Machtpolitik mit Hilfe der Demoskopie

Merkels Hilfsmittel: Die Rede der Bundeskanzlerin zur Vorstellung des Allensbacher Jahrbuchs der Demoskopie „Die Berliner Republik“ vom 03. März 2010.

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Bei der Nachlese einiger Ossietzky-Ausgaben ist mir in dem Artikel "Nur Starke sollen überleben" von Georg Rammer ein Zitat von Angela Merkel aufgefallen, dass mich veranlasst hat, die ganze Rede von ihr dazu auszugraben. Denn hier finden sich bezeichnende Aussagen von ihr, die ein wenig ihre Denke beleuchten, die in einem weiteren Artikel von Habermas entsprechend "gewürdigt" wird.

Demoskopie hat ihren sinnvollen Platz, wenn man sich als Entscheidungsträger über die Meinung der Menschen einen Überblick verschaffen möchte. Wenn es fair und demokratisch zugeht, dann werden die Befragungen dergestalt beauftragt, dass durch die Art und Weise der Befragung keine Stimmung gemacht (Manipulation), sondern das Meinungsbild zu einer wichtigen Entscheidung eingeholt wird.

Wie sich noch zeigen wird, hat Frau Merkel eine ganz eigene Auffassung von Demoskopie, die sich allerdings im Gegensatz zum Inhalt ihrer Rede im Widerspruch ihrer tatsächlichen politischen Nutzung (Instrumentalisierung) befindet.

Zitat: "Wir können im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik sagen, dass all die großen Entscheidungen keine demoskopische Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden. Die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die Wiederbewaffnung, die Ostverträge, der Nato-Doppelbeschluss, das Festhalten an der Einheit, die Einführung des Euro und auch die zunehmende Übernahme von Verantwortung durch die Bundeswehr in der Welt – fast alle diese Entscheidungen sind gegen die Mehrheit der Deutschen erfolgt."

und weiter

"Erst im Nachhinein hat sich in vielen Fällen die Haltung der Deutschen verändert. Ich finde es auch vernünftig, dass sich die Bevölkerung das Ergebnis einer Maßnahme erst einmal anschaut und dann ein Urteil darüber bildet. Ich glaube, das ist Ausdruck des Primats der Politik. Und an dem sollte auch festgehalten werden."

Nach ihrem Demokratieverständnis schaffen also die Vertreter des Volkes erst einmal die Fakten (Weichenstellungen) und dann wird sich das Volk schon ein genehmes Urteil bilden, dass dann schon im Sinne der Regierung ausfallen wird. Denn diese wusste schon immer im Voraus, was am besten für das Volk ist. Richtungsweisende Entscheidungen werden also nicht demokratisch über pluralistische Mitwirkung des Volkes diskutiert, sondern solo entschieden!

Deshalb sagt sie denn auch: "Aber genau deshalb bin ich auch zutiefst davon überzeugt, dass es richtig ist, dass wir eine repräsentative Demokratie und keine plebiszitäre Demokratie haben und dass uns die repräsentative Demokratie für bestimmte Zeitabschnitte die Möglichkeit gibt, Entscheidungen zu fällen, dann innerhalb dieser Zeitabschnitte auch für diese Entscheidungen zu werben und damit Meinungen zu verändern."

Nun kann man sich mit der Demoskopie zwischen zwei Extremen bewegen: Mit dem einen Extrem nutzt man sie zur Manipulation, mit dem andern weitestgehend die tagespolitische, kurzfristige Einstellung auf Stimmungen im Volk, die dann allerdings keine längerfristige, stabile Politik ermöglicht, es sei denn, es ist dem Ganzen ein demokratischer, meinungbildender Prozess vorausgegangen. Von dem Zustand sind wir allerdings weit entfernt, denn wenn z.B. Volksabstimmungen Sinn machen sollen, bedarf es auch entsprechender kritischer Medien, die die Hintergründe beleuchten und nicht im gleichen Boot derjenigen sitzen, die der Regierung über Lobbyarbeit die Programme quasi ausarbeiten.

Die Rede von Frau Merkel.

Habermas dazu in einem älteren Artikel der Süddeutschen vom 07. April 2011 "Merkels von Demoskopie geleiteter Opportunismus" und noch etwas aktueller aus Spiegel Online vom 09.09.2014 "Wie Merkel die Befindlichkeiten der Deutschen ausforscht".

Letzteres dürfte noch in guter Erinnerung sein.

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