Der "übersehene" Tod im Foyer einer Bank

ökonomische Ursachen: Die sich in immer mehr Lebensbereiche ausbreitende Logik des Kapitalismus schafft einen psychopathischen Sozialcharakter. Über die Ursachen und die menschlichen Folgen.

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Aufgrund der Frage von @lieber Frieden: "Warum ist es möglich, dass es Rücksichtslose gibt und warum ist es den Rücksichtslosen möglich, so unfassbar viele scheinbar Gefügige zu generieren?" verlinke ich den Beitrag von Götz Eisenberg: Die Versteinerung der Herzen (jw 12./13. 11.16).

Die Antwort darauf kann nicht klären, ob die Rücksichtslosen bereits in der Mehrheit sind und wie es mit der anderen Seite der Medaille aussieht und auch nicht, wie durchwachsen diese Disposition in einer Person selbst auftritt. Aber zumindest lässt sich erkennen, dass die Auswirkungen der gesellschaftlichen Strukturen auf den Menschen destruktive Verhaltensweisen nach sich zieht, wenn nicht gleich der Charakter selbst davon bestimmt wird.

Ein Zitat aus dem Artikel:
"Wir müssen uns fragen: Welche menschlichen Haltungen gedeihen in einem gegebenen sozialen Klima, welche verkümmern? Die Eigenschaften und Fähigkeiten, die wir für die eigentlich menschlichen halten, bedürfen der äußeren Stützung. Auch und gerade aus diesem Grund brauchen wir, solange wir unter kapitalistischen Bedingungen leben, einen voll entfalteten und handlungsfähigen Sozialstaat. Wie die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konvention Regeln und Grenzen für den Krieg zwischen Nationen zu formulieren und durchzusetzen versuchten, so versucht der Sozialstaat den innergesellschaftlichen »Krieg aller gegen alle« einzuhegen. Er setzt ihm Begrenzungen und formuliert Regeln, die die schlimmsten Auswirkungen des Kapital- und Marktprinzips mildern und für die Betroffenen abfedern sollen. Er fördert in den Phasen, wo er nicht nur propagiert, sondern praktiziert und gelebt wird, Tugenden wie Pflichtgefühl, Verantwortungsbewusstsein, gegenseitige Hilfe und Solidarität."

Wenn nun Gesellschaften wie in den USA es ermöglichen, Gestalten wie Trump an die Macht zu bringen, dann dürfte das zumindest ein Indikator dafür sein, wie weit sozialstaatliche Strukturen bereits zerstört sind, wobei in den USA nur bei großzügiger Auslegung überhaupt davon gesprochen werden kann.

Götz Eisenberg ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Er arbeitete mehr als drei Jahrzehnte lang als Gefängnispsychologe im Erwachsenenstrafvollzug. In der »Edition-Georg Büchner-Club« erschien im Juli 2016 unter dem Titel »Zwischen Arbeitswut und Überfremdungs­angst« der zweite Band seiner »Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus«. Der erste Band »Zwischen Amok und Alzheimer« erschien 2015 im Verlag Brandes und Apsel.

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