Unbeirrbar beharrt in Tschechien die katholische Kirche auf der Rückgabe von etwa 170.000 Hektar Boden und Liegenschaften im Wert von 3,5 Milliarden Euro. Die Regierung und eine Mehrheit der Bevölkerung finden dies Verlangen maßlos überzogen. Der Streit zwischen Staat und Kirche ist längst zum prekärsten internen Restitutionsfall avanciert und sorgt für viel Unnachgiebigkeit auf beiden Seiten.
Möglicherweise ist Kulturminister Pawel Dostal wirklich nicht der beste Mann, um mit dieser Kirche über die Rückgabe ihres Eigentums zu verhandeln. Der wegen seiner Zuständigkeit für Glaubensgemeinschaften mit der zähen Causa befasste Sozialdemokrat gesteht ungeniert: "Seit ich als Junge von einem Pfarrer mit einem Rohrstock verprügelt wurde, ist meine Haltung dem Katholizismus gegenüber ziemlich reservierter Natur."
Mit dem Jahresende wird Dostal erlöst: Die Mission, mit Kardinal Miroslav Vlk über die Restitution des Kirchenbesitzes zu verhandeln, soll dann Vizepremier Petr Mares übernehmen - im Gegensatz zum Atheisten Dostal zumindest auf dem Papier ein Katholik. Seine Eminenz wird sich über den Wechsel freuen. "Ich habe mit Minister Dostal ausschließlich negative Erfahrungen gemacht", so der Kardinal unlängst vor einem nicht gerade handverlesenen Kreis. Der Vorsitzende der tschechischen Bischofskonferenz, der Olmützer Erzbischof Jan Graubner, ging noch weiter, er weigerte sich zuletzt, überhaupt noch ein Wort mit dem Kulturminister zu wechseln.
Kehrt die Kirche nach dessen Ablösung an den Verhandlungstisch zurück, könnte wieder Bewegung in die letzte große innertschechische Restitutionsaffäre kommen: Seit 1991 wird über die Rückgabe von 29.000 Hektar Land, 140.000 Hektar Wald und 28.451 Liegenschaften, darunter Schulen, Hospitäler, aber auch Privatwohnungen verhandelt, die Tschechiens katholische Kirche für sich beansprucht. Bis auf weiteres gilt der Besitz als "blockiert", wird von einem staatlich kontrollierten Fonds verwaltet und verursacht vor allem Kosten. Laut Agrarminister Jaroslav Palas? koste allein die Verwaltung des kirchlichen Landbesitzes vier Millionen Euro jährlich, während die Einnahmen, etwa aus der Vermietung, 650.000 nicht überschreiten würden. Den Wert der von der Kirche beanspruchten Gebäude und Flächen schätzt die Regierung auf 3,5 Milliarden Euro.
Maßlose Selbstüberschätzung
Mit einer ersten Entschädigungstranche 1990/91 hatte die Kirche 175 Gotteshäuser zurück erhalten. Vor drei Jahren versuchte dann aber der damalige sozialdemokratische Premier Milos Zeman, einen Schlussstrich zu ziehen, und bot dem Klerus an, nur all jene Gebäude zurückzugeben, die zu sakralen Zwecken gebraucht würden. Die Bischöfe lehnten ab, seitdem ziehen sich die Verhandlungen hin. Bislang hat es die Kirche nicht einmal geschafft, die von der Regierungsseite geforderte genaue Liste ihrer Forderungen vorzulegen. Stattdessen sorgte Kardinal Vlk mit dem Vorschlag für Verwirrung, der Staat könne sich die gesamte Restitution ersparen, würde er der Kirche eine Rente von jährlich 50 bis 60 Millionen Euro zusichern. Das kam bei Premier Spidla nicht gerade gut an. Ohnehin sind die regierenden Sozialdemokraten des ständigen Streits mit dem Klerus zwischenzeitlich derart überdrüssig, dass Mitte Mai beinahe die Hälfte der sozialdemokratischen Abgeordneten im Parlament gegen das Konkordat stimmte, das zuvor mühevoll von Außenminister Cyril Svoboda verhandelt wurde. Sogar Premier Spidla fiel seinem christdemokratischen Außenminister in den Rücken und enthielt sich bei der Entscheidung über das Konkordat der Stimme.
Dabei war unter der konservativen Vorgänger-Regierung von Václav Klaus das Verhältnis zwischen Staat und katholischer Kirche noch schlechter. Abgesehen von persönlichen Animositäten zwischen Klaus und Kardinal Vlk, widerspiegelte sich darin simples politisches Kalkül der Regierenden: Bei der letzten Volkszählung hatten 58 Prozent der Tschechen angegeben, keiner Religion anzugehören, und nur 25 Prozent eine Restitution des Kirchenbesitzes befürwortet.
Kritische Katholiken wie etwa der Prager Theologe Tomás? Halik werfen dem Hohen Klerus daher vor, seine Position maßlos zu überschätzen und an irrealen Forderungen festzuhalten: "Die Kirche muss erst einmal sagen, was Christen dieser Gesellschaft anbieten können. Erst dann kann man über die Restitution sprechen."
Tomas Masaryks hussitische Variante
In der Tat ist Katholizismus in Tschechien eher ein Minderheitenprogramm. Antikatholische Einstellungen gehören untrennbar zur nationalen Geschichte: Der 1415 verbrannte Jan Hus war Europas erster Reformator, nach der Niederlage der tschechischen Protestanten gegen die Habsburger im Jahre 1620 wurden antikatholische Gefühle verlässlicher Indikator einer resistenten Antipathie gegenüber Österreich. Aus diesen Gefühlen speiste sich auch die tschechische Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts. Und als die Tschechen nach 1918 endlich von Habsburg loskamen, entstand die gegen Rom gerichtete und von Staatsgründer Tomás? Masaryk geförderte tschechisch-slowakische hussitische Kirche.
Und diese antikatholische Tendenz blieb bis in die Gegenwart erhalten: Obwohl Václav Havel und seinen Nachfolger im Präsidentenamt, Václav Klaus, so gut wie nichts verbindet, ist ihnen eines doch gemeinsam: ihre klare Abgrenzung gegenüber der Kirche.
Wenn die trotz christdemokratischer Beteiligung in ihrem Kern letztlich antiklerikale Regierung von Vladimir Spidla dennoch ein gewisses Interesse hat, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu regeln, so aus ökonomischen Motiven. Man will Restitutionen, mit denen die Privatisierungskampagne nach 1990 begann, endlich abschließen, weil sich letztlich gezeigt hat, dass weder die Eigentumsrückgabe noch die einst so frenetisch gefeierte Couponprivatisierung die erhofften Erfolge brachten. Bei der Rückübertragung an frühere Besitzer oder deren Nachfahren hatten die oft keinen finanziellen Spielraum, um restituierte Betriebe zu sanieren. Der Kirche würde es im Restitutionsfall ähnlich gehen: Schon jetzt verfallen an die 300 Gotteshäuser im Land, darunter bedeutende Bauwerke aus dem Mittelalter.
Ein Modell, das die Regierung bei der Abgeltung kirchlicher Besitzansprüche bevorzugt, ist daher keine direkte Rückgabe, sondern die Auflage eines Fonds, in den die Gewinne aus dem Verkauf von Kirchengütern fließen. Gemeinsam von Episkopat und Staat verwaltet, soll dieser Kapitalstock dazu dienen, Ausgaben der Kirche zu decken: von karitativen Tätigkeiten über den Erhalt der Gebäude bis zu Priestergehältern. Zur Zeit werden die noch immer - wie im Sozialismus - vom Staat bezahlt. Damit sind Pfarrer gewissermaßen Staats- und Kirchendiener zugleich, was von beiden Seiten als wenig angenehm empfunden wird.
Völlig beendet wären Restitutionsverfahren allerdings auch nach einer Einigung mit der Kirche nicht. Nach wie vor offen bleiben Fälle deutscher Tschechen, die behaupten, nicht mit den Nazis kollaboriert und daher auch niemals die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren zu haben, sprich: nicht unter die Benes?-Dekrete zu fallen. Jüngst bekam aus diesem Grund die Familie Colloredo-Mansfeld ihr Renaissanceschloss in Opocno (Ostböhmen) zurück. Ein Urteil, das Kulturminister Dostal sehr kritisch kommentierte und als möglichen Auftakt für neue Restitutionsklagen wertete.
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