Vom Erzfeind zum Partner

Tarek Al-Wazir hat sich nicht träumen lassen, dass er einmal an Schwarz-Grün in Hessen basteln würde. Heute ist es soweit
Ausgabe 50/2013

Er wirkt angespannt in diesen Tagen. Es sei für ihn eine „Horrorvorstellung“, mit der CDU gemeinsam regieren zu müssen, hatte der hessische Grünen-Vorsitzende Tarek Al-Wazir vor der Landtagswahl im September gesagt. Jetzt tritt er mit CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier zu gemeinsamen Presse-Statements auf.

Al-Wazir will ausgerechnet mit der als stramm konservativ bekannten hessischen CDU die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland auf die Beine stellen. Niemand weiß so gut wie der 42-jährige Politprofi, dass ein Bündnis gerade im Land des hessischen CDU-Kampfverbands die politischen Lager in Deutschland gehörig durcheinander wirbeln wird. „Historisch ist so ein großes Wort“, sagte Al-Wazir zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen. Es habe schließlich „auch schon historisches Scheitern“ gegeben. Das aber hätten er und der CDU-Landesvorsitzende Bouffier nicht vor.

Al-Wazir hat sich selbst nicht träumen lassen, dass er einmal an Schwarz-Grün basteln würde. Zwar regiert diese Konstellation in mehreren hessischen Kommunen, etwa in Frankfurt und Darmstadt. Doch auf Landesebene sind sich Union und Grüne in inniger Abneigung verbunden, in Hessen mehr als anderswo in der Republik.

Dies ist das Land, in dem sich einst der erste grüne Umweltminister Joschka Fischer und ein CDU-Politiker namens Roland Koch Rededuelle lieferten, dass es krachte. Als Fischer 1998 Minister in der Bundesregierung wurde, zog Koch in Hessen einen Wahlkampf gegen die doppelte Staatsbürgerschaft auf, der vielerorts als Unterschriftensammlung gegen Ausländer wahrgenommen wurde. Das sorgte bei keiner Partei für so große Empörung wie bei den Grünen. Zwei Wahlkämpfe später zog der damalige CDU-Chef gegen „kriminelle Ausländer“ zu Felde. Al-Wazir verweigerte ihm daraufhin demonstrativ den Handschlag.

Der Grünen-Politiker ist in Offenbach geboren, Sohn einer deutschen Lehrerin, deren Familie aus dem Sudetenland stammt, und eines Diplomaten aus dem Jemen. Sein Nachname bedeutet „der Minister“. Als Teenager ging er zwei Jahre in das Land seines Vaters, weil es Stress zu Hause gab. Doch die hierarchische Gesellschaft Jemens behagte dem jungen Al-Wazir nicht. Mit 16 Jahren kehrte er zurück.

Al-Wazir gehörte zu den ersten Migranten, die sichtbar auf die politische Bühne traten. CDU-Politiker hätten ihn wie ein Wesen von einem anderen Stern angeschaut, als er 1995 in den Wiesbadener Landtag einzog, sagt Al-Wazir. Heute, 18 Jahre später, gehört er schon zu den alten Hasen in der hessischen Politik. Kein Fraktionschef amtiert dort länger als Al-Wazir, der im Jahr 2000 die Führung der Grünen im Landtag übernahm und 2007 auch an die Spitze der Landespartei trat.

Der Grünen-Vorsitzende spottet gern, und die hessische CDU gehörte bisher zu seinen liebsten Zielen. Als diese im Frühjahr die Oldies Volker Bouffier und Franz Josef Jung als Spitzenkandidaten aufstellte, witzelte Tarek Al-Wazir über „125 Jahre fleischgewordene Vergangenheit“.

Jetzt sind Bouffier und Jung zu seiner Gegenwart geworden – als Verhandlungspartner in den schwarz-grünen Koalitionsgesprächen. Am 21. Dezember sollen die Gremien beider Parteien dem Koalitionsvertrag zustimmen. Bei den Grünen dürfen alle Mitglieder bei der Versammlung mitstimmen. Ihr Votum hängt davon ab, wie viel Politikwechsel Al-Wazir in einem Koalitionsvertrag mit dem einstigen Erzfeind auszuhandeln vermag.

Der Grünen-Chef will danach Wirtschafts- und Verkehrsminister werden. Damit würde er die Zuständigkeit für das größte landespolitische Streitthema an sich ziehen, die Zukunft des Frankfurter Flughafens. Wenn die CDU das mitmacht. Ein Teil der Grünen ist über die Koalitionsgespräche schockiert. Bei diesen Anhängern seiner Partei wirbt Al-Wazir: „Ich bitte Sie, nicht nach Ihrem ersten Gefühl zu urteilen, sondern uns die Chance zu geben, einen guten Koalitionsvertrag auszuhandeln.“

Es sind bereits die zweiten Koalitionsverhandlungen, die Al-Wazir zu führen hat. 2008 leitete er die Grünen-Delegation und handelte mit der damaligen SPD-Vorsitzenden Andrea Ypsilanti einen rot-grünen Koalitionsvertrag aus, der gemeinsam mit den Stimmen der Linkspartei im Landtag durchgesetzt werden sollte. Die Regierungsübernahme scheiterte kurz vor Toresschluss an vier SPD-Abweichlern. Al-Wazir hat das nicht vergessen.

Das Verhältnis zwischen den Grünen und der SPD ist seither in Hessen deutlich abgekühlt. Bei den Linken und in Teilen der SPD heißt es heute, Al-Wazir habe von Anfang an nichts anderes gewollt als Schwarz-Grün. Der Grünen-Chef weist das zurück. Gescheitert seien die Verhandlungen an der Linken.

Rot-Grün lautete auch diesmal das Ziel. Doch Al-Wazir hatte für den Fall vorgesorgt, dass SPD und Grüne eine Mehrheit verfehlen würden. Schon 2008 kam er zu dem Schluss, die „Ausschließeritis“ sei das Problem gewesen. Nebenbei prägte er so ein Wort, das sich in ganz Deutschland durchsetzte.

Zur Auflockerung der angespannten schwarz-grünen Gespräche sahen sich die einst erbitterten Gegner in diesen Tagen zusammen eine NDR-Satire nach Star-Wars-Vorbild an. Die hessische CDU wurde darin als dunkle Seite der Macht parodiert. Als ihre drei Hauptfeinde wurden „Grüne, Ausländer und grüne Ausländer“ vorgestellt, unterlegt von drei Al-Wazir-Bildern. Die Politiker von CDU und Grünen sollen herzlich darüber gelacht haben. Gemeinsam.

Pitt von Bebenburg berichtet auch für die Frankfurter Rundschau aus dem hessischen Landtag

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