästigung junger Seminaristen jahrelang keine Ausnahme blieb. Erst als sich Polens Presse des Falles ausgiebig annahm, entschloss sich der Rektor der Anstalt, die Flucht nach vorn anzutreten und die Staatsanwaltschaft einzuschalten.Pikantes Detail am Rande: Mehrfach war der frühere Leiter des Seminars gebeten worden, einen überaus zudringlichen Priester zu relegieren. Nach mehreren Versuchen gab er auf: Der Beschuldigte hatte in der Kirchenhierarchie Fürsprecher, die einfach zu mächtig waren. Auch andere ihrer belasteten Diener scheint die Kirche zu schützen: Jener Pfarrer, der die Kinderpornographie massenhaft ins Netz stellte, arbeitet heute - nachdem er gegen Kaution freigelassen wurde - weiter mit Kindern und Jugendlichen.Verschweigen, vertuschen und - wenn es nicht anders geht - halbherzige Gegenmaßnahmen ergreifen, das ist das Muster, nach dem Polens Kirche zur Zeit sowohl mit ihrer Geheimdienst-Vergangenheit als auch mit den Pädophilie-Vorwürfen umgeht. "Die zuständigen lokalen Bischöfe haben leider nicht den Mut, sich solcher Probleme anzunehmen", schreibt Pfarrer Adam Boniecki, Chefredakteur des angesehenen liberal-katholischen Wochenblatts Tygodnik Powszechny.Empört sind Polens kritische Katholiken auch über einen Korruptionsskandal, in den die Caritas des Bezirks Plock verwickelt ist. In etwa hundert Fällen soll die Organisation dem staatlichen Krankenkassenfonds Pflegeleistungen berechnet haben, die tatsächlich nie erbracht wurden. Laut Magazin Wprost liegt die Schadenssumme bei einer halben Million Euro.Ein Nachfahre StalinsNicht weniger dramatisch als in Polen erscheint den Zustand der Kirche auch in anderen Ostländern. Maria Rut-Krizkova, einst Mitglied der tschechischen Oppositionsbewegung Charta 77 und heute radikale Anhängerin einer Aufarbeitung jüngster Geschichte, warnt: "Wenn die Kirche sich nicht von dieser Bürde befreit, laufen ihr die letzten Anhänger davon." Und der liberale ungarische Bischof und Benediktinerpater Asztrik Varszegi urteilt: "Der Vergangenheit muss man sich stellen. Wir brauchen ein unbefangenes und umfassendes Bild über das Verhältnis zwischen kommunistischem Staat und katholischer Kirche."Ein solches Bild könnte manchen Mythos beflecken, vorrangig im erzkatholischen Polen, wo es in den fünfziger und sechziger Jahren so genannte "Patrioten-Priester" gab, die dem sozialistischen Staat nicht etwa die kalte Schulter zeigten. Für das Selbstverständnis der Katholiken im Gelobten Land stehen freilich nicht sie im Mittelpunkt. Dieses Privileg gebührt allein Johannes Paul II. - "der Papst, der den Kommunismus stürzte", wie der einstige Stellvertreter Christi auf Erden gern hofiert wird.In Ungarn, Tschechien und der Slowakei konzentriert sich die Selbstwahrnehmung ebenfalls nicht auf die Mitläufer, sondern auf jene Männer, die geheim zu Priestern geweiht wurden, weil das Regime zu ihrer offiziellen Weihe keine Zustimmung geben wollte. Man sieht sich in der historischen Perspektive als Gemeinschaft der Aufrechten und Verfolgten. Das ist sicher ein Teil, aber eben nur ein Teil der Geschichte - der andere wird nun mit den beschriebenen "Verstrickungen" ranghoher Geistlicher immer offenbarer. Das sorgt für einen Verlust an Glaubwürdigkeit, die unter den handfesten Sexskandalen aus jüngster Zeit zusätzlich leidet. Wobei auch das schon wieder nur die halbe Wahrheit ist. So zu tun, als ob die sexuellen Übergriffe in Plock etwas Neues wären, wie so mancher Kleriker insistiert, ist schlicht verlogen. Kindersexaffären gab es in der polnischen Kirche auch in der Vergangenheit, nur hatte es der damalige Kampf zwischen der "guten" Kirche und den "bösen" Kommunisten dem Klerus erleichtert, das Fehlverhalten von Geistlichen zu vertuschen. Wer die Kirche zu kritisieren wagte, war ein Roter und so etwas wie ein direkter Nachfahre Stalins. Inzwischen hat sich das erfreulicherweise ein wenig geändert.