Es war die Zeit, als kein Löschblatt mehr zwischen Polen und die USA passte und Präsident George W. Bush Warschauer Regierungen als unverzichtbare Partner im „Krieg gegen den Terror“ lobte. In Afghanistan stellte das Land das fünftgrößte NATO-Kontingent aus Europa. Und auch in der „Koalition der Willigen“, die vor zehn Jahren im Irak einfiel, galt Polen nach Großbritannien, Südkorea und Italien als verlässlichster Alliierter der Vereinigten Staaten.
Die politische Elite in Warschau konnte sich rühmen, endgültig in der westlichen Welt angekommen und Teil eines „Neuen Europas“ zu sein. Der Begriff ging auf den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zurück, der den Osten des Kontinents gern gegen das „Alte Europa“ der kriegsskeptischen Deutschen und Franzosen in Stellung brachte. Wer in Washington zum „Neuen Europa“ gezählt wurde, hatte von den Amerikanern den partnerschaftlichen Ritterschlag erhalten.
Miller schwört ab
„Sie denken bei Europa an Deutschland und Frankreich. Ich nicht. Ich glaube, das ist das alte Europa“, so Rumsfeld Anfang 2003 bei einer Rede im Pentagon. Der Hintergrund: Während Berlin und Paris einer Intervention im Irak ablehnend gegenüberstanden, drängten die meisten Regierungen Osteuropas der Bush-Administration ihre Hilfe förmlich auf. Auch Polens damaliger Premier Leszek Miller war willig und folgsam. In der realsozialistischen Zeit als junger ZK-Sekretär zur Kaderreserve der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) gehörend, hatte Miller seinen Jugendsünden nach 1990 abgeschworen. Ein Jahrzehnt später war er bereits so populär, um für das Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) bei der Sejm-Wahl 2001 sensationelle 41 Prozent zu holen. Die rechtsgerichtete Opposition versuchte, ihm das Stigma eines Moskau-hörigen Betonkopfs zu verpassen, dessen Loyalität gegenüber den USA nichts weiter als Tarnung sei – in Wirklichkeit schiele Miller geopolitisch noch immer nach Russland.
Es lag wohl auch an solchen Unterstellungen, dass dieser Regierungschef seine Treue zu Amerika auf Schritt und Tritt betonte und mehr für das bilaterale Verhältnis tat, als für einen bis zur Peinlichkeit ergebenen Verbündeten gut und nötig schien. Miller fragte daher nicht lange nach, als ihn die US-Regierung um Erlaubnis bat, im Osten Polens in der Nähe eines Flughafens einen CIA-Stützpunkt errichten zu dürfen. Die amerikanischen Freunde durften und mussten nicht weiter erklären, was sie damit vorhatten.
Formell war die Anlage dem polnischen Auslandsgeheimdienst unterstellt, de facto war es eine jener „black sites“ außerhalb der USA und somit außerhalb der US-Gesetzgebung, in denen Terrorverdächtige verhört und gefoltert wurden. Während die meisten europäischen NATO-Länder seinerzeit die USA soweit unterstützten, für den Nachschub in Richtung Irak und Afghanistan Überflug- und Landeerlaubnisse zu erteilen, waren Foltergefängnisse nicht nur im „Alten“, sondern auch im „Neuen Europa“ weitgehend tabu. Nur Polen, Rumänien und Litauen erklärten sich intern bereit, Bush und Rumsfeld auch dabei gefällig zu sein.
Diese Konspiration belastet Polen bis heute, Ende Januar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Warschau aufgefordert, alle zu einer Aufklärung der Foltergerüchte nötigen Unterlagen nach Straßburg zu schicken, und angekündigt, diese Papiere öffentlich zu machen. Für zusätzlichen Druck sorgt ein Report der Open Society Foundation (einer Stiftung des amerikanischen Milliardärs George Soros), der die in polnischen Verhörzentren der CIA angewandten Folterpraktiken minutiös beschreibt. Dabei soll unter anderem der mutmaßliche Chefplaner von 9/11, Chalid Scheich Mohammed, im Schnitt achtmal pro Tag dem berüchtigten Waterboarding unterzogen worden sein. Bei dieser Art des Verhörs muss der Gefangene durch ein ständig mit Wasser begossenes Tuch atmen und hat dabei den Eindruck zu ertrinken.
Neben Chalid Scheich Mohammed mussten im Internierungscamp Stare Kiejkuty nahe Olsztyn (Allenstein) fünf weitere Terrorverdächtige diese Art des Verhörs über sich ergehen lassen. Darunter Abd al-Rahim al-Nashiri, der für den Anschlag auf das US-Kriegsschiff USS Cole im Oktober 2000 verantwortlich gemacht wird. Dessen Anwalt hat Polen inzwischen wegen Folter, Nötigung und Aussageerpressung vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verklagt.
Über alles Trennende hinweg
Dass im politischen Warschau kaum jemand wusste, was in Stare Kiejkuty geschah, ist unwahrscheinlich. Józef Pinior, heute Senator für die Bürgerplattform (PO) und früher EU-Parlamentarier des Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD), behauptet gar, dass es ein Dokument über Geheiminternierungen und die dabei üblichen Foltermethoden gibt, das Leszek Miller unterschrieben hat. Was nichts daran ändert, dass heute mit einer Totalblockade auf die dunkle Allianz mit den USA reagiert wird. Obwohl diese Verstrickung in die Zeit von Premier Miller und Präsident Aleksander Kwaśniewski fällt, die beide aus der SLD kamen, steht die rechtsbürgerliche Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk bedingungslos hinter ihnen. In einem von schweren Links-Rechts-Grabenkämpfen heimgesuchten Land ein außerordentlich seltenes Zeichen von Einigkeit über alles Trennende hinweg.
Regierungssprecher Pawel Graś hat bereits unmissverständlich klargestellt, man denke nicht im Traum daran, Straßburg mit Dokumenten zu versorgen, die bei der Aufklärung der Foltervorwürfe helfen könnten: „Die Zusammenarbeit wird nicht so aussehen, wie es das Gericht dort erwartet. Es liegt nicht im Staatsinteresse Polens, Informationen, die etwas mit der Sicherheit des polnischen Staates zu tun haben, öffentlich zu machen.“ Ähnlich fertigt auch Vizeaußenminister Maciej Szpunar die europäische Gerichtsbarkeit ab: „Dem Gerichtshof muss klar sein, dass wir deutlich weniger Material zur Verfügung stellen können, wenn wir wissen, dass dieses Material jederzeit öffentlich gemacht werden kann.“
Abgesehen davon, dass eine eigene Untersuchung der Vorfälle in Stare Kiejkuty durch den Verweis auf die nationale Sicherheit verschleppt wird, leugnen die seinerzeit politisch Verantwortlichen, gewusst zu haben, was in ihrem Namen passiert ist. Ex-Staatschef Kwaśniewski gibt zu verstehen, Polen und die Polen hätten damit nichts zu tun. „Natürlich gab es eine Kooperation zwischen uns und den USA, aber sie hat nichts mit derartigen Arrestanstalten zu tun. Von etwaiger Folter haben wir nichts gewusst.“ Und Marek Siwiec, während der Präsidentschaft Kwaśniewskis Chef des Büros für Nationale Sicherheit, will die Autoren des Folterberichts der Open Society Foundation verklagen: „Sie werden diese Lügen widerrufen müssen.“
Nur wenige aktive Politiker wagen es, sich der kollektiven Amnesie zu entziehen wie Józef Pinior. „Ich stelle nicht in Abrede, dass man Terrorismus bekämpfen muss“, sagt der Senator, der in den achtziger Jahren zur Untergrundführung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc gehörte, „aber warum gab es solche Gefängnisse in Polen und nicht auf dem Staatsgebiet der USA? Weil die CIA die amerikanische Verfassung nicht brechen wollte. Polens damalige Staatsführung hat die Gefängnisse dagegen gebilligt, weil sie damals offenbar nicht ganz verstanden hat, was man in einer Demokratie tun darf und was nicht. Polen ist schon jetzt gebrandmarkt, weil wir als autoritäres Land gelten. Wenn wir diesen Ruf loswerden wollen, haben wir keine andere Wahl, als mit Straßburg zu kooperieren.“ Man könne im Übrigen auch die eigenen Erhebungen vorantreiben, statt dieselben in die Länge zu ziehen. Litauen und Rumänien, gegen die ähnliche Vorwürfe erhoben werden, haben entsprechende Untersuchungen ergebnislos abgebrochen (Litauen) oder erst gar nicht begonnen (Rumänien).
Piotr Dobrowolski schrieb jüngst über die weltweit einzige Zeitschrift für Exorzismus, die seit 2012 in Warschau erscheint
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