Andrzej Gleizer steht neben seinem Traktor und lacht. "Sie wollen mit mir über die Zukunft der polnischen Landwirtschaft reden? Da gibt es nichts zu reden, denn es gibt keine Zukunft." - Noch immer keine Zukunft? Hat unlängst nicht die Financial Times geschrieben, dass nach dem EU-Beitritt das Einkommen der Bauern in Osteuropa um bis zu 100 Prozent gestiegen ist? Lügen denn alle polnischen Zeitungen, die Woche für Woche teils begeistert, teils neidisch von einem Geldregen aus Brüssel schwärmen, der sich über die Landwirte ergießt?
Auf die Förderzahlungen angesprochen - immerhin 118 Euro pro Jahr und Hektar - lacht Gleizer immer weiter: "Ja, seit dem Beitritt vor einem Jahr gibt es mehr Zuschüsse als früher. Doch was sie dir in die eine Tasche stecken, nehmen sie dir aus der anderen wieder heraus. Den guten Onkel, der dir einfach etwas schenkt, den gibt es nicht." Dann lacht der 50-Jährige nicht mehr und zählt auf, was alles seit dem EU-Beitritt teurer geworden ist: Dünger um mehr als das Doppelte, Landwirtschaftsmaschinen, auf die früher keine Mehrwertsteuer erhoben wurde, um ein Viertel, und Diesel, den die Bauern vor dem Beitritt verbilligt beziehen durften, sowieso.
"Tatsächlich sind derartige Preisschübe die negativen Begleitumstände des polnischen EU-Beitritts", gibt auch Jerzy Plewa zu, der Mann, der für Polen die Agrar-Agenda mit der EU ausgehandelt hat. Andrzej Gleizer findet deutlichere Worte: "Unterm Strich haben wir heute weniger als früher. Deshalb bin ich auch kein großer EU-Fan mehr." Dabei ist Gleizer eigentlich einer jener Bauern, denen es nach den Brüsseler Prophezeiungen stetig besser gehen müsste. Mit rund 40 Milchkühen und 30 Hektar Grund gilt sein Betrieb für polnische Verhältnisse mindestens als mittelgroß. Gleizer zählt nicht zu den unzähligen Kleinbauern, die zwei oder drei Tiere im Stall haben, nur für sich selbst wirtschaften und deren Gewinn bestenfalls für eine Flasche Wodka im nächstgelegenen Geschäft reicht.
Dennoch gibt sich der stets gut aufgelegte Landwirt keinen Illusionen hin: "Verhungern werden wir nicht. Für meine Frau und mich reicht es. Aber schauen Sie sich unsere Kinder an: Alle drei haben studiert. Arbeit hat bis heute keines von ihnen. Der Älteste ist inzwischen in Finnland, hilft auf einem Bauernhof und verdient dort mehr, als er hier in Polen je bekommen könnte. Ich glaube, immer mehr Leute werden ihre Höfe aufgeben. Doch wie sollen sie dann existieren in dieser Gegend, in der es keine Arbeit gibt?"
Und doch ist die Lage um den polnisch-tschechischen Grenzort Cieszyn, in dem Gleizer lebt, noch nicht wirklich schlimm: Die Höfe sind relativ modern, die im Umfeld von 100 Kilometern gelegenen Großstädte Katowice und Krakov bieten für die Jugend zumindest eine Spur Hoffnung auf ein Erwerbsleben nach dem großen Bauernsterben.
Drei Stunden Autofahrt weiter, im Herzen der südostpolnischen Karpaten, sieht es erkennbar trister aus. Hier sind die Höfe alt, die Ackerflächen klein, karg und zersplittert. Mit dem Traktor pflügt hier so gut wie niemand, überall nutzt man statttdessen Pferde auf den Feldern - ein Freilichtmuseum, das lediglich den Makel hat, kein Museum, sondern die Wirklichkeit zu sein.
Wie viele der polnischen Bauern den vom EU-Beitritt erzwungenen Modernisierungsschub überleben werden, ist ungewiss. Von zuversichtlichen dreißig bis zu pessimistischen zehn Prozent reichen die Prognosen. Auch wenn die Optimisten Recht behalten, wird das Bauernsterben groß sein: Noch gibt es in Polen rund 1,4 Millionen Bauernhöfe, sollte wenigstens ein Drittel davon die nächsten Jahre überstehen, bedeutet das immer noch den Verlust von fast einer Million Landwirtschaftsbetrieben. Irland hat diesen Weg schon vor langer Zeit beschritten: Vor dem EU-Beitritt des Landes betrug der Anteil der Bauern an der erwerbstätigen Bevölkerung - ähnlich wie heute in Polen - 26 Prozent. Nun liegt er bei acht.
Von derartigen Zahlenspielen und Perspektiven weiß Janusz Borek, der bei Krosno gerade sein Feld mit einem Ackergaul pflügt, absolut nichts. Um festzustellen, dass es um seine Zukunft nicht zum Besten steht, braucht er keine internationalen Vergleiche. Er zeigt auf durch Hecken geteilte, unbestellte Felder am gegenüberliegenden Hang: "Da drüben, früher wurde das alles bebaut, jetzt sind es Brachen. Zahlt sich nicht mehr aus. Ich war zum Glück bei der Bahn. Wenn ich meine Berufsrente nicht hätte, von der Landwirtschaft leben könnte ich nicht." Warum er das Land dennoch bebaut? Weil das schon immer so war. Und weil er dafür rund 700 Euro Förderung im Jahr bekommt. Nicht viel, aber immerhin eine kleine Aufbesserung der Rente.
Die Zuschüsse für die Bauern sind derzeit nicht von der Art der Produktion abhängig, sondern werden pauschal pro Hektar bebautes Land berechnet. Das Geld - so die Überlegung in Brüssel - sollen die Landwirte für die Modernisierung ihrer Wirtschaften verwenden. Doch real werden zwischen 60 und 80 Prozent der Beihilfen statt für Modernisierung für den Konsum verwendet. Die kleinen Bauern verbrauchen ihre Beihilfen zumeist ausschließlich, um akute Finanzlöcher zu stopfen.
Was auch nicht verwundert: Während die allgemeinen Lebenshaltungskosten in ganz Polen mehr oder minder gleich schnell steigen, ist das verfügbare Einkommen äußerst unterschiedlich verteilt. So hat in der Hauptstadt Warschau die durchschnittliche Kaufkraft der Bevölkerung bereits 70 Prozent des EU-Schnitts erreicht, in den agrarisch dominierten Regionen des Ostens und Südostens liegt sie gerade bei 30 Prozent. Und während im gesamtpolnischen Vergleich jeder Fünfte aus Geldnot schon einmal im Geschäft anschreiben ließ, trifft das auf dem Lande für jeden Zweiten zu.
Eine Landwirtschaft gezielt schrumpfen und absterben zu lassen, die offenkundig immer weniger Bauern ernähren kann, bleibt im Kampf gegen die Armut bestenfalls eine halbe, um nicht zu sagen groteske Lösung. Gerade dort, wo in den nächsten Jahren die meisten Höfe aufgegeben werden müssen, gibt es keine Ersatzarbeitsplätze. Bei über 18 Prozent liegt derzeit die Erwerbslosigkeit in Polen und ist ähnlich ungleich verteilt wie der Reichtum: Während in Warschau nahezu jeder früher oder später einen Job findet, gilt in der Provinz schon ein Platz am Fließband in der Verpackungshalle einer Fabrik als großes Los in der Job-Lotterie. Wer Arbeit braucht, muss daher fliehen: "Das blaue Haus da unten - der Mann arbeitet irgendwo in Österreich. Und da drüben am Dorfrand das braune Haus - die beiden Söhne sind in Deutschland am Bau", erzählt Janusz Borek. Und dann fügt er etwas hilflos hinzu: "Aber es können doch nicht alle auswandern!"
Das urbane Polen der Medien, der Politik und Europa-Gläubigkeit versucht die prekäre Lage im ländlichen Raum zu verdrängen. "Negativ-Szenarien haben sich nicht erfüllt. Unser EU-Beitritt ist in jeder Hinsicht positiv zu bilanzieren", urteilt etwa Jan Truszczynski, seinerzeit Warschaus Chefunterhändler während der Beitrittsgespräche. Polens Zeitungen werden nicht müde, den EU-Eintritt und den damit verbundenen Finanztransfer aus Brüssel immer wieder als die große Aufbruchschance für die Bauern schön zu reden. Gern werden Reportagen in den Vordergrund gerückt, die Landwirte porträtieren, denen es dank EU-Subventionen gelang, ihre Höfe zu modernisieren. Und die Agitation funktioniert tadellos: Wie eine Untersuchung des Warschauer Meinungsforschungsinstituts SMG/KRC vom April zeigt, gelten in Polen zwei Berufsgruppen als größte Nutznießer des EU-Beitritts: An erster Stelle die Politiker, knapp dahinter folgen die Bauern.
Tadeusz und Anna Sikora gehören ohne Zweifel zu jenen Landwirten, die der medialen Euphorie entgegen kommen. Mit 64 Milchkühen und 61 Stück Jungvieh sowie 90 Hektar Land gehören sie im Umland der Grenzstadt Cieszyn zu den Erfolgreichsten. Sie haben schon Anfang der neunziger Jahre alle EU-Normen erfüllt und konnten daher bald schon den polnischen Ableger des Großkonzerns Danone mit Milch beliefern. Auf Vorzüge der EU angesprochen, reagiert Tadeusz Sikora dennoch zurückhaltend: "Ein Jahr ist viel zu kurz, um etwas sagen zu können. Bislang hatten wir Glück, nach dem Beitritt gingen die Milchpreise tatsächlich etwas nach oben. Doch mit den Subventionen ist nicht alles so rosig, wie es scheint."
Seine Frau Anna erklärt warum: "Wir haben 30 Hektar eigenes Land und 60 Hektar in Pacht. EU-Gelder gibt es aber nur für unsere 30 Hektar, für den Rest kassieren die Besitzer, obwohl die nicht einen einzigen Tag im Jahr auf dem Feld sind. Wegen dieser Regelung will auch niemand mit uns einen offiziellen Pachtvertrag schließen, weil dann die Subventionen uns zugute kommen würden." Im Fall der Sikoras wären das immerhin fast 5.500 Euro im Jahr.
Das Dilemma mit den Subventionen, die Leute einstecken, die gar nicht von der Landwirtschaft leben, ist natürlich auch Jerzy Pilarczyk bekannt, dem zuständigen Staatssekretär im Agrarministerium. Um die Gesetzeslage zu rechtfertigen, greift der Sozialdemokrat zum geflügelten Wort vom "heiligen Recht auf Eigentum" und ergänzt: "Aber natürlich weiß ich, für viele ist das ein unbefriedigender Zustand."
Das ist er in der Tat. "Wir haben ja auch versucht, die Pacht schriftlich zu regeln", erzählt Anna Sikora, "aber das hat nur zu Streit und Gerede im Dorf geführt." Trotzdem: Schwarz malen will sie nicht. Und für die Verspätungen bei der Auszahlung der EU-Beihilfen macht sie auch nicht die Union verantwortlich: "Dass die Zuschüsse mit solcher Verspätung ausbezahlt werden, liegt nicht an Brüssel, sondern an unseren Politikern, die sind einfach unfähig, das flott zu organisieren."
Anders als Besitzer von kleinen und mittleren Höfen sind Anna und Tadeusz Sikora trotz aller Schwierigkeiten davon überzeugt, dass sie auch künftig von ihrer Landwirtschaft leben werden. "Und später sollen die Kinder den Hof übernehmen", sagt Anna, ein Optimismus mit Einschränkungen. "Der Jüngere lernt sehr gut. Vielleicht sollte er einmal Tierarzt werden. Dann bleibt er in der Landwirtschaft und hat doch einen sicheren Beruf."
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