Selten zuvor hat eine Bevölkerung über ein Parlament abgestimmt, dessen Halbwertszeit so kurz sein könnte. Gerade erst wählten die Nordiren die 108 Abgeordneten ihrer Regionalversammlung, doch wenn die britische Regierung ihre Drohung dieses Mal wahr macht, dann wird diese Assembly in zehn Tagen nicht - wie bisher - vorübergehend suspendiert, sondern endgültig aufgelöst und damit abgeschafft. Bis zum 26. März haben die Wahlsieger Zeit, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Es sieht jedoch nicht danach aus, als würden sie es schaffen - zu groß sind die Differenzen und zu groß ist das Misstrauen vor allem auf protestantischer Seite.
Die Wahl zur dritten nordirischen Assembly verlief so friedlich, wie Nordirland inzwischen geworden ist. Die Zahl der Gewalttaten hat zuletzt beständig abgenommen; die meisten Menschen gehen davon aus, dass sich alles zum Guten wendet. Sorgen bereiten vielleicht die hohe Arbeitslosigkeit und allenfalls die rapide steigenden Wohnungspreise. Aber sonst ist Nordirland eine normale Region geworden, wie es scheint. Zu dieser Normalität gehört aber auch, dass die Diskriminierung (etwa auf dem Arbeitsmarkt) weiter anhält. Dass die Friedensmauern in Belfast und Derry nicht etwa verschwinden, sondern immer mehr in die Höhe wachsen. Und dass die beiden Gemeinschaften - die pro-britischen unionistischen Protestanten und die irisch-nationalistischen Katholiken - weiter voneinander entfernt sind als je zuvor.
Diese Polarisierung schlug sich auch im Wahlergebnis nieder: Die politische Mitte schmilzt dahin. Die Parteien der beiden Friedensnobelpreisträger John Hume und David Trimble, die nationalistisch-sozialdemokratische SDLP und die protestantische Ulster Unionist Party (UUP), haben weiter an Boden verloren. UUP und SDLP waren die politischen Stützen, auf denen das Friedensabkommen von 1998 und die einzige bisher funktionierende Regionalregierung ruhten. Doch mittlerweile hat die ehemalige IRA-Partei Sinn Féin die SDLP als wichtigste Partei des katholischen Mittelstands abgelöst, ohne an Zuspruch aus den Arbeitervierteln zu verlieren. Ergebnis: Sie erzielte 26 Prozent der Erststimmen und vertritt damit weit mehr als die Hälfte des irisch-nationalistischen Bevölkerungsteils: Die SDLP bekam gerade noch 15 Prozent.
Noch dramatischer verlief der Absturz der moderat-unionistischen UUP. Sie wurde seit Beginn des Friedensprozesses von der Democratic Unionist Party (DUP) des Predigers Ian Paisley geradezu gedemütigt. Bei der Assembly-Wahl wiederholte sich für sie das Debakel des Unterhausvotums von 2005: Die große Mehrheit der protestantischen Bevölkerung misstraut weiterhin dem Frieden und setzt unverdrossen auf Paisley, der schon Anfang der sechziger Jahre vor der "papistischen Gefahr" gewarnt hatte.
Auf diesen Paisley - er ist mittlerweile 80 - aber kommt es in den nächsten Tagen an. Laut Karfreitagsabkommen müssen die jeweils größten Fraktionen beider Seiten in der Assembly den Regionalpremier und dessen Stellvertreter stellen. Das bedeutet: Ian Paisley müsste mit seinen ehemaligen Todfeinden von Sinn Féin (SF) koalieren. Als seinen Stellvertreter haben die irischen Republikaner bereits Martin McGuinness ausgesucht, einen früheren Stabschef der IRA. Keine neue Konstellation. Schon bei der Assembly-Wahl 2003 wurden DUP und Sinn Féin zu den stärksten Parteien auf ihren Seiten des Grabens. Doch sie konnten sich nicht auf eine gemeinsame Regierung verständigen - also wurde die Assembly nie einberufen. Das könnte dem jetzigen Regionalparlament wieder blühen.
Dabei haben Sinn Féin und die IRA praktisch alle Forderungen der Unionisten und der Londoner Regierung erfüllt. Die IRA erklärte eine Waffenruhe, akzeptierte den Friedensprozess und damit den Umstand, dass künftig die weiterhin protestantische Bevölkerungsmehrheit über die Zugehörigkeit Nordirlands zu Britannien entscheidet. Sie gab auch - im Unterschied zu den protestantischen Paramilitärs - ihre Waffen ab. Sinn Féin berief erst vor wenigen Wochen einen Sonderparteitag ein, um die nordirische Polizei (und damit auch die britischen Geheimdienste) ihrer Loyalität zu versichern. Um in die Regierung jenes Staatsgebildes zu kommen, das die IRA fast drei Jahrzehnte lang bekämpfte, sprang die Partei von Gerry Adams bisher über jedes Stöckchen, das ihr hingehalten wurde.
Der DUP ist das allerdings nicht genug. Die Hardliner in Paisleys Partei wollen auch nicht unbedingt in Stormon Castle amtieren, solange sie in London über genug Einfluss verfügen und die britische Regierung das garantiert, was ihnen am wichtigsten ist: die Union mit Britannien. Ihnen genügt der Status quo; sie haben mit der Londoner Direktherrschaft bisher nicht schlecht gelebt.
Ob Paisley mit den "Terroristen" koaliert, hängt also ganz davon ab, ob Downing Street Druck ausübt. Sollte es in den nächsten Tagen nicht zu einer Vereinbarung zwischen DUP und SF kommen, drohen London und Dublin mit einem Plan B. Er sieht eine Auflösung der Assembly und aller Gemeinderäte vor. An ihre Stelle sollen sieben große Bezirksverwaltungen treten, in denen die Republik Irland als Vertreterin der katholischen Minderheit mitsprechen kann. Noch ist nicht sicher, ob dieses Schreckgespenst die Protestanten beeindruckt. Möglicherweise entscheidet sich die DUP für einen kurzlebigen Kompromiss: Sie verpflichtet sich zur Regierungsbildung, sorgt so dafür, dass die Assembly einberufen wird, - und lässt die Koalition bei nächster Gelegenheit platzen.
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