Viele wollen an den Start

HARTE FRONTEN Während die Einwendungsfrist noch lief, haben die Befürworter der schlechtesten Variante schon längst Tatsachen geschaffen

In jeder aufstrebenden Region soll es so sein, und deshalb wächst das Passagieraufkommen auch in den nächsten Jahrzehnten in der Hauptstadt und in Berlin-Brandenburg mindestens in Zehnmillionenschritten. Es muss - ähnlich wie in Frankfurt/Main und München -ein schöner, neuer und vor allen Dingen größerer Flugplatz her. In Berlin soll deswegen im südöstlichen Speckgürtel der Flughafen Schönefeld ausgebaut werden.

Noch 1994 allerdings galt der Ausbau zum Mega-Airport noch als die schlechteste aller sieben diskutierten Varianten. Umso besser, scheinen sich die Spitzenpolitiker des Bundes und der beiden Länder Berlin und Brandenburg 1996 gesagt zu haben, dieser Standort fordert wenigstens unsere gestalterische Kraft heraus - und setzten Schönefeld (inklusive Schließung der beiden Flughäfen Tegel und Tempelhof) gemeinsam auf die Tagesordnung. Viele BürgerInnen in den umliegenden Gemeinden rieben sich verdutzt die Augen und meldeten reihenweise Widerstand an.

Aber was gilt schon die Bürgermeinung, wenn es Wege gibt, sie auszumanövrieren? Wie es sich gehört, konnte zwar jeder Bürger ab 15. Mai diesen Jahres die Pläne einsehen und Einsprüche anmelden, aber er hatte für die siebentausend Seiten gerade einmal 45 Tage Zeit. Selbst sechs Monate, die später aus juristischen Gründen zugestanden wurden, sind dafür eine knappe Frist. Am Ende konnte der Aktenberg nur dank vieler Bürgerinitiativen erfolgreich bewältigt werden. Nun wartet auf die zuständige Einspruchsbehörde, das Landesamt für Bauen, Verkehr und Straßenwesen, viel Lesestoff. Geschätzt 50.000 Personen haben ca. 130.000 Einwendungen gegen den geplanten Großflughafen abgegeben.

Unterdessen werden auf anderen Ebenen längst Tatsachen geschaffen. Der Ausbau war kaum im Gespräch, da meldeten sich schon die ersten Grundstücksspekulanten. Die Länder, auch nicht faul, förderten mit Blick auf den zukünftigen Großflughafen bereits Industrieansiedlungen. Und so mancher kleine Gemeindepolitiker, mit dem Herzen vielleicht sogar gegen den Ausbau vor seiner Haustür, will inzwischen den Zug nicht verpassen und bringt schon einmal Bebauungspläne für Gewerbegebiete unmittelbar an der Flughafengrenze auf den Instanzenweg. Alle glauben fest, dass alle Pläne und Spekulationen aufgehen müssten, sobald erst einmal genug Geld und Zeit in sie investiert wurden.

Inzwischen sind die Fronten verhärtet, auf der einen Seite stehen »Gesundheit« und »Eigenheim« in Waffen, auf der anderen »Arbeitsplatz« und »Gewerbesteuer«, und auch viele Flughafengegner glauben nicht mehr an die Möglichkeit eines Interessenausgleiches, geschweige denn an die Chance, der Ausbau könne freiwillig aufgegeben werden. Aufrufe zum zivilen Ungehorsam machen die Runde, und der Bürgerverein Berlin-Brandenburg, die größte Initiative gegen den Flughafen, will außerdem alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um den Ausbau zu verzögern und schließlich zu kippen.

Für die Politik in Berlin und Brandenburg und ihre forschen Gestalter bedeutet ein freiwilliger Rückzieher aber inzwischen einen zu großen Gesichtsverlust. In dem Projekt steckt schon zuviel Geld, und außerdem gibt es Verbindlichkeiten, die im Fall der Fälle unangenehm aufstoßen würden.

Selbst das ans Absurde grenzende gerichtliche Tauziehen der Bewerber und der für die Vergabe zuständigen Projektplanungsgesellschaft Schönefeld (PPS) änderte nichts an dieser Entschlossenheit. Im Gegenteil! Das Oberlandesgericht Brandenburg holte mit seinem jüngsten Urteil den vor einem Jahr wegen Personalverflechtung mit der PPS gesperrten Gewinner der Ausschreibung, ein Konsortium um den Baukonzern Hochtief, in den Bewerberkreis zurück. Der Clou daran: Vermutlich keiner der Mitbieter bringt auch nur annähernd so viel Erfahrung im Bau von Großflughäfen mit wie die Hochtief-Gruppe.

Die Auseinandersetzungen um den Flughafenausbau sind schon jetzt auf Jahre programmiert. Die Diskussion um die grundsätzliche Orientierung der Verkehrspolitik spielt dabei schon kaum eine Rolle mehr. Dabei wäre es Zeit, einmal jenseits blinder Interessenvertretung zu klären, wie viele internationale Großflughäfen ein Land wie Deutschland überhaupt braucht und verkraften kann. Gerichte verhandeln andere Fragen.

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