Großgrundbesitz mit roter Fahne

Walisische Kohle Die Bergleute von Tower Colliery wickeln ihre Zeche ab und sind dabei bester Laune

Die selbstverwaltete Zeche Tower Colliery in Wales steht vor dem Aus, die Vorräte sind erschöpft. Weiter Kohle zu fördern, hieße unkalkulierbare Risiken eingehen. Nun planen die Bergleute neue Projekte, wollen Anthrazit im Tagebau fördern. Und den Klimakiller Kohle retten?

Unten im Tal sind sie bereits am Aufräumen. Gabelstapler karren mannshohe Rollen in eine Ecke, aufgewickelte Förderbänder, die nicht mehr benötigt werden. In einer Halle stapelt sich allerlei Bohrgerät. In einem Schuppen nebenan legt ein Arbeiter vorsichtig gebrauchte Abbauhämmer nebeneinander. "Das ganze Material ist noch zwei Millionen Pfund wert", sagt er. "So was wirft man nicht einfach weg." Nur auf den hoch geständerten Transportbändern rattert noch Kohle aus dem Schacht in die Wäscherei, wo sie vom Gestein getrennt wird, über ein Band zur Trockenhalle und dann zum Gleisanschluss nördlich der Hauptstraße fließt. Es sind nicht mehr viele Leute zu sehen: Tower Colliery, die einzige von der Belegschaft kontrollierte Zeche Britanniens, haucht allmählich ihr Leben aus.

"Wir fördern derzeit nur noch 300.000 Tonnen im Jahr, halb so viel wie 2006", meint Tyrone O´Sullivan in seinem Büro beim Schachtturm oben am Hügel und hat gute Laune. Schon lange sei die Zukunft nicht mehr so großartig gewesen. "Wir können unseren Enkeln viel bieten", sagt der 62-Jährige. Auf seinem Schreibtisch türmen sich Geschäftspapiere, Broschüren, Flugblätter. An der Wand kleben Zeitungsausschnitte, Bilder von Mahatma Gandhi und Fidel Castro, ein Foto mit Bill Clinton und O´Sullivan, ein Werbeplakat des lokalen Sparvereins, Jack Londons Gedicht über den miesen Charakter des Streikbrechers, der Terminkalender des Rugby-Worldcups. Nur wenige Firmenchefs sitzen in einem so chaotischen Büro. Es haben auch nur wenige Direktoren eine so aufregende Geschichte hinter sich.

Mit 15 fuhr O´Sullivan erstmals in den Schacht, sein Vater, sein Großvater und zwei seiner Onkel starben unter Tage. An allen großen Streiks der Bergarbeitergewerkschaft NUM war er beteiligt. Beim letzten - dem ein Jahr dauernden Arbeitskampf der NUM gegen das drakonische Regiment der Margaret Thatcher 1984/85 - waren die Bergleute von Tower unter O´Sullivans Führung sogar eine Woche länger draußen geblieben als alle anderen. Am wichtigsten aber ist ihm immer noch - auch das zeigen die Bilder an der Wand - die Rückeroberung der Grube.

1994 hatte die konservative Regierung die Stilllegung der Zeche bekannt gegeben; die Vorräte seien erschöpft, argumentierte sie. Doch die Kumpel wussten es besser: Sie legten das Geld zusammen, das sie als Abfindung bekommen hatten, gründeten eine Kooperative, nahmen einen Millionenkredit auf, kauften die Grube - und am 2. Januar 1995 marschierten 239 Bergleute mit einer großen roten Fahne von der Ortschaft Hirwaun hinauf zu ihrer alten Zeche in den Hügeln (s. Freitag 1/05). "Wir haben es damals allen gezeigt", sagt O´Sullivan, "und wir werden wieder zeigen, dass kleine Leute Großes bewegen können."

Das Tower-Experiment wurde zur Erfolgsstory. Die Belegschaft wuchs zwischendurch auf über 350 Beschäftigte; das nahe gelegene Kohlekraftwerk Aberthaw (mittlerweile im Besitz von RWE) schloss langfristige Lieferverträge ab. Die Genossenschaft erwirtschaftete Gewinn, die Genossenschafter zahlten sich überdurchschnittlich hohe Löhne, spendierten Geld für Sozialprojekte, sorgten für sichere Arbeitsbedingungen, es gab nie einen schweren Unfall - und sie stimmten regelmäßig über die Politik der Geschäftsleitung ab.

Nur ein Schatten lag über allem: "Wir wussten von Anfang an, dass der Kohlevorrat begrenzt ist", sagt O´Sullivan. Anfangs hatte er noch mit einer Lebensdauer der Mine bis 2011 gerechnet. Doch dann ("im Bergbau stößt man ständig auf neue Schwierigkeiten") kamen den Bergwerkseigentümern Wasseradern, Gasblasen und rutschende Abhänge in die Quere: "Es wäre zu riskant gewesen, den Abbau weiter voranzutreiben." Und so wird die vielleicht älteste Zeche der Welt - auf dem Gebiet der Tower Colliery wird seit 1808 Kohle gefördert - Ende Januar 2008 stillgelegt.

"Die Zeche wird sterben, doch das Tower-Projekt geht weiter", ist O´Sullivan überzeugt. Er selber wird zwar nichts damit zu tun haben, da er im März in Rente geht, verhandelt aber fast täglich mit möglichen Partnern über verlagerte und ausgeweitete Geschäftsfelder. Die Bedingungen sind günstig. Der Weltmarktpreis für Kohle steigt und steigt, der Bedarf an walisischem Anthrazit (einer hochwertigen, schwefel- und aschearmen Kohle) auch, und die Hügel rund um das Cynon Valley bergen noch viel Brennstoff - schätzungsweise 60 Millionen Tonnen.

Darüber, wie es weitergehen soll, entscheidet die Genossenschaft noch im Dezember. Auf ihrer nächsten Generalversammlung befinden die 230 Anteilseigner der Tower Colliery Ltd. darüber, ob sie die von O´Sullivan geplanten Projekte allein angehen, die Arbeiten und Geschäftsfelder an andere vergeben - oder ob sie alles verkaufen.

Der belegschaftseigenen Firma gehören knapp 200 Hektar Land, das Gebiet reicht vom Schacht am Hügel bis hinunter zur zwei Kilometer weit entfernten Trocknerei. Unter diesem Gelände, auf dem heute Schafe grasen, liegen schätzungsweise drei Millionen Tonnen Anthrazit - Kohle, die nicht im Stollenbetrieb gefördert wird, sondern im Übertagebau, also mit Bagger, Sprengungen und einem Abtransport in großen Lastwagen. Mehrere Firmen haben sich bereits um den Abbau beworben. "Die Belegschaft muss entscheiden, ob wir die Federführung behalten oder nicht", sagt O´Sullivan. Die jährliche Fördermenge von rund einer halben Million Tonnen könnte fünf bis sechs Jahre lang 120 Jobs sichern.

Bei der nahe gelegenen Ortschaft Pontneddfechan lässt derzeit ein Privatunternehmer Stollen in einen Hügel treiben. Dessen Zeche Aberpergwm hat ein Abbaupotenzial von 600.000 Tonnen im Jahr, aber zu wenig ausgebildete Bergarbeiter. O´Sullivan: "Wir kooperieren mit Rhidian Davies, er hat sich 50 Bergleute von Tower ausgeliehen und ist auf uns angewiesen." Jetzt müsse die Gesellschafterversammlung entscheiden, ob sie dort als Partnerin einsteigt. Mittelfristig bietet Aberpergwm 200 Bergleuten eine Zukunft.

Langfristig setzt O´Sullivan jedoch auf eine ganz andere Erschließung des Tower-Geländes. "Die Umgebung ist pittoresk - ein idealer Ort für Wohnraum, für Museen, für Ausbildung und Freizeit." Und für einen "Energiepark", wie er sein Lieblingsprojekt nennt, einen Recyclingbetrieb, der den Zivilisationsmüll nicht - wie sonst in Britannien üblich - nur sammelt, sondern auch aufbereitet. "Und unseren Enkeln bis zu tausend Arbeitsplätze bietet." Die Idee ist so abwegig nicht: Derzeit verhandelt der Tower-Direktor mit sieben Erschließungsunternehmen, die das Terrain sofort kaufen würden.

Nach dem Ende des Tagebaus in sieben oder acht Jahren könne man hier sogar ein Miners´ Institute wieder aufleben lassen - eine jener Einrichtungen, die es bis vor 20 Jahren in jeder südwalisischen Bergarbeitersiedlung gab und die wie einst 600 Schachttürme fast allesamt verschwunden sind: Sie waren Zentren für eine Kultur von unten, Versammlungsorte des Widerstands, wichtiger als die Kirchen.

Auch ein Trainingszentrum ist vorgesehen. In den vergangenen zwölf Jahren haben die Kumpel von Tower Colliery fast 100 Lehrlinge ausgebildet (dazu indische Zechenmanager und Inspekteure). Drei Dutzend Tower-Bergleute sind derzeit in der südenglischen Stadt Bath mit einem Tunnelbau beschäftigt, um die von heißen Wassern unterspülten Stadtteile vor einem Einbruch zu bewahren.

"Ohne Tower hätte die walisische Bergwerksindustrie keine Chance mehr gehabt", sagt Tony Lane, bis vor kurzem Professor an der Universität Cardiff. "Sie haben ausgebildet und der gesamten Region allein schon deswegen einen verdammt guten Dienst erwiesen."

Erweisen sie auch der Umwelt einen Dienst, wenn sie die Zeche Aberpergwm und das Tagebauprojekt auf eigenem Gelände vorantreiben? "Mehr als die Labour-Regierung, die zehn neue Atomkraftwerke plant", reagiert O´Sullivan. Außerdem importierten die Energiekonzerne weit über die Hälfte der für die Stromerzeugung benötigten Kohle aus dem Ausland (britische Kohlekraftwerke produzieren ein Drittel des gesamten Strombedarfs). Dank des Aufschwungs der walisischen Kohleindustrie - westlich von Aberpergwm werden Flöze exploriert, im weiter östlich gelegenen Merthyr Tydfil baggert seit Wochen eine Tagebaufirma die Erde ab - könne man zudem Einfluss auf die Politik nehmen, endlich Kohlendioxid-Endlager in Betracht zu ziehen.

Die technischen Möglichkeiten einer CO2-Verbunkerung, etwa in leer gepumpten Gasfeldern, seien vorhanden, glaubt Tyrone O´Sullivan, es fehle nur am politischen Willen: "Die CO2-Emissionen kann man kontrollieren. Das ist zwar teuer, aber längst nicht so teuer wie die geplanten Kernkraftwerke." Den Widerspruch - hier lokale Jobs, dort das globale Klima - will er gar nicht wegdiskutieren, natürlich müsse es Druck geben, damit der Energieträger Kohle endlich umweltfreundlich genutzt wird. Natürlich müsse man neue Technologien entwickeln und die dann den Kollegen in China und Indien vermitteln, wo derzeit das Gros der pro Jahr geförderten Kohle (rund fünf Milliarden Tonnen) verbrannt wird. "Aber der Druck muss von unten kommen." Und wer kann den besser erzeugen als Mitglieder einer politisch aktiven Produzentengemeinschaft? Die global denkt und die Bedürfnisse vor Ort nicht aus den Augen verliert. Denn so viel steht fest: Ohne die vielen Pläne der Tower-Genossenschaft hätten die Jugendlichen im Cynon Valley kaum eine Zukunft.

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