Nur gemeinsam gewinnt man

Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen

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JA zur Vergesellschaftung haben über 1 Millionen Berliner:innen gesagt. JA, damit ist es natürlich längst nicht getan und es liegt noch viel Arbeit vor uns, damit das Votum des Volksentscheides zu einem Gesetz wird. Doch die Zustimmung von fast 60% ist ein historischer Erfolg. Eine linke Kampagne hat es endlich geschafft, quer durch alle Milieus und quer durch alle sozialen Strukturen für ein Anliegen zu mobilisieren, gegen alle Widerstände der meisten Parteien und der mächtigen Immobilienlobby. Für das Volksbegehren wurden die meisten Unterschriften in der Geschichte Berlins gesammelt. In 10 von 12 Berliner Bezirken hat der Volksentscheid eine absolute Mehrheit errungen. Es gibt in dieser Frage keine Spaltung in der Stadt sondern eine eindeutige Mehrheitsmeinung. Ein solches Ergebnis erreicht man nicht, wenn man die eigene Blase nicht verlässt. Genau das haben tausende Aktive in den vergangenen Monaten erfolgreich gemacht.

Zuletzt gab es Kritik an der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ und einen öffentlichkeitswirksamen Austrittsbrief. Natürlich müssen die Fehler der Kampagne analysiert werden und nun ist ein guter Zeitpunkt dafür. Selbstverständlich hat es Fehler gegeben, es wäre geradezu absurd anzunehmen, eine ehrenamtliche Graswurzelbewegung dieser Größe ließe sich völlig ohne Konflikte organisieren. Doch das linke, aktivistische, akademische Milieu monokausal als Sündenbock ins Feld zu führen, verdeckt den Blick auf die eigentlichen Probleme. Die Kritik an der vermeintlichen Dominanz „sektiererischer“ akademischer Polit-Aktivist:innen, die frappierende Ähnlichkeit zu Sahra Wagenknechts Kritik an „Lifestyle-Linken“ hat, ist eine naheliegende, einfache und deshalb beliebte Erklärung, sie taugt allerdings aufgrund mangelnder Differenzierung nicht dafür.

Natürlich gibt es bei „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ viele, die auch in anderen Strukturen wie der Interventionistischen Linken oder der Partei DIE LINKE aktiv sind, aber alle, denen es um die Interessen der Mieter:innen ging und geht, können dankbar dafür sein, denn ohne ihre Erfahrungen, Fähigkeiten und Einsatz wäre der durchschlagende Erfolg dieser Kampagne nicht möglich gewesen. Es ist schon einigermaßen inkonsistent einerseits die Professionalität der Kampagne im Wahlkampf zu loben und andererseits zu kritisieren, dass die Kampagne aus zu vielen Polit-Aktivist:innen bestehe.

Das Engagement linker Parteimitglieder in der Kampagne war unter anderem auch deshalb wichtig, damit die Perspektive der Bewegung auch im parteipolitischen Betrieb zur Geltung kommt, und dort mietenpolitische Diskussionen angeschoben werden. Wer innerhalb des herrschenden institutionellen Rahmens Politik verändern will, braucht auch parteipolitische und parlamentarische Unterstützung. Die Unterstützung der LINKEN war von Anfang an ein wichtiger Teil des Erfolgs und gleichzeitig war der Druck aus der Bewegung wichtig, um das mietenpolitische Profil der Partei zu schärfen.

Das Ergebnis des Volksentscheids und der Abgeordnetenhauswahl verdeutlichen eindrucksvoll ein Problem, das momentan auch in vielen anderen Demokratien zu beobachten ist: Für einzelne Sachfragen gibt es gesellschaftlich große progressive Mehrheiten. Dies schlägt sich in Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen allerdings kaum nieder. Einerseits ergibt sich daraus ein klarer Auftrag an die Parteien, andererseits unterstreicht es die Bedeutung außerparlamentarischer Bewegung für die politische Landschaft.

Gerade in den Kiezteams, die das Rückgrat und die Mehrheit der Kampagne bilden und die ich im Kokreis (dem Exekutivgremium der Kampagne) vertreten darf, aber auch in anderen Bereichen innerhalb der Kampagne, gibt es viele, die in keinen anderen Strukturen sind und sich zum ersten mal in ihrem Leben politisch engagieren. Selbst im Kokreis gehört nicht mal mehr als die Hälfte der IL oder Linkspartei an und weniger als ein Drittel ist dort aktiv eingebunden. Genau diese heterogene Mischung macht die Kampagne aus. Auch ich bin zum ersten Mal in einer Bewegung politisch aktiv. Bevor ich in der Kampagne aktiv wurde, kannte ich keine „stundenlangen Sitzungen“ aus anderen politischen Kontexten. Ich habe vor einem Jahr angefangen, mich in einem Kiezteam einzubringen und habe seitdem verschiedenste Aufgaben innerhalb der Kampagne übernommen. Bin ich nun ein Polit-Aktivist? Und wenn ja, heißt das, ich sollte diese Aufgaben lieber nicht mehr übernehmen? Wer sollte sie stattdessen besser übernehmen? Die Realität ist, dass es natürlich eher zu wenige als zu viele gibt, die bereit sind sich langfristig politisch zu engagieren. Wie sollte es auch anders sein? Es liegt auf der Hand, dass die 23-jährige Soziologiestudentin, die Bafög bezieht, mehr Kapazitäten für ehrenamtliches Engagement hat als die 38-jährige alleinerziehende Altenpflegerin, die zwei Jobs braucht, um die Miete zu bezahlen. Genau gegen diese Ungerechtigkeiten kämpfen wir. Der Erfolg der Kampagne liegt doch darin, dass beide für dieselbe Sache unterschrieben und abgestimmt haben. Dass trotz aller Unterschiede beide dazu beigetragen haben, das gemeinsame Anliegen voranzubringen: den Kampf gegen den Mietenwahnsinn. Genau darauf zielten die niedrigschwelligen Beteiligungs- und Vernetzungsmöglichkeiten der Kampagne ab. Die etwas diffuse und in letzter Konsequenz unterschiedliche Gruppen gegeneinander ausspielende Unterscheidung zwischen Aktivist:innen und Nicht-Aktivist:innen ist jedenfalls nicht zielführend für die Frage, wie sich in Zukunft linke Mehrheiten organisieren lassen. Nur gemeinsam wird es gehen. Deshalb war es auch richtig das diskriminierende Wahlrecht zu thematisieren und politische Unterschriften zu sammeln, um dem knappen Viertel der Berliner Bevölkerung, die nicht wahlberechtigt sind, zu zeigen, dass auch sie selbstverständlich Teil der Stadtgesellschaft sind, so wie alle anderen auch.

Der Vorwurf, die Kampagne sei zu akademisch, verklärt die Realität. Niemand ist in Haustürgespräche gegangen und „hätte am liebsten „Das Kapital“ rezitiert“. Uns alle in dieser Kampagne und die 1 Millionen Berliner:innen, die für den Volksentscheid gestimmt haben, eint, dass wir uns unsere Miete bald nicht mehr leisten können, dass wir keine bezahlbare Wohnung finden, dass wir Angst vor Verdrängung haben. Darum ging es bei den Gesprächen an den Haustüren und das ist es auch, was alle Milieus verbindet. Genau in diesen Situationen haben auch die so gescholtenen linksaktivistischen Akademiker:innen ihre eigene Blase verlassen. In unzähligen Haustürgesprächen wurde mühsam die Mehrheit für den Volksentscheid erkämpft.

Trotz des Erfolges der Kampagne gibt es selbstverständliche inhaltliche Themen, die aufgearbeitet werden müssen. Niemand wird behaupten diese Kampagne sei die erste, die es geschafft hat informelle Hierarchien, Machtasymmetrien und gewisse strukturelle Intransparenz vollständig zu vermeiden. Auch sind wir dafür angetreten, neben der Mobilisierung für unser Anliegen auch eine Vernetzung unpolitisierter Mieter:innen zu organisieren. Diese Aufgabe haben wir nicht in dem Ausmaß geschafft, wie wir uns das erhofft hatten. Das lag auch daran, dass die oberste Priorität natürlich lautete, eine Mehrheit für den Volksentscheid zu erreichen. Außerdem stößt jede ehrenamtliche Kampagne irgendwann an Kapazitätsgrenzen. Einige Probleme waren sicherlich auch dem temporären Charakter der Kampagne geschuldet, der sich aus den strikten Zeitplänen speziell für die zweite Unterschriftenphase und den Wahlkampf ergab. Gerade in diesem Zeitraum ist die Kampagne enorm gewachsen.

Viele Kritikpunkte sind jedoch lediglich an Sachzwängen gescheitert und haben nichts mit der vermeintlichen Dominanz bestimmter Gruppen oder gar „Zustimmungs-Gewedel“ zu tun. Es hätten schlicht an anderer Stelle Kapazitäten gekürzt werden müssen. Hätten wir also weniger Menschen an ihrer Haustüre überzeugen sollen mit JA zu stimmen, um dafür die, die wir bereits überzeugt haben, noch zu organisieren? Das hätte den Erfolg des Volksentscheids gefährdet.

Nichtsdestotrotz ist diese Kampagne ein historischer Erfolg für die Mieter:innen, der auf dezentralen Strukturen, Organizing Methoden und viel Energie und Motivation tausender Aktiver beruht.

Dass nun einige die Kampagne verlassen, ist natürlich schade. Dass sich dabei über die Sprache und Praktiken lustig gemacht wird, die ein diskriminierungsfreies und solidarisches Miteinander ermöglichen sollen und die niemandem aufgezwungen werden, deutet allerdings darauf hin, dass Solidarität hier eher als Einbahnstraße gesehen wird. Wem es mehr um die Kampagne als um sich selbst ginge, hätte die Kritik auch intern als Diskussionsgrundlage nehmen können, anstatt damit öffentlichkeitswirksam den eigenen Geltungsdrang zu befriedigen und zum Kronzeugen des politischen Gegners zu werden, in dessen Weltbild die vermeintlich selbstgerechten linken Aktivist:innen natürlich perfekt passen. Anekdotische Evidenz für Fehlverhalten gibt es sicherlich in alle möglichen Richtungen zuhauf. Empirisch bleibt, dass es eine ehrenamtliche Graswurzelbewegung geschafft hat, tausende Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensrealitäten und Hintergründen so zusammenzubringen, dass sie gemeinsam über 1 Millionen Berliner:innen von ihrer Idee überzeugt haben. Eine Kampagne, die trotz heftigster Widerstände der meisten politischen Parteien und scheinbar übermächtiger Gegner wie der Immobilienlobby, eine so eindeutige Mehrheit für die Vergesellschaftung großer Konzerne erreicht hat, kann auch nicht so viel falsch gemacht haben.

Es zeigt, was möglich ist, wenn die von Ungerechtigkeit und Ausbeutung betroffenen Klassen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern der eigentliche Konflikt thematisiert wird: das Recht auf Wohnraum gegen die Profitlogik des Kapitalismus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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