Lohnzurückhaltung

Unwort: Die unsensible, leichtfertige Nutzung eines Begriffs, der wohl von Spindoktoren in die Welt gesetzt wurde, um, ja was wohl?

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Anlass dieses kurzen Beitrags ist ein Artikel der jW "Kapazitäten auslasten" (Simon Zeise - 08.01.16). Diesen Begriff verwendete Gustav Horn in seiner Rede in Berlin vom 07.01.16, als er den "wirtschaftspolitischen Jahresrückblick" gab.

Wie oft haben wir schon dieses Wort "Lohnzurückhaltung" gehört? Und welche Gefühle löst es aus? Es ist eines dieser vernebelnden Begriffe, die im wirtschaftspolitischen Umfeld bereits seit geraumer Zeit ihre Wirkung wohl nicht verfehlt haben. Das ist auch der Sinn dieses Unwortes, dessen "Erfinder" ich nicht ermitteln konnte, aber der Begriff ist zumindest seit mehr als 10 Jahren im Umlauf.

Hier werden die feinen Instrumentarien der Psychobeeinflussung genutzt, also: wie kann eine für abhängig Beschäftigte schlechte Botschaft in das Gegenteil verkehrt werden?

Denn Lohnzurückhaltung ist im Klartext:
1. Lohndiebstahl (Lohnklau), also Lohnzurückbehaltung,
2. Lohndumping (Wettbewerbsverzerrung)
3. Destabilisierung und Sozialabbau in der EU
4. Lüge!

Dieses Unwort dürfte einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet haben, dass in Deutschland die Binnenkonjunktur "schwächelt" und der Export boomt. Wenn nun jedem einigermaßen mit kritischem Bewusstsein ausgestattetem Bewohner dieses Landes klar ist, was dieser Begriff tatsächlich aussagt und was er bewirken soll, dann gerate ich gelinde gesagt in einen nur mühsam zurückgehaltenen Zorn, wenn ein Mann wie Gustav Adolf Horn, dem das doch absolut klar sein sollte (und kaum bezweifelbar auch ist!), das in seiner Rede servil (unbedacht, leichtfertig) benutzt.

Daraus lässt sich auch der Schluss ziehen, dass die Deutungshoheit in der wirtschaftspolitischen Debatte schon längst von Seiten der Gewerkschaften, Arbeitnehmern und Linken verloren gegangen ist. Das wiederum ist nicht überraschend, da sich in einer individualisierten Gesellschaft, die den Wohlstand zu schätzen gelernt hat, kollektive Verbünde nur noch schwer herstellen lassen. Es gibt wenige Ausnahmen, die aber beschränken sich mehr auf lokale Ereignisse.

Wenn man ein wenig nachdenkt (sucht), finden sich schnell weitere Unworte, die es nie in die Jahresbestenliste geschafft haben. Eine kleine unsystematische Auswahl: Entlassungsproduktivität, Flüchtlingsströme, Rentnerschwemme (1996), Kollateralschaden (1999), Reformen, Terrorist, Freiheitskämpfer, Interventionen, Beschäftigung, usw. Hier lässt sich mehr nachlesen: "Sprachlügen".

Der Begriff Reformen ist ein weiteres, positiv klingendes Wort, dessen Inhalt komplett ausgetauscht wurde. Bis in die Endsiebziger schätze ich, bedeutete das für die Arbeitnehmer: mehr Lohn, kürzere Arbeitszeiten, mehr Urlaub, Betriebsrenten, innerbetriebliche Verbesserungen, usw.. Wie es heute eingesetzt wird, dürfte bekannt sein.

Es bleibt uns also nur die Möglichkeit, bei allen Gelegenheiten energisch aufzuklären, wenn die Unworte unbedarft verwendet werden und zornig zu widersprechen, wenn es als Manipulation eingesetzt wird!

Gustav Horn ist Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts IMK (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung), ein Institut der Hans-Böckler-Stiftung.

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