Sechs Jahre am Megafon

Grossbritannien Seit Juni 2001 steht Brian Haw vor dem Unterhaus und protestiert gegen Tony Blairs Irak-Politik

Tony Blair wird vieles vermissen, wenn er in zwei Wochen sein Amt aufgibt - aber nicht den Mann, dessen Gegenwart der scheidende Premier seit sechs Jahren ertragen muss. Denn auch als einfacher Abgeordnete kommt Blair nicht ins Parlament, ohne Brian Haw zu sehen und vor allem zu hören. Der wird nämlich über den 23. Juni hinaus vor dem Londoner Unterhaus sitzen, "Verurteilt die Kriegsverbrecher! Verurteilt Tony Blair!" ins Megafon rufen, und den Abzug der Briten aus dem Irak verlangen.

In dieser Woche ist es genau sechs Jahre her, dass der 58-jährige Familienvater mit den vielen Antikriegs-Buttons auf dem Stahlhelm seinen Protest auf dem Parliament Square begann. Damals demonstrierte er noch allein gegen die von den USA und Britannien verhängten Irak-Sanktionen, wurde dann aber, mit Kriegsbeginn im März 2003, zu einem Symbol des Abscheus über diesen Akt der Gewalt. Als der Fernsehsender Channel 4 kürzlich die Zuschauer abstimmen ließ, welche politische Person sie 2006 am meisten inspiriert habe, votierten 54 Prozent für Haw - nur acht für Blair respektive sechs für den konservativen Oppositionsführer David Cameron.

"So viele Menschen und so viele unschuldige Kinder sind in den vergangenen Jahren von Blair und Bush getötet worden", hatte Haw schon vor Jahren dem Freitag gesagt (Ausgabe 48/04), und da das Morden weitergehe, müsse er bleiben: "Wir alle tragen eine Verantwortung für eine Politik, die Hunderttausende das Leben gekostet hat und immer noch kostet." Sein Beitrag sei bescheiden. Er wolle nur irgendwann vor seine sieben Kinder treten und sagen können: "Ich hab es zu verhindern versucht."

Seit 2.191 Tagen trotzt der bekennende Christ rund um die Uhr Wind und Wetter - brütender Hitze im Sommer, klammer Kälte im Winter, Dauerregen zwischendurch. Er erfährt viel Zuspruch (jeden Tag kommen Sympathisanten), aber auch Ablehnung. 2003 wurde er gleich zweimal geschlagen - einmal von einem Mitarbeiter der US-Botschaft in London, das andere Mal von britischen Soldaten und einem Israeli. Am meisten aber schikanierte ihn der britische Staat.

So hatte die für den Parliament Square zuständige Stadtverwaltung von Westminster City gleich zu Beginn zwei Verfahren gegen ihn angestrengt: seine Präsenz auf dem Trottoir gegenüber dem Unterhaus verstoße gegen die Straßenverkehrsordnung, seine Plakate mit Fotos verstümmelter irakischer Kinder seien "unerlaubte Werbung". Ein High Court verwarf die Anschuldigungen: Haw nehme nur sein Recht auf Meinungsäußerung wahr. Der größte Angriff aber ging von der Regierung aus. 2005 erweiterte sie das neue "Gesetz gegen das Organisierte Verbrechen" (Socpa) um einen Paragrafen, der sich direkt gegen Haw richtete: Es hob das Demonstrationsrecht vor dem Parlament auf, Proteste in einer Entfernung von bis zu einem Kilometer seien nur unter Auflagen erlaubt. Haw widersetzte sich diesem Passus - und bekam Recht. Für ihn gelte der Socpa-Paragraf nicht, urteilte ein High-Court-Richter, da er seinen Protest vor Inkrafttreten des Gesetzes begonnen habe. Im Mai 2006 obsiegte jedoch der Innenminister. Das Gesetz könne auch rückwirkend angewandt werden, verkündete ein Appellationsgericht. Daraufhin beschlagnahmte die Polizei in einer Nachtaktion Haws mittlerweile 60 Meter breite Plakatwand, erlaubte ihm aber (viele Polizisten sympathisieren mit ihm) eine Fortsetzung des Protests. Im Januar 2007 verurteilte ein weiteres Gericht diese Polizeiaktion als rechtswidrig - so steht Brian Haw immer noch da.

Inzwischen ist sein Protest auch in der Kulturwelt angekommen. Seit Januar zeigt die Tate Gallery eine Installation von Mark Wallinger, der in Tate Britain - also noch innerhalb des Bannkreises - viele von Haws konfiszierten Postern und Friedensfahnen aufgestellt hat. Anfang Mai wurde diese Installation für den Turner Prize nominiert. Wallinger gilt als Favorit für diese wichtigste britische Auszeichnung für moderne Kunst.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden