Defizite bei ökonomischen Zusammenhängen

Trivialer Journalismus: Die Kunst, die Folgen der neoliberalen Arbeitsmarktpolitik völlig auszublenden und als "Heilmittel" die Zuwanderung zu propagieren.

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In der Printausgabe vom 11. Oktober 2018 schreibt Daniel Bax (Projektmanager und Redakteur beim Mediendienst Integration) in "Die Mutter aller Lösungen", über das Einwanderungsgesetz I, im Untertitel weiter mit "Ohne Zuwanderung geht bei uns nichts".

Wörtlich heißt es anfangs:
"Als wirtschaftsstarkes Land in der Mitte Europas, aber mit einer alternden Bevölkerung, ist Deutschland auf die Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen, um seinen Wohlstand zu halten. Das Predigen nicht nur die Wirtschaftsverbände, die Unternehmen und die Industrie. Man sieht es mit bloßem Auge, wenn man sich in Krankenhäusern und Pflegeheimen, in der Gastronomie oder auf Baustellen umsieht (hier fehlen wohl noch die Erntehelfer, vor allem, was den Spargel betrifft).

Viele Branchen würden ohne Einwanderer zusammenbrechen. Da die Babyboomer jetzt ins Rentenalter kommen und heute weniger Kinder geboren werden, müssen künftig immer weniger Arbeitnehmer für immer mehr Ältere aufkommen. Ohne Einwanderung lässt sich das Sozialsystem in Zukunft nicht finanzieren."

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Mir bleibt es ein Rätsel, wie sich ein linksliberales Blatt mit so profanen Aussagen über die Misere der deutschen Arbeitsmarktpolitik auslässt, und dabei die zugrundeliegenden Sachverhalte völlig ausgeblendet werden. Eine Arbeitsmarktpolitik, bei der sich der Mangel in den pflegenden Berufen bereits über Jahrzehnte hinzieht und die neoliberale Wende hinsichtlich der Privatisierungwelle keine Lösung darstellt, sondern zur Ursache wesentlich mit beiträgt.

Wobei natürlich noch das Damoklesschwert der nicht mehr zu bezahlenden Renten im Hintergrund verbleibt und das Nettoniveau bereits auf untragbare 48% abgesenkt wurde, ohne dass das in Deutschland zu nennenswertem Widerstand geführt hat. Die Verschiebung der Perspektiven scheint gelungen, ansonsten wären diese Formulierungen wohl nicht in die Printausgabe gelangt.

Ich halte es langsam für müßig, immer wieder auf die Faktoren hinzuweisen, die in die "Rechnung" mit aufgenommen werden müssten, die da wären: Produktivitätsentwicklung, Vermögens- und Erbschaftssteuern, Besteuerung des spekulativen Finanzkapitals und auf der prekären Seite die Änderung diverser Arbeitsmarktgesetze (die den Niedriglohnsektor ermöglichen), allgemeinverbindliche, gesetzliche Tarife, Abschaffung von Hartz IV, Rekomunalisierung der Kranken- und Pflegebereiche, um nur einige Faktoren zu nennen. Und natürlich bedarf es einer begleitenden europäischen Sozialpolitik, die diesen Bereich aus dem Wettbewerb nimmt, also einen Riegel vorschiebt, was Deregulierung und Privatisierung betrifft.

Ferner wäre es nützlich für die Propagandisten der verklärenden Arbeitsmarktentwicklung, sich einfach mal in der Arbeitsmarktstatistik der BA, das jährliche Volumen der erfassten Arbeitsstunden durch die Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse zu dividieren. Nun gehe man ein paar Jahre (Jahrzehnte) zurück und staune, wie eine ständig wachsende Wirtschaft (Prozentsätze täuschen, denn auf einer großen Basis ergeben auch kleine Prozentsätze quantitativ größere Werte) real (also preisbereinigt) kein analog wachsendes Arbeitsvolumen nach sich zieht. Und das wiederum deutet auf eine produktive Wirtschaft hin, die allerdings diese Produktivität nicht denjenigen zu gute kommen lässt, die die Werte erzeugen. (Das Arbeitsvolumen verteilt sich zudem auf mehr Arbeitnehmer, sodass auch hier die prekäre Entwicklung dokumentiert wird).

Nun soll also der Niedriglohnsektor in Deutschland, der Mitverursacher der Probleme in der europäischen Peripherie ist, auch noch deren ausgebildete Arbeitskräfte abschöpfen und damit die unsozialen Strukturen festigen, die mehr und mehr als Normalität in den Köpfen haften bleibt. Die Erstarkung und Entwicklung rechtsgerichteten Gedankenguts wuchert auf dem Boden dieser neoliberalen Politik, die das aber nicht sehen will und auch nicht als selbstverschuldet erkennt. Das Gegenteil von Erkenntnis ist wohl der Fall: denn mehr von der gleichen Medizin kann nur die Lösung sein!

Ein redaktioneller Grundkurs über die elementaren Zusammenhänge scheint mir überfällig. Und falls solche "Fremdbeiträge" durchgelassen werden empfiehlt sich der Zusatz: "Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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