Am 26. November ließ die britische Regierung in Nordirland wählen, um die seit längerem suspendierte Regionalregierung zu aktivieren. Erstmals seit Abschluss des Karfreitagsabkommens von 1998 setzten sich bei diesem Votum die Democratic Unionist Party (DUP) auf pro-britisch unionistischer Seite und die Sinn Féin-Partei im Lager der irischen Nationalisten durch. Die DUP lehnt nicht nur den Friedensprozess ab, sondern weigert sich in Gestalt von Parteichef Ian Paisley auch, Gespräche mit dem katholischen "Erzfeind"aufzunehmen, insofern ist eine Regierungsbildung in Belfast mehr denn je blockiert.
Er war schon oft totgesagt worden nach all dem, was er angerichtet hat mit seinem Hass auf die katholische Bevölkerung, seiner Hetze gegen Andersdenkende, seiner Unterstützung für protestantische Killerkommandos und seiner Skepsis gegenüber den Regierungen in London und Dublin. Keine andere Person hat im Laufe des langen nordirischen Konflikts so viel Schaden angerichtet - und doch läuft jetzt gar nichts mehr ohne Ian Richard Kyle Paisley, mittlerweile 77 Jahre alt. Der Gründer der Kirche der Freien Presbyterianer (1951) und der Democratic Unionist Party DUP (1971) steht nun ganz oben auf dem Gipfel der Macht. Und da holt ihn so schnell niemand herunter. Auch kein Tony Blair, der noch vor Weihnachten versucht hat, den protestantischen Prediger umzustimmen und zu Gesprächen mit seinen politischen Widersachern zu bewegen. Paisley blieb hart: Mit dem Teufel redet man nicht.
Nur die anderen sind schuld
Das müsste er aber tun, um den Friedensprozess wieder in Gang zu setzen. Denn in den Wahlen zur nordirischen Versammlung Ende November 2003 hat Paisleys DUP die ebenfalls protestantische Ulster Unionist Party (UUP) des früheren Regionalpremiers David Trimble überholt. Das ist insofern von Relevanz, als das Karfreitagsabkommen von 1998 die Zusammensetzung der Regionalregierung genau vorschreibt. So muss die größte Partei Nordirlands - in diesem Fall die pro-britische DUP - den Ersten Minister stellen, während die stärkste Partei der anderen, pro-irischen Seite dessen Stellvertreter nominiert. Der kam bisher von der gemäßigten katholisch-sozialdemokratischen SDLP, doch wurde die bei der Regionalwahl von der IRA nahen Partei Sinn Féin überholt. Die DUP, die das Karfreitagsabkommen seit Anbeginn ablehnt, müsste sich zur Regierungsbildung demnach mit jenen zusammen setzen, die sie als größten Feind begreift - Paisley hatte vor der Wahl verkündet, das werde er nie zulassen.
Bevor er mit den irischen Republikanern rede, so Ian Paisley, müssten sich die IRA auflösen und gleich noch Sinn Féin. Vorher käme ein Gespräch mit Sinn-Féin-Politikern nicht in Frage. Eine verblüffende Logik. Aber auf Logik und rationale Argumente kam es bisher auch nicht immer an. Wäre Logik ausschlaggebend gewesen, hätte eine Mehrheit der protestantisch-unionistischen Bevölkerung für die moderate UUP des Friedensnobelpreisträgers Trimble stimmen müssen. Der hatte bis zuletzt gegen alle Angriffe aus Paisleys Ecke am Karfreitagsabkommen festgehalten, das sicherstellt, was die überwältigende Mehrheit der nordirischen Protestanten wünscht: Die Beibehaltung der Union Nordirlands mit Britannien. Aber warum gewannen dann die Fundamentalisten der DUP die meisten Sitze?
Weil die es geschickt verstanden, die tiefsitzende Selbstgerechtigkeit der Protestanten zu mobilisieren. Um das Karfreitagsabkommen auch für die pro-irische Seite - SDLP, IRA und Sinn Féin - akzeptabel zu machen, waren nämlich einige Konzessionen nötig: die Freilassung der politischen Gefangenen, die Reform der bisher fast ausschließlich protestantischen Polizei RUC, die Einrichtung grenzüberschreitender irisch-irischer Gremien, die Beteiligung von Sinn Féin an der Regierung. All dies ging vielen Protestanten entschieden zu weit. Für sie waren und sind nur die anderen schuld an dem fast 30 Jahre schwelenden De-facto-Bürgerkrieg: Die Katholiken und "deren" IRA.
Mit der Wahl ist die politische Blockade zum Dauerzustand geworden. Bereits im Oktober 2002 hatte London die Belfaster Regionalregierung suspendiert, weil Trimble unter dem Druck der Hardliner der mitregierenden Sinn Féin ein Ultimatum stellte, das die Republikaner nicht hinnehmen konnten. Seither wird Nordirland wieder von London aus verwaltet. Da Paisley direkte Gespräche mit Sinn Féin kategorisch ausschließt, hat Nordirland nun ein Geisterparlament. Denn nach den Regeln des Karfreitagsabkommens muss das Regionalparlament spätestens sechs Wochen nach seinem Zusammentreten eine Exekutive wählen. Gelingt dies nicht, kommt es automatisch zu einer Neuwahl. Da daran niemand ein Interesse hat, tritt die Versammlung gar nicht erst zusammen. Das bedeutet, Britannien wird auch weiterhin über sämtliche nordirischen Belange befinden. Paisley und seinem Anhang ist das nur recht: Die DUP sieht in der Direktverwaltung immer noch die beste Garantie für die Fortdauer der britischen Präsenz. Von ihr erhoffen sich die unionistischen Hardliner zudem eine Rückkehr zur guten alten Zeit protestantischer Herrlichkeit.
Da ist immer noch Paisley junior
Das Karfreitagsabkommen sei so gut wie tot, hat die DUP nach ihrem Sieg verkündet. Man werde dank der neuen Stärke einen völlig neuen Vertrag aushandeln. Der DUP kommt zupass, dass schon vor längerer Zeit eine Überprüfung des Karfreitagsabkommens vereinbart worden war; die Gespräche dazu sollen in den nächsten Tagen beginnen. Allerdings ist kaum anzunehmen, dass eine der anderen Parteien der DUP entgegen kommt, denn das hieße, die eigene Basis vor den Kopf zu stoßen. Die Sinn-Féin-Führung um Gerry Adams zum Beispiel hat in der Vergangenheit immer wieder auf positive Elemente des Vertragswerks verwiesen, um skeptische IRA-Mitglieder vom Nutzen des politischen Prozesses zu überzeugen: Die neu installierten irisch-irischen Gremien seien ein erster Schritt hin zur Wiedervereinigung mit Irland, so Sinn Féin, da brauche es einen bewaffneten Kampf nicht mehr. Die DUP fordert die Abschaffung dieser Institutionen.
Noch hoffen die Regierungen in Dublin und London, in der DUP möge sich der pragmatische Flügel um den stellvertretenden Vorsitzenden Peter Robinson gegen die theokratische Mehrheit durchsetzen. Schließlich saßen in der letzten Regierung auch zwei DUP-Minister, die dem Vernehmen nach gut mit den beiden Sinn-Féin-Ministern auskamen (darunter der Ex-IRA-Kommandant Martin McGuinness). Aber noch gibt Paisley den Ton an. Und falls er mal schwach werden sollte, ist da immer noch Ian Paisley junior: Der 47-Jährige hat bei der Wahl im November fast so viele Stimmen geholt wie sein Vater.
Pit Wuhrer ist Autor des Buches Die Trommeln von Drumcree. Nordirland am Rande des Friedens. Rotpunktverlag Zürich, 2000
Wahlergebnis in Nordirland vom 26. November 2003
in %
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.