Weiße Fahnen hisst Leszek Miller noch nicht

Polen Die SLD-Regierung ist erkennbar angeschlagen - geschlagen aber kaum

Polens Premier Leszek Miller hat am Wochenende seine SLD-Partei für das Sparprogramm von Wirtschaftsminister Jerzy Hausner gewonnen. Die Drohung mit einem Rücktritt verfehlte ihre Wirkung nicht. Dafür hat Miller nun ein anderes Problem: Wieder einmal wackelt die Koalition. Bei der Abstimmung über Änderungen zum Budget 2004 stimmten zehn Abgeordnete der mitregierenden Demokratischen Volkspartei mit der Opposition. Als Folge wird eine weitere halbe Milliarde Zloty an die krisengeschüttelten Staatsbahnen gehen, statt - wie es die Regierung vorgesehen hatte - für Gesundheitswesen, Kultur und Polizei verwendet zu werden.

Dass ausgerechnet die rechts-liberale Opposition plötzlich ihre Liebe zu den von ihr so oft verteufelten Staatsbahnen entdeckt, ist skurril. Noch skurriler könnte es allerdings werden, wenn Premier Miller die Stimmen aus der Volkspartei dauerhaft abhanden kommen. Dann hätte es der Premier zwar geschafft, die Sparmaßnahmen gegen Kritik aus den eigenen Reihen zu verteidigen, er würde aber womöglich nicht ausreichend Unterstützer haben, um den Sanierungsplan im Sejm beschließen zu lassen.

Auch wenn die Abtrünnigen inzwischen versprechen, in Zukunft wieder brav mit der Koalition zu stimmen, versucht Miller daher vorsichtshalber nach Stimmen außerhalb des Regierungsblock zu suchen. "Die Opposition hat immer wieder betont, wie wichtig ihr die Sanierung des Haushalts ist. Nun hat sie die Gelegenheit zu zeigen, wie ernst sie diese Ankündigung meint", sagt der Premier. Sein Verlangen, für das Hausner-Paket zu stimmen, richtet sich vor allem an die Bürgerplattform (PO), die sich mit Vorliebe als Gralshüterin liberaler Wirtschaftspolitik geriert. Die will sich aber nicht festlegen, strikte Absagen kommen hingegen von der zweiten großen rechten Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Wie die Populisten von Andrzej Leppers Selbstverteidigung und die Europahasser von der Liga Polnischer Familien (LPR) fordert sie Neuwahlen.

Kommt es dazu, sieht es für die Regierung düster aus. Bei gerade 17 Prozent liegt die Koalition - die rechtsliberale PO kommt mit Recht und Gerechtigkeit zusammen auf 38, Leppers Selbstverteidigung auf respektable 18 Prozent. Kündigt sich also ein unrühmliches Ende von Leszek Miller an, der im Herbst 2001 Polens Linke zum größten Triumph führte, den sie je in freien Wahlen errang?

Entschieden ist das nicht. Der Premier hat oft genug bewiesen, mit meisterhaften strategischen Manövern seinen Kopf aus der Schlinge ziehen zu können. Erst vor einer Woche besänftigte er parteiinterne Kritiker, indem er ausgerechnet deren Wortführer, den nicht gerade uneitlen Jozef Oleksy, zum Vizepremier und Innenminister machte. Mehr noch: Auch im monatelangen Konflikt mit Präsident Kwasniewski, der Oleksy stets als Mittel sah, um Miller zu schwächen, gelang es, mit der Kabinettsumbildung verlorenes Terrain zurück zu gewinnen.

Weniger erfolgreich scheint Millers Taktik gewesen zu sein, beim EU-Gipfel in Brüssel gnadenlose Härte zu zeigen. Den meisten Polen unvergessen bleiben die Bilder als der nach einem Hubschrauber-Absturz schwer verletzte Miller im Spital Genesungswünsche der Opposition entgegennahm und gebeten wurde, die "gemeinsame polnische Sache" in Brüssel würdig zu vertreten. Er tat es, doch es wurde ihm von der Mehrheit offenbar nicht besonders hoch angerechnet - zumindest legen das die mageren 17 Prozent in den Meinungsumfragen nahe. Eines ist freilich auch wahr: Niemand weiß, ob ohne Millers Unnachgiebigkeit in Brüssel die Umfragen nicht noch schlechter ausgefallen wären. Schließlich posaunt die Opposition ununterbrochen, es sei jetzt wahrlich nicht an der Zeit, der EU gegenüber die "weiße Fahne zu hissen".

So mag Millers resolute EU-Politik ihm zwar innenpolitisch nicht so stark genützt haben, wie er hoffte, doch geschadet hat sie vermutlich auch nicht. Die von ihm mitgetragene bedingungslose Treue zu den USA schon eher. Gerade jetzt, da die wortreich versprochenen Aufträge für polnische Firmen beim Wiederaufbau des Irak ausbleiben und Präsident Kwasniewski als Bittsteller nach Washington reist, um George Bush wenigstens Lockerungen bei der Visapflicht zu entlocken, wachen die Polen allmählich aus ihrer Kriegseuphorie auf. Feierte man vor kurzem noch die polnische Besatzungszone im Irak als "neuen Bezirk Polens", so stellen sich inzwischen immer mehr Menschen die Frage, was der Irakkrieg Polen außer toten Soldaten brachte. Vor allem der Juniorpartner in der Koalition, die linke Union der Arbeit (UP), bringt das Irak-Engagement auch mit dem Sparprogramm von Minister Jerzy Hausner in Verbindung. "Wäre es nicht sinnvoller gewesen, das Geld, das in den Irakeinsatz floss, für Sozialausgaben zu verwenden?", fragte unlängst ein prominenter Vertreter der Union den Regierungschef.

Freilich: außenpolitische Fehler reichen nicht aus, um den prophezeiten Absturz der Linkskoalition in der Wählergunst zu erklären. Dass Miller mit seiner Wanderung vom eher linken Teil des SLD zur Mitte einen nicht unbeträchtlichen Teil der Stammwähler vergrämte, scheint da schon eher für eine Erklärung zu taugen. Nach dem schlechten Abschneiden des Bündnisses bei den Regionalwahlen von 2002 kündigte er eine Orientierung der Partei zur Mitte an und übte sich überdies in Gesten, die vielen SLD-Wählern sehr sauer aufstießen: Mehrfach ließ er sich zum Beispiel in freundlicher Pose ausgerechnet mit dem einstigen Beichtvater von Lech Walesa, Henryk Jankowski, ablichten. Außerdem hat Polens Premier, wie der Soziologie-Professor und SLD-Vordenker Slawomir Wiatr diagnostiziert, während der Wahlkampagne von 2001 allzu harte Rhetorik betrieben: "Damals hieß es, Menschen suchen nach Essen im Müll, Obdachlose erfrieren auf der Straße und an allem ist die rechte Regierung von Jerzy Buzek schuld. Nun suchen die Menschen weiterhin nach Essen im Müll und erfrieren auf der Straße, und den Leuten fällt allmählich auf, dass sich trotz des Regierungswechsels nicht so viel geändert hat."

Der wortgewaltige Professor mag zwar ein wenig übertreiben. Zumindest eines stimmt aber: Gerade bei einem der Kernpunkte seines Wahlprogramms hat sich die linke Regierung von Leszek Miller bislang nicht gerade mit Ruhm bedeckt. Betrug die Arbeitslosigkeit bei ihrem Amtsantritt 16,8 Prozent, so liegt sie nun bei 17,4. Dass mag nur zum Teil Millers Schuld sein. Dennoch wird ihm gerade von den sozial schwachen Wählergruppen vorgeworfen, die kleinen Leute, um die er einst so sehr warb, verraten zu haben. Nicht umsonst verliert das SLD-Bündnis derzeit die meisten Stimmen an den Populisten Andrzej Lepper, der bereits die zweitstärkste politische Kraft im Lande führt. Lob kommt dafür von ungewohnter Seite. Das betont wirtschaftsliberale Wochenmagazin Wprost lamentierte in der Vorwoche, es wäre schade, wenn Miller ausgerechnet jetzt abtreten müsste. Schließlich habe sich der Mann doch extrem positiv entwickelt - von einem linken Betonkopf, zu einem verantwortlichen Staatsmann, der sich um das Wohl der Wirtschaft zu kümmern wisse.


Polens Sejm 2001 - 2005

ParteiMandate (in Klammern Wahlergebnis 2001 in Prozent)

RegierungslagerSLD-UP (Linksunion/Partei der Arbeit/Volkspartei)218 (41,4)

OppositionPSL (Bauernpartei)41 (8,7)

PiS (Bewegung Recht und Gerechtigkeit/rechtsbürgerlich)47 (9,7)

LPR (Liga Polnischer Familien/nationalklerikal)35 (7,6)

PO (Bürgerplattform/liberalkonservativ)66 (12,8)

Samoobrona (Bauernbewegung "Selbstverteidigung"/radikalpopulistisch)52 (10,0)

Mandate der Opposition241

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