Lange hat er gewartet, am Schluss sprang er doch - und vielleicht könnte ihm genau dies die Haut retten. Mit dem milliardenschweren Rettungspaket und der Teilverstaatlichung mehrerer Großbanken hat der britische Premier Gordon Brown etwas getan, was vor kurzem noch niemand von dem ewigen Zögerer erwartet hätte. Bisher waren alle Regierungschefs der Londoner City eher unterwürfig gegenübergetreten; für sie war die Quadratmeile des Geldes, wo die wichtigsten Finanzinstitute diesseits des Atlantiks ihren Sitz haben, das Maß aller Dinge. Und nun dieses schneidige Vorgehen, das selbst den Gewerkschaften Respekt abringt: Brown habe "Führungskraft und Entschlossenheit in einer Zeit großer Verunsicherung" gezeigt, lobte Derek Simpson, Ko-Vorsitzender der Mammutgewerkschaft Unite. Die Regierung müsse nun auch in der Wirtschaft investieren, um Jobs zu retten.
Ist Gordon Brown tatsächlich über seinen Schatten gesprungen? Hat er in der Krise seine sozialdemokratische Seele wiederentdeckt? Ausgerechnet er, der als Schatzkanzler an seinem allerersten Arbeitstag 1997 jede Regierungskontrolle über das Staatsunternehmen Bank of England aufgab, mit seinen Public Private Partnerships die öffentliche Hand durchkommerzialisierte und die Teilprivatisierung der Londoner U-Bahn durchboxte?
Browns Modell einer Blankogarantie für das Finanzwesen macht zwar europaweit Schule - aber was wird, sollte das Schuldversprechen auch eingelöst werden müssen? Wer zahlt dann? Wer kommt für die 500 Milliarden Pfund (635 Milliarden Euro) auf, die sein Rettungsplan kostet? Immerhin sichert die Bank of England die Liquidität anderer Banken mit 200 Milliarden Pfund und garantiert für die Refinanzierung neuer Schuldverschreibungen 250 Milliarden.
Zudem hat die Regierung den Kreditinstituten 50 Milliarden Pfund zur Verfügung gestellt, für die sie Bankanteile erhält. 37 Milliarden davon werden bereits in Anspruch genommen, 20 Milliarden allein von der Royal Bank of Scotland (RBS), noch vor kurzem europaweit eines der profitabelsten Häuser, inzwischen zu 60 Prozent im Besitz des britischen Staates. Ein Exempel dafür, wie Browns Rettungsplan auf diverse Teilverstaatlichungen hinausläuft, so dass der Staat inzwischen Anteile bei drei der fünf größten britischen Banken hält. Freilich hat das absolut nichts mit einer Vergesellschaftung des Finanzwesens zu tun. Gordon Brown tritt auf wie ein Investor, der billige Aktien kauft, um sie später - so wird beteuert - wieder zu verkaufen: ein Reparaturakt, kein Umbau des Systems. Daher kam der Auftritt des Premiers beim Gipfel der Eurostaaten am Wochenende gut an, denn alle wollen doch irgendwie, dass alles möglichst bald wieder so wird, wie es war. Ein paar Manager werden gefeuert, überzogene Boni wohl gekürzt, neue Regeln erlassen - das gebietet schon die politische Vernunft. Aber sonst?
Brown ist kein Visionär - trotz der Hoffnungen, die moderate Labourlinke immer noch hegen. Weil er in den "freien Markt" nicht eingreifen wollte, zögerte er im Vorjahr lange, die vom dramatischen Verfall der Immobilienpreise schwer gezeichnete Bank Northern Rock zu nationalisieren; ähnlich verhielt er sich bei der Notverstaatlichung des Hypotheken-Finanziers Bradford Bingley. Ausschlaggebend war nicht nur Labours ideologische Nähe zum Neoliberalismus, sondern auch die Rolle, die der Finanzplatz London für die britische Ökonomie spielte, seit nach dem Zweiten Weltkrieg der Gegensatz zwischen Finanz- und Industriekapital zusehends schärfer wurde.
Das von den Finanzhäusern der Londoner City im einstigen Kolonialreich angelegte Geld erzielte sehr viel höhere Renditen als das in der Industrie investierte Kapital. Die Dritte Welt auszubeuten, war von jeher lukrativer, als Maschinen zu bauen. Dazu kam eine Währungspolitik, die sich wohl am Pfund Sterling orientierte, die Exportinteressen britischer Produzenten aber vernachlässigte, bis immer mehr Industrieunternehmen verschwanden. Verschärft wurde diese Politik noch von Margaret Thatcher, die in ihrer ersten Amtshandlung als Premierministerin im Mai 1979 die staatliche Kontrolle des Kapitalverkehrs aufhob, später den Geldhandel völlig liberalisierte und Staatsfirmen an der Börse verhökern ließ.
Dieses Vermächtnis macht den britischen Konservativen jetzt schwer zu schaffen. Ausgerechnet Thatcher, die von vielen Tories wie eine Heilige verehrt wird, verdarb dem hoffnungsfrohen Oppositionsführer David Cameron die große Party, die zum Parteitag-Kongress vor zwei Wochen eigentlich hätte steigen sollen. Da lagen die Konservativen in den Meinungsumfragen noch 20 Prozent vor Labour. In seiner Grundsatzrede sprach Cameron zwar von allem Möglichen, hatte aber für den Finanzcrash nur Nebensätze reserviert. Was hätte er auch sagen sollen?
Seither schweigt die Opposition oder stimmt fast allem zu, was Gordon Brown vorschlägt. Schattenkanzler George Osborne übt zwar noch verhaltene Kritik am Premierminister ("er ist zuständig für die Krise"), aber die Ursachen des Desasters zu nennen, vermeidet er. Die mutmaßliche Handlungsunfähigkeit der zerstrittenenen Labourpartei war monatelang das große Plus der Konservativen - jetzt stehen sie am Rande des Geschehens.
Denn der Premierminister hat auch seine innerparteilichen Kritiker ausmövriert, indem er den EU-Handelskommissar Peter Mandelson als neuen Business-Minister ins Kabinett holte und damit einen der umstrittensten Labour-Politiker reaktivierte, der maßgeblich den Rechtsschwenk der alten Gewerkschaftspartei betrieben hatte. Mandelson saß zweimal als Minister in Kabinett von Tony Blair und musste beide Male gehen, weil er Amt und Geld nicht trennen konnte. Er unterhält zuweilen dubiose Kontakte zur Finanzwelt - und wurde vielleicht gerade deswegen von Gordon Brown als Lord Mandelson ins Oberhaus befördert (in Großbritannien müssen alle Regierungsmitglieder einer Kammer der Legislative angehören). Die Berufung zeigt die Richtung, in die Brown steuert: Neutralisierung jedweder Opposition auf parlamentarischer Ebene - mit anderen Gegnern hat der neue, sich stark fühlende Krisenmanager ohnehin nicht zu rechnen.
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