Konservatismus und der Verlust seiner Inhalte

Deutsches Kleinbürgertum: Lorenz Pitum schreibt in seiner Masterarbeit über "Konservatismus und Kleinbürgerlichkeit in der Bundesrepublik", als Masterarbeit bei PD. Christian Schwaabe an der LMU.

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"Ein aufgeklärter Konservatismus aber erkennt die eigene Paradoxie, heute zu verteidigen, was er gestern für falsch gehalten hat." (soweit Andreas Rödder im Gespräch mit Michael Angele). Wobei eine konservative Haltung keineswegs mit dem Konservatismus verwechselt werden sollte, denn letzteres bedingt auch eine intellektuelle Bewusstwerdung seiner Inhalte (Theorie).

In der Masterarbeit geht es aber um weit mehr, als "nur" die Behandlung des Konservatismus, auch wenn in der Überschrift so gewählt. Es zeichnet seinen Entwicklungsweg nach und geht darüber hinaus in die Tiefe, was mit "Kleinbürgerlichkeit als Konstante der Deutschen" bezeichnet werden kann.

Damit verbunden Begriffe wie Biedermeier, deutscher Michel, Konservatismus, Tradition, aber auch Kleinbürgertum und Kleinbürgerlichkeit. Inhaltlich unterlegt und auch sichtbar über Heim- und Gartenarbeit, Lokalität, Haus, Heimat, Brauchtum, Religion, Sicherheit der Verhältnisse, Obrigkeitsdenken, Fleiß, Sauberkeit, Ordnung, halt geordnete Verhältnisse (wer sich nicht demgemäß verhält, bekommt Probleme), Nation, Verbände, Vereine, Privatheit vor politischem Engagement. Mit einer gewissen Tendenz, sich gelegentlich wütend zu zeigen und doch gerade damit nicht Ausdruck konservativen revolutionären Potentials, da diese Emotionen (Aktivitäten) mehr zur Absicherung bestehender oder zur Wiederherstellung alter Verhältnisse dienen sollen.

Die Beschreibung der unteren Mittelschicht wäre (nach Kudera 1988): "Die im wahrsten Sinne des Wortes „beschränkten“ Ressourcen der unteren Mittelschicht, ihre Durchschnittlichkeit i.S. der Abwesenheit von „hervorragenderen“, „extremeren“ Eigenschaften und Merkmalen der höheren (sowie auch der niedrigeren) Schichten kann im eigensinnigen Weltbild nämlich durchaus normativ gewendet und zur Basis eines positiven Selbstbildes gemacht werden. Durchschnittlichkeit, begriffen als Normalität, gilt dann keinesfalls als Defizit, sondern als Wert!"

"Was vom gelebten Konservatismus bleibt, ähnelt einem um philosophisches Gedankengut aufgehübschten Traditionalismus und dem längst überholten kleinbürgerlichen Lebensstil vergangener Jahrhunderte. Dem Konservatismus ist es in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen, sich neu zu definieren und zu revitalisierten. Wofür der Konservatismus als gesamtgesellschaftliche Ideologie eigentlich in der nahezu ideologiefreien Bundesrepublik stehen soll, darauf hat dieser selbst keine Antwort parat. Allenfalls in Versatzstücken findet er noch Anwendung, seine Tage als beherrschende politische Strömung in Deutschland jedenfalls scheinen unwiederbringlich vorbei."

und weiter:

"Die Kleinbürgerlichkeit auf der anderen Seite zeigt sich quicklebendig. Das Kleinbürgertum als zahlenmäßig relevante Schicht gehört der Vergangenheit an, zu sehr hat sich die Bundesrepublik verändert. Doch obwohl nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung sich gesellschaftlich als Kleinbürgertum einordnen lässt, hat sich die Kleinbürgerlichkeit über alle sozialen und politischen Grenzen hinweg verbreitet. Die junge Generation strebt einen Lebensentwurf an, in dem sich viele, wenn nicht die meisten, Elemente von Kleinbürgerlichkeit finden: wertorientiert, sicherheitsbedacht, traditionsbewusst. Das gilt auch für die Eltern der Jugendlichen, die in ihrer eigenen Adoleszenz vor fast zwei Jahrzehnten als Generation Golf bereits eine Abkehr von Politik wie geistlosem Materialismus vollzogen haben. Eine hohe Systemzufriedenheit führt zu einer oft irrtümlich als apolitisch verstandenen Abkehr von der Politik und vermehrten Einkehr in den Raum des Privaten, in dem Hobbies und Interessen gepflegt werden, die von der Generation 68 als hemmungslos spießig angesehen worden wären.

Wenig verwunderlich, dass scharfzüngige Feuilletonisten, aber auch die empirische Forschung, das Zeitalter eines neuen Biedermeier angebrochen sehen. Womöglich muss man hier eine Kontinuität erkennen, die mit dem motorisierten Biedermeier der Adenauer-Jahre begonnen hat und bis heute andauert. Die Liberalisierung nach den Studentenrevolten Ende der 1960er war vielleicht gar keine Alternative zum bestehenden Biedermeier, sondern lediglich eine dringend notwendige Korrektur, ein Update, dass einige heillos veraltete soziale Elemente erneuert, aber die der deutschen Mittelstandsgesellschaft zugrundeliegende kleinbürgerliche Denkweise niemals ausgelöscht hat. Die Deutschen scheinen, nimmt man die Sinus-Studie, die Shell Jugendstudie und Sabine Kuderas Werke als Anhaltspunkt, mit einem gewissen Maß an Kleinbürgerlichkeit durchaus zufrieden zu sein, dieses vielleicht sogar zu wünschen."

Wer ein wenig Zeit investiert, kann sich Klarheit über die Begriffe und Zusammenhänge verschaffen, die Lorenz Pitum meines Erachtens ausgezeichnet aufbereitet hat.

Also mehr dazu hier: "Konservatismus und Kleinbürgerlichkeit in der Bundesrepublik".

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