Letzte Ausfahrt Basis

Grüne Die Parteibasis fordert Nachbesserungen beim Wahlprogrammentwurf der Grünen. Für ein Regierungsbündnis links der Mitte ist das vielleicht die letzte Chance

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Stand jetzt prostet die Parteispitze der Grünen unverhohlen der Bourgeoisie zu
Stand jetzt prostet die Parteispitze der Grünen unverhohlen der Bourgeoisie zu

Foto: Alexandra Beier/Getty Images

Trotz flehentlicher Aufrufe des Parteivorstandes, sich bei Änderungsanträgen zu dem im März vorgelegten Programmentwurf zurückzuhalten, gingen so viele Änderungsanträge der Basis ein wie noch nie. Mehr als 3000 Änderungsanträge zu ihrem Programmentwurf werden die Grünen auf ihrem Parteitag am kommenden Wochenende abarbeiten müssen. Geblendet von hohen Umfragewerten hatte sich die Parteispitze womöglich zu früh darüber gefreut, mit ihrem vagen Programmentwurf für weite Teile des bürgerlichen Milieus wählbar und zu nahezu allen Seiten koalitionsfähig zu sein.

Der Entwurf war der vorläufige Höhepunkt der Neo-Bourgeoisierung der Grünen. Dem Willen zur Macht wurden programmatische Vorstellungen untergeordnet. Doch die Basis wehrt sich gegen den unkonkreten Entwurf und fordert mit zahlreichen Änderungswünschen klare Positionierungen sowie konkrete Zahlen, vor allem bei den Themen Mietenpolitik, Klimaschutz und Migration. So wird in den Anträgen unter anderem die Anpassung der Vermögenssteuerforderung von 1 auf 5 Prozent, ein bundesweiter Mietendeckel und die EU Außengrenzen durchlässig zu machen anstatt sie zu sichern gefordert. Sollte sich die Delegiertenkonferenz für die Annahme dieser und weiterer Änderungsanträge entscheiden, gäben sie dem Wahlprogramm damit einen deutlich linkeren Kurs. Der Showdown zwischen Parteivorstand und Basis wird aber nicht nur aufgrund der innerparteilichen Bedeutung spannend zu beobachten sein, sondern birgt auch das Potential, neue Dynamik in die Diskussion um potentielle Regierungsbündnisse nach der Bundestagswahl im September zu bringen.

Die von der Parteispitze favorisierte Koalition mit der Union wäre mit dem bisherigen Wahlprogrammentwurf nichts anderes als eine bürgerliche große Koalition. Ein „Weiter So“ mit etwas weniger CO2 Ausstoß. Dass die beiden momentan stärksten Parteien aus ehemals unterschiedlichen Lagern trotz anderer Optionen ein Bündnis miteinander eingehen wollen, liegt auch daran, dass sie inhaltlich weniger trennt, als sie der Wille zur Macht eint. Die Grünen wollen programmatisch nichts Konkretes und was die Union will, weiß sie vermutlich noch nicht einmal selbst.

Einen Beleg dafür, wie wenig Lust die grüne Parteispitze auf eine Koalition links der Mitte hat, lieferte vor kurzem Robert Habeck. Es ist einigermaßen bizarr, dass ausgerechnet der Co-Vorsitzende einer ehemaligen Friedenspartei der LINKEN ein Bekenntnis zur NATO abringen möchte, als handele es sich bei dem Militärbündnis um eine Glaubensgemeinschaft. Genauso gut hätte er von der Union eine Positionierung gegen Frontex verlangen können, hat er aber nicht. Es ist ein durchsichtiger Versuch, um der neu gewonnenen bürgerlichen Wählerschaft zu signalisieren, dass die Grünen kein Interesse an einer progressiven Koalition haben. Bezeichnend für den Grad der Neo-Bourgeoisierung der Grünen ist auch, dass in der Partei, die früher aus Friedensaktivist:innen und Umweltschützer:innen bestand, heute ein „echter Wirtschaftsliberaler“, wie die FAZ frohlockte, und ehemaliger Unternehmensberater Landesfinanzminister wird.

Nur die Basis steht für progressive Politik

Setzt sich dieser Kurs durch und die Grünen bleiben bei ihrer bürgerlichen Ausrichtung, droht der Parteibasis spätestens nach der Wahl das böse Erwachen, wenn die ersten Abschiebeflüge der schwarz-grünen Regierung nach Afghanistan aufbrechen und konservative Minister weiterhin den Klimaschutz blockieren. Da die Parteiführung geschlossen hinter diesem Kurs steht, kann nur noch die Parteibasis den Grünen nun zu einer progressiven Programmatik verhelfen, die die Möglichkeit auf ein Bündnis links der Mitte eröffnen könnte.

Durch die Maskenaffäre, die Streitereien um die Kanzlerkandidatur und einen Verschwörungstheorien verbreitenden Direktkandidaten ist die Union in einem desolaten Zustand. Wann wenn nicht jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, offensiv für ein progressives Bündnis und einen Politikwechsel zu werben?

Es liegt an den Grünen eine Entscheidung zu treffen, die die politische Realität in Deutschland auf Jahre prägen wird. Entweder entscheiden sie sich für eine ambitionierte und sozial gerechte ökologische Transformation und für eine Verringerung der Einkommens- und Vermögensungleichheit zu kämpfen oder sie entscheiden sich dafür den Kapitalismus der Union, den sie euphemistisch als sozial-ökologische Marktwirtschaft framen wollen, ein wenig grün anzumalen und den politischen Status Quo fortzuschreiben. Eine zumindest vorläufige Entscheidung darüber müssen sie nun schon knapp drei Monate vor der Wahl treffen: Folgen sie der Parteiführung auf ihrem Weg zu schwarz-grün oder legen sie die programmatische Basis für grün-rot-rot? Choose your fighter, Bündnis90.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden