Hat die Wahrheit ihre Bedeutung verloren?

Wahrheit: Für das Verstehen ist Wahrheit dasselbe wie Musik für das Ohr und Schönheit für das Auge (G. N. Clark)

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Auf Wunsch die Fortsetzung zum speziellen Thema "Wahrheit" aus dem Beitrage von Gebe mit seinem Thema: "Fest der wahren Apperzeption".

Da ich aufgrund von vorlaufenden Beiträgen den Einstieg in das Thema „Wahrheit“ begonnen habe und es wie immer wertvolle Gedankenarbeit dazu bereits von anderen gibt, ist es schön, wenn man Texte findet, die sich lohnen zu zitieren. Ich entnehme daher einige Textstellen (mit Anmerkungen) aus dem Buch von Felipe Fernández-Armesto „Wahrheit“. Er lehrt Neuere Geschichte in Oxford. Er ist überzeugt davon, dass wir auf die „Abschaffung" der Wahrheit eine Antwort brauchen. Er beschreibt eine „Entwicklungslinie“ des Begriffs, die von chinesischer, indischer, orientalischer, hinüber in die westliche Auflösung des Inhalts reicht: eine Fundgrube. Ich beschränke mich auf das Ende des Buches, wo sich die Summe der Gedanken konzentriert.

Das Thema ist ziemlich komplex, umfangreich und durchzieht große Bereiche der Philosophie. Es verdient eine ständige Vertiefung und Auseinandersetzung und kann hier nur als Einstieg betrachtet werden. Kurz gesagt, es ist nur der Beginn des Weges.

Derjenige, der Ihnen sagt, dass es die Wahrheit nicht gibt, fordert Sie auf, ihm nicht zu glauben. Also tun Sie es auch nicht. (Roger Scruton/ Modern Philosophy)“

Wahrheit ist das Wesen, an dem alle wahren Aussagen teilhaben (Fernández-Armando)

Swami Vivekananda: „Wir sollten“, so sagt er, „die Glaubenslehren aller Religionen anerkennen und eine Vielfalt von Zugängen zur Wahrheit ausprobieren – viele Wege zur einen Wahrheit.“

Donald Davidson: "Wahrheit sollte irgendwie mit der Wirklichkeit zu tun haben" - das ist der zaghafte Vorschlag dieses bekannten modernen Philosophen.

Alfred Tarski: Denn eines der großen Probleme der modernen Philosophie besteht darin, „die Frage nach der Wahrheit von der Frage nach der Wirklichkeit zu trennen“, indem man Wahrheit als Eigenschaft eines Ausdrucks und nicht als Ausdruck dessen, was wirklich ist, betrachtet.

Es gibt drei Möglichkeiten, die Wahrheit vor dem Relativismus zu retten, ohne gleichzeitig dem Glauben an eine Wahrheitswelt zu verfallen: Korrespondenz, Kohärenz und Konsens. (Wobei er später noch auf Habermas zurückkommt, den er als einen Philosophen beschreibt (und auch begründet) der mit seinem Ansatz die Tradition mit der Moderne verbindet. Er hält ihn daher für einen großen Philosophen, was sich später noch deutlicher zeigen würde).

Über Habermas: Nachdem er die Ausweglosigkeit des Existenzialismus überdacht hatte, entschied er sich, auf dem Weg der Zusammenarbeit und Kommunikation die Wahrheit zu finden. Habermas weist Dekadenz und Nihilismus zurück und hat versucht, die Bruchstücke der „dekonstruierten“ Welt neu zusammenzufügen. Sein größter Feind ist das Selbst; also hält er seine Leser zur Ehrfurcht (besser Achtung?) gegenüber der Gesellschaft an, sein größtes Schreckgespenst ist die „Subjektphilosophie“, die uns uns selbst entfremdet und uns in die Hölle der Geschlossenen Gesellschaft (Satre) bringt; also befürwortet er die „kommunikative Vernunft“. Die Wahrheitssuche ist ein gemeinsames Unternehmen, in dessen Verlauf wir voneinander lernen. … Das Verfahren weist Vorzüge auf, die bislang (Stand 1997) noch nicht die Resonanz gefunden haben, die sie verdienen: sie ist human, undogmatisch, wurzelt fest in der Tradition, sie ist optimistisch und damit gut für das Individuum, das sie praktisch umsetzt, sowie für die Gesellschaft, die von ihr profitiert.

Es ist sinnlos, Tradition als eine Quelle der Weisheit zu empfehlen, wenn man nicht akzeptiert, dass einem Wahrheit genauso gut mitgeteilt werden kann, wie dass man sie selbst entdeckt: denn Tradition ist der Konsens der Toten.

Die Suche nach der Wahrheit ist ein Kampf: Sie ist Teil eines Krieges gegen das Chaos, ein anstrengendes Ritual, die Wirklichkeit dem Zweifel zu entreißen, indem man ihre unterschiedlichen Aspekte benennt oder den Zauberspruch kennt, der sie davor bewahrt, sich im Nichts aufzulösen. Relativismus, Subjektivismus und Dekonstruktion können allesamt den Zauberbann der Wahrheit brechen. Wahrheit könnte dann so relativiert werden, dass sie nicht mehr als Begriff im Lexikon auftauchen würde, oder sie könnte (gar) zu einer anderen Bezeichnung für Unwahrheit verkommen usw..

Relativisten, Subjektivisten und Dekonstruktivisten haben einige Aspekte in die Diskussion eingebracht, die man aufrichtig anerkennen muss. Die Relativisten haben in folgendem recht: Die Verfahren der Wahrheitsfindung – und, so kann man vielleicht sogar sagen, die Konzepte von Wahrheit an sich, die ihnen zugrunde liegen – verändern sich von Zeit zu Zeit, von Ort zu Ort und von Mensch zu Mensch. Die Subjektivisten haben auch in folgendem Punkt recht: Individuen haben keine Garantie dafür, dass Behauptungen richtig sind – sie haben lediglich die Freiheit zuzustimmen. Wir müssen schlussendlich anerkennen, worüber wir auch reden. Immer über den Sinn oder die Idee reden, den wir einer Sache zuerkennen oder mit ihr verbinden. Und die Dekonstruktivisten haben recht, was die Grenzen der Sprache angeht; Wörter bilden ein Netz mit sehr groben Maschen, in dem man Bedeutung nie ganz fassen kann; die Kluft zwischen den Begriffen und den Realitäten, auf die sie sich beziehen sollten, scheint so groß zu sein, dass wir sie nicht zu überbrücken vermögen.

All diese Punkte stehen letztlich auf der Seite der Wahrheit. …

Giordano Bruno, der Wahrheit an die erste Stelle „vor allen anderen Dingen“ setzte und (dafür) auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, kam zu der Einsicht, dass „die Wahrheit, obwohl sie unterschiedlich wahrgenommen wird und unterschiedlich bezeichnet wird, trotzdem in ihrer Substanz die Wahrheit selbst sein muss“. Die jeweiligen Grundideen von Wahrheit sind trotz aller Verschiedenheiten systematisch miteinander verbunden (man könnte es mit einem Gebäude vergleichen).

Selbst der überzeugteste Subjektivist sollte sich vorstellen können, dass man Objektivität dadurch erreichen könnte (sich ihr annähern), indem man alle möglichen subjektiven Standpunkte sammelt und kombiniert. Jedesmal, wenn wir die Perspektiven der anderen wahrnehmen, kommen wir der Wahrheit ein Stückchen näher. Jene, die keine andere Existenz außer der eigenen anerkennen, können sich der Wahrheit annähern, wenn sie sich eine Vielfalt von Perspektiven vorstellen. Die Dinge von überhaupt keinem Standpunkt aus zu betrachten, ist allerdings noch nicht einmal theoretisch möglich. … Es ist sinnvoll (so zu denken), auch wenn wir nie von allen Standpunkten aus schauen können.

Wann immer sich die Wahrheit uns zeigt, ob wir sie nun fühlen (stärker ausgeprägt mit dem Instinkt im Zeitalter der „Sprachlosigkeit“, also nicht „Zeichenlosigkeit“ im Sinne von Gestik), hören, sie wahrnehmen oder mit Hilfe des Verstandes erfassen – wir sollten damit rechnen, dass sie zu uns spricht. Und wir sollten versuchen, wenn wir es denn wollen, sie anderen Menschen zugänglich zu machen.

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Mit der Wahrheit sind weitere Begriffe eng verbunden, die als Attribute der Wahrheit bezeichnet werden können, da wären: Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Echtheit, Offenheit, Klarheit, Ehrlichkeit usw.., also die innere Einstellung zur Handlung und /oder dem Gesagten. In der Ethik spricht man auch von der sittlichen Pflicht zur Wahrheit. Aber auch die Gerechtigkeit ist ohne eine Vorstellung von Wahrheit (für mich) nicht sinnvoll denkbar. "Falsch" ist nur ein Faktor in dem Kontinuum der Wahrheit, dass seine Bedeutung und Berechtigung im Zusammenhang mit Behauptungen hat.

Desweiteren steht mit Wahrheit der Glauben und das Vertrauen (vertrauenswürdig) in Verbindung, wobei jetzt nicht gemeint ist: "Ich nehme mal an, dass.." Im Absoluten gesehen (Vorstellung) laufen die Begriffe in Eins.

Die Korrespondenztheorie in der Philosophie besagt in etwa, dass eine Aussage genau dann wahr ist, wenn sie mit dem verknüpften Teil der Wirklichkeit übereinstimmt (korrespondiert). Die Logik der Aussagenverknüpfung ist "nur" eine sprachlich sinnvolle Konstruktion, wenn die Parameter mit bereits vorher als sinnvoll erkannten Komponenten der Wirklichkeit besetzt wurden, denn ansonsten lässt sich mit der Methode noch jeder Unsinn logisch beweisen.

Aristoteles brachte eine berühmte Definition zur Wahrheit ein, der die Äquivalenz von Aussagen von Platon so präzisierte: "Denn zu behaupten, das Seiende sei nicht oder das Nichseiende sei, ist falsch. Aber zu behaupten, dass Seiende sei und das Nichtseiende nicht sei, ist wahr".

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