Letztes Jahr haben sie das Lager umstellt, und dann sagte der kommandierende Polizist: Ich nehme alle elf von euch fest." Juliet McBride gluckst vor Lachen, als sie die Geschichte erzählt. "Danach herrschte Chaos, ein paar verschwanden im Unterholz, die Polizisten jagten allen nach, verfrachteten uns in einen Minibus und brachten uns auf die Wache." Dort aber kamen nur zehn Frauen an. Auch ein zweites Durchzählen half nichts: Zehn Frauen hatten sie festgenommen, nicht elf. "Und damit war die Verhaftung rechtsunwirksam", erzählt McBride - "sie mussten uns alle gehen lassen".
Es geht lustig zu auf dem Frauenfriedenscamp von Aldermaston, insbesondere wenn die Frauen von den Aktionen der Staatsmacht berichten. Ein scharfer Wind schiebt Regenschauer von Westen heran, der Rauch des kleinen Feuers dreht sich in alle Richtungen. Auf dem kleinen Wiesenstück am Kreisel der A 340 knattert eine blaue Plane, die bei einem Regenguss notdürftigen Unterschlupf bietet, daneben steht ein Zelt. Zwei neue Betonpfosten markieren die Grenze zwischen dem öffentlich zugänglichen Gelände und dem Gebiet des Verteidigungsministeriums MOD. An dessen Zaun wehen vier Transparente und die bunte Peace-Fahne: "No Nukes", steht auf einem der Banner, "Aldermaston Peace Women´s Camp" auf einem anderen. Hinter dem Zaun und dem Gebüsch liegt ein Helikopter-Landeplatz, und dahinter erheben sich die Produktionsanlagen, Testlabors und Lagerhallen der britischen Atomwaffenfabrik Aldermaston.
Von Greenham nach Fairford
Juliet McBride und Shane (die ihren richtigen Namen nicht nennen will) sind seit gestern hier. Julia, die in Southampton arbeitet, kommt gerade an. Drei weitere Frauen haben ihr Kommen angekündigt. Shane und Juliet sind erfahrene Camperinnen. Seit 23 Jahren schlagen sie einmal im Monat am Grenzzaun von Aldermaston ihr Friedenscamp auf. Davor waren sie in Greenham Common dabei, beim Frauenwiderstand gegen die dort stationierten US-Marschflugkörper Cruise Missiles. Und zwischendurch, zu Beginn des Irakkrieges, hatten sie wochenlang den US-Luftwaffenstützpunkt Fairford belagert, von dem aus die US-Bomber in Richtung Bagdad starteten und immer wieder "die Lage inspiziert", wie sie es nennen: Sie drangen in das schwer gesicherte Gelände ein, rannten aufs Rollfeld, störten den Bomberverkehr.
Danach kehrten sie nach Aldermaston zurück. "Viele hatten gegen die Cruise Missiles und den Irakkrieg protestiert, weil sie gegen die Dominanz der USA waren", sagt Shane. In Aldermaston hingegen geht es gegen die britische Bombe. Und gegen die Modernisierung der britischen Atom-U-Boot-Flotte, die die Labourregierung vor kurzem beschlossen hat, obwohl über siebzig Prozent der Bevölkerung dagegen waren. Bis zu 76 Milliarden Pfund könnte die Aufrüstung kosten - die Opfer und die Schäden eines möglichen Atomskriegs nicht mitgerechnet.
Vier Mal hatten die Friedenscamperinnen in den letzten zwei Jahren umziehen müssen. Immer wieder erlassen das MOD und die örtlichen Behörden - im kleinen, wohlhabenden Dorf Aldermaston und in den benachbarten Ortschaften Tadley und Burghfield leben viele von der Atombombenfabrik - neue Verfügungen, um die Protestfrauen zu vertreiben. "Aber jetzt haben sie sich selbst in den Fuß geschossen", lacht Juliet McBride und winkt einem Auto nach, das zustimmend hupend durch den Kreisel fährt. "Wir waren noch nie so öffentlich präsent.". Hin und wieder brüllen auch Autofahrer aus dem Fenster: "You are a bloody nuissance. Verpisst euch." Aber die freundliche Huperei überwiegt, selbst hier im konservativen Süden.
Präsenz ist gut, Action ist wichtiger: Direkte Aktion und keine Gewalt. Warum? "Ich muss das tun, weil es getan werden muss", sagt Juliet McBride, mittlerweile Großmutter von zwei Enkeln. "Seit ich weiß, was da passiert, kann ich es nicht geschehen lassen." So einfach ist das. Beiläufig verweist sie auf die zunehmende Privatisierung der britischen Atombombenfabrikation. Die wird bisher vom MOD, dem US-Unternehmen Lockheed Martin, dem privaten Dienstleistungskonzern Serco und der staatlichen Atomagentur BNFL betrieben. Doch BNFL, die auch die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield unterhält, will aussteigen. Die Labourregierung sucht jetzt nach einem privaten Investor.
Klettern für den Frieden
McBride kann gut klettern. Die Technik hat sie in den achtziger Jahren gelernt, als sie sich noch um ihre vier Kinder kümmern musste und die Frauencamps von Greenham Common nur kurz besuchen konnte. Mehrere Dutzend Mal hat sie in den letzten Jahren die drei Zäune von Aldermaston überstiegen. Der erste Zaun sei einfach, ein schlichtes Maschendrahtgeflecht mit nach außen geneigten Stacheldrahtreihen oben. Für den zweiten hingegen, sagt sie, hätten sich die Behörden was einfallen lassen: Eine Stahlplatte mit kleinen Öffnungen, in die nicht einmal ein kleiner Finger passt - und oben eine bewegliche, rasiermesserscharfe Nato-Stacheldrahtrolle. "Ein nettes Design, aber mit einem Konstruktionsfehler."
Denn an den Stützen, die den Zaun stabilisieren, komme sie gut hoch und müsse sich dann nur noch unter der Stacheldrahtrolle durchwinden. Der Rest sei ein Kinderspiel - "und schon ist man drin". Man muss nur wollen. Einmal sei sie sogar bis zum Laserkomplex vorgedrungen, wo Atomexplosionen simuliert und neue Bomben ausprobiert werden.
Ein bisschen Stolz schwingt in ihrer Stimme schon mit, wenn sie das erzählt. "Vor kurzem ist mir zugetragen worden, dass sich der US-Botschafter beim MOD nach mir erkundigte." Der wollte wissen, was aus der Granny, der Großmutter, geworden sei, "die all eure Sicherheitslücken aufspürt". Auf diesen Service, sagt Juliet McBride, "müssen die jetzt verzichten". Vor einem Jahr hat die Labour-Regierung ein neues Gesetz erlassen, das aus dem bisher nur zivilrechtlich einklagbaren "schweren Hausfriedensbruch", wie das illegale Betreten von Militärgelände definiert wird, eine Straftat macht. Und da hört McBrides spielerischer Widerstand auf.
Rund 160 Mal wurde Juliet McBride in den letzten dreißig Jahren festgenommen und auf Polizeiwachen geschleppt (Shane schätzt die Zahl ihrer Festnahmen auf 300). 89 Mal wurde McBride vor Gericht geladen. Aber hingegangen ist sie nie. Die meisten Anklagen scheiterten schon im Vorfeld - sie wurden von der Staatsanwaltschaft verworfen, weil die Erlasse des MODs nicht gesetzeskonform waren. Oder weil sie kein öffentliches Verfahren wollte. "Großmutter düpiert das mächtige Verteidigungsministerium", solche Schlagzeilen wollten selbst die konservativen Herren der britischen Justiz nicht lesen. So kam es nur drei Mal zum Prozess.
Der erste Ostermarsch
Wie McBride ist Pat Arrowsmith eine Veteranin. Die 78-Jährige, die im Londoner Büro der Campaign for Nuclear Disarmament (CND) Briefe eintütet, ans Telefon geht und immer wieder als Rednerin auftritt, hat schon alles erlebt. Sie war dabei, als Anfang der fünfziger Jahre in England erste Anti-Atomkriegsinitiativen entstanden, die zunächst gegen eine mögliche atomare Bewaffnung Deutschlands agitierten. Sie hat miterlebt, wie 1957 britische Atomkriegsgegner in Greenpeace-Manier die britischen Wasserstoffbombenversuche auf den Christmas-Inseln stoppen wollten. Sie machte sich auf den Weg, als ihre Organisation - das Direct Action Committee Against Nuclear War - gegen den Bau der Atombombenfabrik Aldermaston protestierte.
Und sie war gerade arbeitslos, als der Plan auftauchte, einen Marsch von London nach Aldermaston zu organisieren. "Ich war zuvor Krankenschwester in einem Psychiatrischen Spital gewesen, doch der Boss, ein ehemaliger Offizier, hatte mich gefeuert, weil ihm meine Meinung nicht passte", erzählt Pat Arrowsmith. "Also habe ich die Aufgabe übernommen, den Marsch zu organisieren." Es sollte ein kleiner Marsch über 87 Kilometer werden, vier Tage waren eingeplant, "wir haben mit vielleicht 50 Leuten gerechnet". Doch kurz zuvor hatten Labour-Politiker, Kirchenleute und Prominente wie Bertrand Russell die CND gegründet - eine Organisation mit viel gutem Willen, "aber ohne konkrete Ideen. Da kam der Vorschlag des Direct Action Committees gerade recht."
Und so trafen sich am Ostermontag 1958 nicht 50, sondern 8.000 Menschen auf dem Trafalgar Square, und zogen los. "Das Wetter war schauderhaft, am zweiten und dritten Tag marschierten nur noch 600 Leute, aber am vierten waren fast 10.000 dabei." Ostern, sagt Arrowsmith, war ein guter Termin, da haben in Britannien viele ein paar Tage frei. Religiöse Erwägungen hätten bei der Terminwahl nie eine Rolle gespielt. Sie selber kam kaum zum Marschieren. Sie musste Redner und Rednerinnen aufbieten - der deutsche Pastor Martin Niemöller sagte sofort zu -, Unterkünfte in Kirchen und Labourclubs organisieren, Verpflegung heranschleppen lassen. Sie war auch dabei gewesen, als über das Logo entschieden wurde, das Friedenssymbol, das sich spätestens mit dem Vietnamkrieg weltweit verbreitete, und das sie immer noch umhängen hat.
Nach dem Erfolg des ersten Marsches setzte CND die Tradition fort, allerdings in umgekehrter Richtung. Es war eine strategisch kluge Entscheidung: Die Zahl der Teilnehmer wuchs mit jedem Tag und je näher sie an London heranrückten. Und ein Beschluss, der dem CND-Konzept entsprach: Der Marsch sollte Downing Street 10 politisch unter Druck setzen. 1962 kamen zur Abschlusskundgebung auf dem Trafalgar Square über 100.000 Demonstranten.
Die Anarchopazifistin Arrowsmith war zu diesem Zeitpunkt schon anderswo aktiv. "Die CND-Führung hat Verstöße gegen geltendes Recht nie akzeptiert, wir aber wollten uns um Gesetze nicht scheren." Das Recht gehöre ohnehin den Mächtigen, "und die ändern es nach Belieben, egal, was du tust". Sie versuchte, durch friedfertige Bauplatzbesetzungen, Straßenblockaden und Gewerkschaftsengagement die Arbeiter auf den Atombaustellen für ihre Sache zu gewinnen. Sie sprach mit den Dockern von Liverpool ("die waren enorm hilfreich"), mobilisierte Belegschaften, saß immer wieder vor U-Boot-Häfen, Luftstützpunkten und Aldermaston. Und nicht nur dort.
Schon der Versuch ist wichtig
Elf Mal saß Arrowsmith im Knast. Manchmal nur ein paar Wochen, zwei Mal ein halbes Jahr (da trat sie mehrfach in den Hungerstreik und wurde zwangsernährt), ein Mal für anderthalb Jahre. Da hatte sie britische Soldaten per Flugblatt zur Kriegsdienstverweigerung in Nordirland aufgerufen. Amnesty International führte sie damals als politische Gefangene - "ich habe ja nur meine Meinung geäußert".
Glaubt sie, dass ihr langer Kampf jemals Erfolg haben wird? "Ich bin mir nicht sicher. Aber es war für mich immer wichtig, es zumindest versucht zu haben", sagt sie, die trotz aller Vorbehalte CND-Mitglied blieb und seit einiger Zeit Vizepräsidentin der CND ist. Dann bricht sie auf. Sie muss noch den Straßenstand vorbereiten, den sie am Wochenende in ihrem Londoner Quartier aufstellen will. Und dafür braucht´s noch ein paar Flugblätter.
Ganz so heftig wie mit Pat Arrowsmith ist die Staatsmacht mit Juliet McBride nie umgesprungen. Der Kalte Krieg ist vorbei, die Behörden haben dazugelernt. "Sie versuchen, uns zu ignorieren", sagt sie. Hier in Aldermaston würden sie ja mittlerweile in Ruhe gelassen. Auch das monatliche Friedenscamp vor der großen US-Abhöranlage Menwith Hill in Yorkshire bleibe derzeit von Großaktionen verschont. "Aber in Schottland schlägt das MOD umbarmherzig zu." Dort hat der Protest gegen die Londoner Atompolitik mittlerweile nationalistische Dimensionen angenommen und die Unabhängigkeitsbestrebungen gestärkt.
Sie jedenfalls habe einiges gelernt, sagt McBride. "Je dümmer sich die Staatsgewalt verhält, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Anklage erhebt", meint sie und legt ein paar Äste in den Wok. "Vor kurzem wollten sie uns drankriegen, weil wir vor einem Lagerfeuer saßen. Dabei ist es nur verboten, ein Feuer zu entzünden. Unseres brannte aber schon."
Das kleine Feuer, das vor Aldermaston flackert, könnte wieder hochlodern. Bei der nächsten Krise, beim nächsten Krieg sind all die Vielen wieder da, die einst vor Aldermaston und anderen Brennpunkten campierten und protestierten, glauben die Friedensfrauen. Und hoffen zugleich, dass es nicht dazu kommt.
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