Nicht ganz geheuer

Nordirland Eine ruhige Marschsaison geht zu Ende. Aber ist die britische Armee wirklich abgezogen?

Zwei oder drei große Paraden noch, dann ist die in der Vergangenheit so konfliktträchtige Marschsaison vorbei. Die vor wenigen Jahren noch heftig umkämpfte Parade des protestantischen Oranier-Ordens zur Kirche von Drumcree verlief 2007 weitgehend friedlich. Der 12. Juli - an diesem Tag feiern die nordirischen Protestanten den Sieg ihres Königs Wilhelm III. über den Katholiken Jakob II. in der Schlacht am Boyne 1690 - war ein ruhiger Feiertag mit Umzügen und viel Bier. Auch die Gedenkumzüge der Katholiken am 9. August (sie erinnern an den Beginn der britischen Internierungspolitik 1971) fanden kaum Widerspruch. Sind also alle friedlich in Nordirland?

Nicht ganz. In Derry etwa hatten Ende Juli junge Katholiken eine Polizeieinheit mit Sprengsätzen angegriffen; die Polizisten antworteten mit CS-Gas. Vergangene Woche wiederum warfen katholische Jugendliche gleich mehrere Tage hintereinander Pflastersteine und Flaschen gegen eine Gedenkstätte der radikal-protestantischen Apprentice Boys. Der Polizei zufolge verstärken zudem dissidente irisch-republikanische Organisationen, die den Waffenstillstand der IRA nie wirklich toleriert haben, ihre Rekrutierungsbemühungen - und das mit Erfolg.

Die Good Guys von einst

Doch der Hader mit frustrierten Jugendlichen aus den katholischen Armutsquartieren ist banal, verglichen mit den Konflikten, die eine immer noch vorwiegend protestantische Polizei mit den pro-britischen Paramilitärs austrägt. Besonders die Ulster Defence Association (UDA), mit rund 20.000 Mitgliedern größter loyalistischer Verband, liefert den Polizisten fast schon regelmäßig größere Straßenschlachten. Vor drei Wochen schoss ein UDA-Mitglied im protestantischen Carrickfergus einen Polizisten an. Für derartige Unruhen, über die außerhalb Nordirlands kaum berichtet wird, gibt es mehrere Gründe: Seit rund einem Jahr herrscht Krieg zwischen zwei UDA-Flügeln, die um Einkünfte aus Drogenhandel, Prostitution und Schutzgelderpressung streiten. Dazu kommt, dass vielen in den protestantischen Quartieren der plötzliche Friedenskurs der Democratic Unionist Party (DUP) des heutigen Ersten Ministers Ian Paisley nicht ganz geheuer ist.

Zudem glauben sich die Paramilitärs immer noch von denen gedeckt, die sie jahrzehntelang ausgerüstet und angeleitet haben - die Geheimdienste der britischen Armee und nordirischen Polizei. Dass die Polizei bei dem Bemühen, ein unparteiisches Staatsorgan zu werden, ihre Handlungen nun ebenfalls kontrollieren will, sorgt für Irritationen. Denn bisher haben weder die Regierung in London noch die protestantisch-unionistischen Parteien in Belfast eine Entwaffnung der UDA und der ebenfalls gut gerüsteten Ulster Volunteer Force (UVF) auf die Tagesordnung gesetzt. Schließlich waren das mal ihre "guten Jungs" - trotz der vielen Morde und Massaker, die UDA- und UVF-Mitglieder begingen.

Mit sehr viel mehr Pompöse ging dafür der "Abzug der britischen Truppen aus Nordirland" über die Bühne. Ende Juli endete die Operation Banner, die mit 38 Jahren längste "Mission" der britischen Militärs. Seit 1969, als eine hilflose Labour-Regierung die Armee nach Nordirland schickte, waren dort bis zu 28.000 Soldaten im Einsatz - insgesamt verrichteten etwa 300.000 in rund hundert Kasernen einen Dienst, der - wie ein ehemaliger Soldat später in einem Roman schrieb - "uns verhasst machte", weil "wir wie die Gestapo agierten" und "morgens um drei Uhr Türen eintraten". Über 700 Soldaten starben in dieser Zeit; mehr als 300 Personen wurden von den Briten getötet, rund die Hälfte davon Zivilisten, die mit Paramilitärs nichts zu tun hatten.

Doch aus britischer Sicht lohne sich der Einsatz auch deswegen, weil die Armee allmählich auf ihre Kolonialerfahrung zurück griff und nicht nur lernte, wie der Gegner zu denken, sondern auch, dessen Strukturen zu kontrollieren. Die IRA, das weiß man inzwischen, war seit Anfang der achtziger Jahre von Spitzeln durchsetzt.

Zwei Friedensprozesse

Verschwunden ist die Armee jedoch nicht. Zwar wurden die Wachtürme an der inneririschen Grenze geschleift, aber von den zuletzt 5.600 in Nordirland stationierten Soldaten bleiben weiterhin 5.000 in der Provinz, um für den Irak und Afghanistan zu trainieren.

Sollte es zu einem erneuten Einsatz in Nordirland kommen, gelten weitgehende Befugnisse. Anders als in Britannien dürfen Armee und Polizei jeden anhalten und befragen. Wer den Soldaten seinen Namen nicht nennt, riskiert eine Geldstrafe von bis zu 7.500 Euro und wird womöglich in das neue Hauptquartier des britischen Inlandsgeheimdienstes geschleift, das derzeit an der Peripherie von Belfast gebaut wird - das größte MI 5-Gebäude nach der Zentrale in London.

Die Operation Banner sei "einer der erfolgreichsten Einsätze einer entwickelten Nation gegen irreguläre Kräfte" gewesen, sagt der ehemalige Generalstabschef Michael Jackson. Dem stimmt sogar Tommy McKearney zu, der als IRA-Mitglied im Untergrund kämpfte und vom britischen Geheimdienst gefoltert wurde. "In Nordirland spielt die nationale Frage keine Rolle mehr". Jetzt gehe es hier, wie in andern kapitalistischen Gesellschaften, "vor allem um soziale Konflikte zwischen reich und arm. Die Immobilienpreise steigen, der Wohlstand nimmt zu, aber unten herrscht immer noch das blanke Elend."

Bernadette Devlin McAliskey, die sich seit den sechziger Jahren für Bürgerrechte einsetzt, ist derselben Meinung. "Es gibt zwei Friedensprozesse" - sagt sie - "der eine oben, gesteuert von den Briten, die alle in Verhandlungen zwangen, die ihrer Meinung nach relevant waren. Und der unten, der zwischen den Gemeinschaften." Für den aber habe sich London bisher kaum interessiert.


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