Bei der Nachlese einiger Ossietzky-Ausgaben ist mir in dem Artikel "Nur Starke sollen überleben" von Georg Rammer ein Zitat von Angela Merkel aufgefallen, dass mich veranlasst hat, die ganze Rede von ihr dazu auszugraben. Denn hier finden sich bezeichnende Aussagen von ihr, die ein wenig ihre Denke beleuchten, die in einem weiteren Artikel von Habermas entsprechend "gewürdigt" wird.
Demoskopie hat ihren sinnvollen Platz, wenn man sich als Entscheidungsträger über die Meinung der Menschen einen Überblick verschaffen möchte. Wenn es fair und demokratisch zugeht, dann werden die Befragungen dergestalt beauftragt, dass durch die Art und Weise der Befragung keine Stimmung gemacht (Manipulation), sondern das Meinungsbild zu einer wichtigen Entscheidung eingeholt wird.
Wie sich noch zeigen wird, hat Frau Merkel eine ganz eigene Auffassung von Demoskopie, die sich allerdings im Gegensatz zum Inhalt ihrer Rede im Widerspruch ihrer tatsächlichen politischen Nutzung (Instrumentalisierung) befindet.
Zitat: "Wir können im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik sagen, dass all die großen Entscheidungen keine demoskopische Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden. Die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die Wiederbewaffnung, die Ostverträge, der Nato-Doppelbeschluss, das Festhalten an der Einheit, die Einführung des Euro und auch die zunehmende Übernahme von Verantwortung durch die Bundeswehr in der Welt – fast alle diese Entscheidungen sind gegen die Mehrheit der Deutschen erfolgt."
und weiter
"Erst im Nachhinein hat sich in vielen Fällen die Haltung der Deutschen verändert. Ich finde es auch vernünftig, dass sich die Bevölkerung das Ergebnis einer Maßnahme erst einmal anschaut und dann ein Urteil darüber bildet. Ich glaube, das ist Ausdruck des Primats der Politik. Und an dem sollte auch festgehalten werden."
Nach ihrem Demokratieverständnis schaffen also die Vertreter des Volkes erst einmal die Fakten (Weichenstellungen) und dann wird sich das Volk schon ein genehmes Urteil bilden, dass dann schon im Sinne der Regierung ausfallen wird. Denn diese wusste schon immer im Voraus, was am besten für das Volk ist. Richtungsweisende Entscheidungen werden also nicht demokratisch über pluralistische Mitwirkung des Volkes diskutiert, sondern solo entschieden!
Deshalb sagt sie denn auch: "Aber genau deshalb bin ich auch zutiefst davon überzeugt, dass es richtig ist, dass wir eine repräsentative Demokratie und keine plebiszitäre Demokratie haben und dass uns die repräsentative Demokratie für bestimmte Zeitabschnitte die Möglichkeit gibt, Entscheidungen zu fällen, dann innerhalb dieser Zeitabschnitte auch für diese Entscheidungen zu werben und damit Meinungen zu verändern."
Nun kann man sich mit der Demoskopie zwischen zwei Extremen bewegen: Mit dem einen Extrem nutzt man sie zur Manipulation, mit dem andern weitestgehend die tagespolitische, kurzfristige Einstellung auf Stimmungen im Volk, die dann allerdings keine längerfristige, stabile Politik ermöglicht, es sei denn, es ist dem Ganzen ein demokratischer, meinungbildender Prozess vorausgegangen. Von dem Zustand sind wir allerdings weit entfernt, denn wenn z.B. Volksabstimmungen Sinn machen sollen, bedarf es auch entsprechender kritischer Medien, die die Hintergründe beleuchten und nicht im gleichen Boot derjenigen sitzen, die der Regierung über Lobbyarbeit die Programme quasi ausarbeiten.
Die Rede von Frau Merkel.
Habermas dazu in einem älteren Artikel der Süddeutschen vom 07. April 2011 "Merkels von Demoskopie geleiteter Opportunismus" und noch etwas aktueller aus Spiegel Online vom 09.09.2014 "Wie Merkel die Befindlichkeiten der Deutschen ausforscht".
Letzteres dürfte noch in guter Erinnerung sein.
Kommentare 27
Da duerften jetzt bald salzhaltige Kommentare von Magda folgen.
Nebenbei:
***** Sterne fuers ausgraben...
Frohes neues
:-)
Dankeschön, ebenfalls ein frohes und gesundes neues Jahr.
Danke *****. Diese Frau hat keinen blassen Schimmer von Demokratie. Und hat anscheinend das Grundgesetz nicht gelesen: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ und „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. “, kann man da lesen.
Außerdem: Repräsentative Demokratie heißt: die Interessen und den Willen der Bürger vertreten...
M.E. sind die Äußerungen Merkels eindeutig als verfassungswidrig einzustufen.
Und Merkel, bzw ihre Berater, benutzen die Demoskopie, um Ansätze für die Manipulation der Bürger (ihre Arbeitgeber!) zu finden...
DDR reloaded?
Kauf dir eine Brille:
"Alle Macht geht von der Atlantik-Brücke, Bertelsmannstiftung und der deutschen Bank aus"....
:-))))
Frohes neues Fro
Ich finde es ganz einsichtig, was Merkel gesagt hat.
Das ist die Realitaet. Zynische Vernunft. Gewaehlt wird nur alle vier Jahre in der Zwischenzeit wird gemacht was gemacht wird.
Demoskopie ist nur was fuer die Medien und die Irrefuehrung der Oeffentlichkeit.
Schoen finde ich vor allem Merkels Aufzaehlung der Ereignisse, die, gegen den Mehrheitswillen der Bevoelkerung, den pazifistischen Kleinstaat BRD in einen aggressiven militaerisch-oekonomischen "Komplex D" mit weltweiter Einflussnahme verwandelt haben.
Das wird selten so offen gesagt.
Wahrscheinlich zitierst Du aus einer Sonderedition des Grundgesetzes für hörige Abgeordnete – herausgegeben vom INSM?
Von mir auch ein „Frohes und gesundes neue Jahr“ in die Runde.
Es kann nur besser werden....
;)
Lieber Paul,
Dank für Deinen Beitrag!
Ich kritisierte schon lange massiv das Demokratie-Verständnis von Madame, was ich an ihrer Neujahrsansprache 2013 (Vom Saulus zum Paulus) moniert hatte: Vertraut dem Staat! Er wird's schon für den Bürger richten. (Dann aber von mir als Persiflage verfremdet mit ihrer Erleuchtung zum Paulus)
D. h. der Untertan hat zu spuren . Der Staat ist Madame!
Ein ungeheuerliches Verständnis von Demokratie, das auch ganz deutlich wurde durch "Wir schaffen das" freiweg "aus der Hüfte geschossen", ohne dass es vorher eine Debatte gegeben hätte, ich vermute wohl nicht einmal innerhalb der Regierung. So einen einsamen Entschluss, in Nullkommanichts 1 Mio Flüchtlinge aufzunehmen und die Durchführung dieser Massnahme der Zivilgevölkerung aufzubürden, ist eine Ungeheuerlichkeit ohnegleichen. Kein deutscher Kanzler hätte so etwas ohne vorherige Diskussion vom Stapel gelassen. Aber dieses totalitäre Verhalten der Kanzlerin wurde von den Mainstream-Medien gar nicht kritisiert. Man fragte nur, ob die Entscheidung opportun sei. Für die Massnahme bin ich selbstverständlich. ABER: In einem demokratischen Staat muss ein solch weitgreifender Entschluss zum einen öffentlich mit Parlament und Zivilgesellschaft ex ante diskutiert werden, zum anderen muss eine klare Strategie sichtbar sein, wie Flucht aus Elend heraus an der Wurzel zu bekämpfen ist, um zukünftig Migration, die ja durch D ganz besonders international mit geschürt wird, zu mindern. Ich frage mich, wie kann D eine solche Kanzlerin auch nur einen Tag länger im Amte dulden? Ist mir schleierhaft.
Aber Paul, lass Dich nicht verdriessen! Das Leben geht weiter und wir werden uns den Mund nicht verbieten lassen.
LG zum Neuen, hoffentlich besseren Jahr! CE
tränen lügen nicht..
du bist ja sowas von auf dem falschen dampfer..schlimmer als der beiträger:
achtung: merkel regiert mithilfe der demokratie!!!
und zwar sicher nicht mit der art, wie sie im katechismus des wirtschafts-ignorierenden gut-menschen steht.
>>...dass all die großen Entscheidungen keine demoskopische Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden. Die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die Wiederbewaffnung, die Ostverträge, der Nato-Doppelbeschluss, das Festhalten an der Einheit, die Einführung des Euro und auch die zunehmende Übernahme von Verantwortung durch die Bundeswehr in der Welt– fast alle diese Entscheidungen sind gegen die Mehrheit der Deutschen erfolgt."<<
Tja, wo sie recht hat, da hat sie recht.
>>Erst im Nachhinein hat sich in vielen Fällen die Haltung der Deutschen verändert.
Ich finde es auch vernünftig, dass sich die Bevölkerung das Ergebnis einer Maßnahme erst einmal anschaut und dann ein Urteil darüber bildet.<<
Das ist wieder mal Propaganda pur: Man gewöhnt sich, man arrangiert sich, man integriert jede Sauerei in den Alltag, sogar die Agenda 2010.
Das heisst natürlich nicht, dass jemals eine Mehrheit pro entschieden hätte. Aber für genau solche Sprüche gibt es die Parteigrossspenden...
Die Merkel vorlaufenden Kanzler haben ihre einschneidenden Entscheidungen, wie sie aufzählt, ohne Mehrheiten (zumindest nicht im Parlament) durchgezogen. Dafür wurden sie häufig gelobt und man hat entsprechende positive Attribute für diese Kanzler gefunden.
Von keinem Kanzler ist mir allerdings bekannt, ob es analoge Äußerungen gibt. Merkel ist sich wohl der Brisanz ihrer Äußerungen in dem kritiklosen Umfeld nicht bewusst gewesen. Aber das ist Spekulation, ob es eine spontane Aktion oder nach einem Skript abgelaufen ist. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, ob es zu der Ansprache damals Reaktionen aus der Presse gab. Jedenfalls ein seltener Moment der Transparenz, wie sie Regierungspolitik versteht.
Zur Demoskopie und Frau Merkel noch ein Link:
Regieren nach Zahlen (Spiegel 37/2014)
Unscharf formuliert: ich meinte natürlich die fehlenden Mehrheiten im Volk.
Danke, Paul, für den Beitrag und das "Ausgraben" dieser "Ossietzky-Ausgabe"!
Was mir dazu als Allererstes einfällt, ist, daß in letzter Zeit viel von "Aufklärung" der westlichen, insbesondere mitteleuropäischen Kultur die Rede ist, die man in Gefahr sieht, und schaut man offen hin, dann erkennt man, daß die sogenannte Aufklärung die mitteleuropäische Gesellschaft ganz offensichtlich weder kognitiv, noch mental überhaup erreicht hat. Tja, und so kann auf der Basis dieser Einbildung durch Politlinge trefflich mit Mitteln agiert werden, die schon in theokratischen Kulturen wirksam waren. In Majorität ist das sogenannte Volk ebenso unbedarft, naiv und bewußtseinsumdämmert, wie vor Hunderten oder gar schon vor Tausenden Jahren.
Entsprechend fällt auch jedes Jahr allgemein der Rutsch in die Reaktion aus.
Dir dennoch - oder gerade deswegen - beste Wünsche für ein ersprießliches, gedeihliches und bekömmliches neues Jahr! Das Gleiche als Gruß auch an alle, die hier mitlesen.
ES MÖGE NÜTZEN!
"...lass Dich nicht verdriessen!"
Das wird ihr jedenfalls nicht gelingen. Wesentlich ist doch, dass wir die Mechanismen durchschauen und als "Katalysator" für andere arbeiten können. In dem Sinne bist du doch auch unterwegs, obwohl Du dich doch eigentlich locker und verdienterweise zurücklehnen könntest. Aber das reicht uns eben nicht und solange es die Kräfte zulassen, wird es auch so bleiben.
Letzteres gilt wohl für alle hier mitlesenden und mitschreibenden. Deshalb schließe ich mich gerne den Wünschen von @Gebe an: auf dass es Euch allen im neuen Jahr gut geht!
Danke für dem Merkel Text. Ich hoffe, er ist authentisch und stellt sich nicht als Karrikatur heraus. Werde ihn meinem "Nachwuchs" vorlesen.
Das wird schon korrekt sein, immerhin veröffentlicht unter "Herausgeber
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung".
Dir lieber Gerheart auch das Allerbeste in 2016. Wir werden durchhalten! LG, CE
Lieber Paul,
ich grüsse Dich an einem herrlichen Silvestertag an der Costa Esmeralda. Schöner geht's nicht mehr. In der Sonne flimmerndes Meer mit Schäfchenwolken am Himmel bei 33 Grad. Gegen Abend wird es sicher auch ein paar Böllerschüsse geben, die hoffentlich die Pelikane nicht zu sehr erschrecken. In der Eifel wird es wohl gesitterter als in Berlin zugehen, was eingenebelt wird. Besonders vom Kanzleramt aus wird die Sicht nicht weiter als einen Meter reichen, aber das reicht aus, um D-, EU- und Welt-Politik zu machen.
Dir und Familie alles Gute in 2016! CE
Es gibt Politiker aus Überzeugung und Populisten. Letztere müssen nicht pauschal diskreditiert werden, sie können sich durchaus den Menschen verpflichtet und an den jeweiligen Mehrheitswillen gebunden fühlen, ihre Arbeit als organisatorischen Dienst an der Allgemeinheit verstehen. Sie können aber auch ausschließlich an ihre fortgesetzten Wiederwahlen und die lobbyistischen Einkommensquellen denken, die versiegen könnten. Die engagiert zielorientierten Politiker, die ihre gesellschaftliche Rolle noch ernst nehmen, unterscheiden sich danach, ob sie gesinnungsethisch oder verantwortungsethisch gebunden sind, sie können die fragwürdigsten Ziele vertreten, die verantwortungsbewußten sind allerdings stärker gehemmt. So sind Politiker immer ganz konkret in ihrem Einzelfall zu beurteilen, ob Merkel oder irgend ein anderer aus diesem Verein. Darüberhinaus muß aber das politische System der Demokratie insgesamt bewertet werden, ein Urteil, das viel schwerer wiegt.
Wir leben der kapitalistischen Marktwirtschaft korrespondierend in einer marktkonformen Demokratie. Das heißt, es gibt wie die Warenproduzenten so die politischen Ideologieproduzenten, die ihre „Ware“ in regelmäßigen Abständen unter eifriger, nicht selten sittenwidriger Reklame (Propaganda) zur Wahl stellen, und wir dürfen uns dann verführen lassen, Reklamation und Rückgaberecht in der Regel ausgeschlossen. Diese Demokratieform der Arbeitsteilung in Politaktivisten und Politikkonsumenten ist eine extreme Entpolitisierung, sie immunisiert weitgehend das System und seine Protagonisten. Daß die darin praktizierte Strategie von Madame Merkel so offenherzig ausgeplaudert wird, läßt darauf schließen, daß sie und viele ihrer Kollegen nicht wissen, was sie tun, sich nicht des erbärmlichen Zustands des Politischen unter ihrer Mitverantwortung bewußt sind. Manche wären sicher weniger naiv und würden solche demaskierenden Worte vermeiden.
Aber es kommt nicht auf die Politiker an. Solange die Regierten die politischen Routinen nicht als skandalös empfinden, wird sich nichts ändern. Die Stabilität des Systems scheint langsam ins Wanken zu geraten. Wenn dann nicht Sündenböcke gesucht werden, sondern die mißlungene Gesellschaft als ein gemeinsames Versagen, freilich mit dem Kern der Absahner, die enteignet gehören, dann kann etwas Neues entstehen.
So kurz vor Jahreswechsel noch im Netz? ;-)
Wie immer gerne gelesen. Das Dumme ist nur, dass sich "Politikkonsumenten" eher nicht auf diesen Seiten einfinden (ohne es überheblich zu meinen) und die kritische Auseinandersetzung bei jenen verbleibt, die sich der Verdummung bereits seit längerem entziehen und daher eigene Quellen der Information und Kommunikation erschlossen haben (erschließen). Das ist ein besch. Kreislauf und mir fällt dazu nicht viel ein, wie sich das ohne größere "Welle" ändern ließe.
Wenn nun z.B. der Verbandspräsident Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband kritisiert, dass die Regelsätze von Hartz IV "willkürlich manipuliert", "trickreich klein gerechnet" und noch immer auf einer Berechnungsbasis von 2011 beruhen, (die damals bereits falsch war), dann stellt sich für mich doch die auf der Hand liegende Frage: warum belässt er es nur bei Presseprotesten?
Hier müssten doch die großen Organisationen endlich ihre tradierte und gemütliche passive deutsche Konsenshaltung aufgeben und ihre Mitglieder endlich auf die Straße bringen! Denn anders bewegt sich doch nichts, jedenfalls nicht, solange die Regierungsparteien keine wesentliche Beeinträchtigung ihrer Mehrheiten sehen.
@ Pfeifel gestern um 22:57 und:
"...warum belässt er es nur bei Presseprotesten?"
War das eine Rhetorische Frage? Der "Mainstream" wird beherrscht von EKD, Großkapital und Vatikan samt ihren internationalen Verflechtungen. Und kein (populistischer) (-;
Maistream-Politiker kann sich erlauben, hier von der Linie abzuweichen.
Ein gutes Neues. Möge der Dax zum Wohle der Portfolien auch weiterhin schwindelerregende Allzeithochs erreichen.
Oder doch lieber populistischer:
Prost, prost, prost - auch wenns das Häuschen kost.
Danke erstmal für die Grüße; ich hatte es ja bereits für alle Mitleser geschrieben.
Den Ulrich Schneider würde ich nicht in diese Kategorien einordnen. Er kommt aus einfachen Verhältnissen und wenn er noch etwas von diesem "Gepäck" verinnerlicht hat, dann ließe sich das auch abrufen.
Nur, es scheint mir manchmal einfach am Mut zu fehlen, obwohl ich beim besten Willen nicht einsehen will warum. Ist es die Befürchtung von Kontrollverlusten der Organisationen über ihre Mitglieder? Hat man sich so an die herrschenden Zustände gewöhnt, dass außergewöhnliche Maßnahmen als zu radikal betrachtet werden? Oder ist es eine diffuse Angst, unkalkulierbare persönliche Nachteile zu erleiden?
Vielleicht ist es von allem etwas. Nur, es wäre genau die Aufgabe der gewählten Hauptamtlichen mehr zu tun, da die bisherigen Bemühungen erfolglos geblieben sind. Und das wiederum würde ich als eine Pflicht betrachten, die sich aus dem Berufsethos ergibt!
Lieber Pleifel,
ich soll hier - weil Tlacuache das so will - ein bisschen herumätzen . Der hängt immer überm Geländer wie eine Hauswartsfrau und wartet auf Zoff.
Ich fand Merkels-Rede durchaus interessant.
Die "entlarvenden" Zitate hätte - genau so - jeder Kanzler sagen können.
Ihre Interpretation ihres Zitates ist eigenwillig .
Nach ihrem Demokratieverständnis schaffen also die Vertreter des Volkes erst einmal die Fakten (Weichenstellungen) und dann wird sich das Volk schon ein genehmes Urteil bilden, dass dann schon im Sinne der Regierung ausfallen wird. Denn diese wusste schon immer im Voraus, was am besten für das Volk ist. Richtungsweisende Entscheidungen werden also nicht demokratisch über pluralistische Mitwirkung des Volkes diskutiert, sondern solo entschieden!
Stimmt schon - in der letzten Zeit wurden Gesetze im Schweinsgalopp durchs Parlament getrieben. Manchmal durch in der Tat vorhandenen Zeitdruck, manchmal auch um Debatten zu verhindern, obwohl es ja eine satte Regierungsmehrheit gibt und auf die kommts nun mal an.
Aber sonst: In der Bundesrepublik wird wohl kaum irgendetwas "solo" entschieden. Auch nicht von Angela Merkel. Natürlich werden richtungsweisende Entscheidungen im Vorfeld lange diskutiert und es melden sich sowohl gesellschaftliche Gruppen als auch Wirtschaftslobbys zu wort. Das geht oft über Jahre, wenn man z. B. an die Homoehe denkt. Und wenn das Parlament dafür stimmt wird es sicherlich noch immer - hin und wieder - gegen eine Mehrheit im Volke entschieden.
Die Vertreter des Volkes schaffen auch nicht nur Fakten - sie reagieren meist auf Fakten oder auf entsprechende Initiativen. Es ist alles ein bisschen komplizierter.
Ich persönlich glaube ehrlich gesagt nicht, dass das Volk immer in seiner Mehrheit "weise" ist. In der Schweiz kamen da nicht immer erfreuliche Ergebnisse heraus.
Alle Merkel vorlaufenden Kanzler haben ihre einschneidenden Entscheidungen, wie sie aufzählt, ohne Mehrheiten (zumindest nicht im Parlament) durchgezogen. Dafür wurden sie häufig gelobt und man hat entsprechende positive Attribute für diese Kanzler gefunden.
Ja, bei vorherigen Kanzlern nannte man das "Führungsstärke", Vorausschauen. "gegen den Strom schwimmen" oder auch nur Machtinstinkt. Und viele würden - wie Merkel - erklären, sie seien bei einigen politischen Entscheidungen im Gegensatz zur Mehrheitsmeinung im Volke gewesen und das als Pioniergeist verstehen.
Wenn ich an Brandt Ostpolitik denke, der musste immer gegen eine Merhheit in seinem Volke agieren und gegen eine lautstarke gegnerische öffentliche und veröffentlichte Meinung.
Ein anderes Beispiel ist das von Wolfgang Trittin durchgesetzte Dosenpfand. Wer hat das denn vorher gewollt? Niemand. Es sollte die Tugend der Politiker sein, vorausschauend auch mal "gegen den Strom zu schwimmen. Und wir haben nun mal keine plebiszitäre Demokratie. Nichts dagegen, dass plebiszitäre Elemente immer mal wieder diskutiert werden und auch einbezogen werden- in Berlin gibts davon schon wieder ein paar mehr.
Und weil Sie sich über Merkels "Demoskopie" so erregen, zitiere ich mal aus dem von Ihnen verlinkten Spiegel-Beitrag heißt es u. a.
Deutsche Kanzler lassen sich seit Jahrzehnten von Meinungsforschern beraten. Helmut Kohl hörte auf Elisabeth Noelle-Neumann und deren Institut in Allensbach, Gerhard Schröder setzte lange auf Manfred Güllner und dessen Forsa-Kollegen.
Was also ist daran so wahnsinnig enthüllend? Nichts.
Zu Habermas wäre anzumerken, dass er natürlich mit der Griechenlandpolitik der Kanzlerin recht hat, aber nicht mit seinen Forderungen an eine europäische Einigungspolitik, die die politischen Voraussetzungen im Moment völlig negiert.
Davon abgesehen ist Habermas jetzt im Moment absoluter Merkel-Fan.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/juergen-habermas-ueber-fluechtlinge-mit-dem-blossen-aufprall-ihrer-erschoepften-und-hilfsbeduerftigen-existenzen/12522496.html
Das wechselt immer mal wieder.
Regierung legitimiert sich durch Wahlmehrheiten, denke ich und nicht indem eine ständige Volksmeinung und -mehrheit eingeholt wird. Das macht ja auch den Ärger, weil die Menschen sich oft nicht wiederfinden. Das ist ein anderes Problem.
Man sagt doch aber Merkel nun gerade nach ,dass sie sich angeblich zu schnell nach Umfragen richtet.
Es läuft auf das alte Dilemma hinaus, wie der Prozess aussehen sollte, um zu den besten demokratischen Entscheidungen zu gelangen. Und zwar zu denen, die nicht Partikularinteressen dienen, sondern nach Gesichtspunkten sozialer und ethischer Grundlage getroffen werden. Dann allerdings wären auch manchmal Entscheidungen zu treffen, die nicht der augenblicklichen Mehrheitsmeinung der Bevölkerung entsprechen. Hier können Sie auch entnehmen, dass diese „Solo-Entscheidungen“ häufig nicht diesen Kriterien entsprechen.
Die Kanzlerin hat in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, wie sie die gesetzlich zugestandene Richtlinienkompetenz nutzt und wichtige Einzelentscheidungen getroffen hat. Da sie (nach meiner Einschätzung) ein schwaches Kabinett hat, fehlt meines Erachtens ein notwendiges Korrektiv, das ebenfalls gesetzlich vorgesehen ist. Aber das will ich ihr noch nicht einmal zum Vorwurf machen, wenn gewählte Volksvertreter ihrer Verantwortung nicht besser nachkommen.
Nun, es macht doch wohl einen großen Unterschied für eine wichtige politische Entscheidung vorher zu "werben", wie sie es sagt oder eine Entscheidung zu treffen, die dann ex post legitimiert werden soll. Gründe dafür sind immer zu finden, nur, der Widerstand (Möglichkeit) gegen diese Entscheidung beschränkt sich i.d.R. auf dem nächsten Wahlzettel. Eine Folge ist dann auch die stetig fallende Wahlbeteiligung.
Denn mir ist nicht bekannt, das einschneidende Gesetzgebungen, wie z.B. die Hartz IV-Gesetze, die Rente mit 67, das Gesetz zur Schuldengrenze, die Aufhebung der paritätischen Beteiligung der Arbeitgeber an den Gesundheitskosten usw. irgendeine qualitativ überzeugende Begründung erfahren hätte, die nicht rein ökonomischen Interessen entsprungen wäre und sich als Lobbygesetzgebung dargestellt hat. Aber das ist dann, außer ein wenig nachträglicher Kosmetik, kein Grund, die Gesetze wieder einzustampfen, was sowohl sachlogisch angebracht und demokratisch überzeugend wäre.
Zurück zur Demoskopie, nicht die Nutzung der Demoskopie ist zu kritisieren, wohl aber, wenn sie als Mittel zur Instrumentalisierung genutzt wird und über die Häufigkeit und Kosten der Nutzung ein Mäntelchen des Schweigens gelegt wird. Es ist auch von Bedeutung, wie transparent die Vorgänge der Vergabe und die Beziehung der Institute zur jeweiligen Regierung ist. Richtig ist wohl, dass das bereits vor Merkel nicht "neutral" abgelaufen ist. Dann stellt sich schon mal die Frage, wer manipuliert hier eigentlich wen?
Merkel wegen der Flüchtlingspolitik wiederum zu kritisieren, wäre mir jetzt zu billig. Nur, es gab eine lange Vorlaufzeit in der Entwicklung und ein Grenzregime. Griechenland und Italien wurden als Erste lange hängen gelassen. Man konnte sich auf die von Deutschland (mit)verantwortete Grenzlandsituation der EU zurückziehen. Wenn also Kritik an Merkel, dann mit anderen Schwerpunkten!
Mir geht es in meinen Statements darum, nachzuweisen, dass alles, was Merkel macht in gewisser Weise doppelt beachtet und bewertet wird. Als Ostdeutsche und als Frau.
Sie konstatieren:
Die Kanzlerin hat in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, wie sie die gesetzlich zugestandene Richtlinienkompetenz nutzt und wichtige Einzelentscheidungen getroffen hat.
Was meinen Sie? Den Atomausstieg? Oder die Entscheidung für die 16 000 Flüchtlinge, die sie über die Grenze gelassen hat? Fakt ist bis dahin habe ich andauernd gelesen, sie entscheide nichts, sie nutze die Richtlinienkompetenz nicht, sie spreche kein Machtwort usw.
Ansonsten machen Sie ein weites Feld auf. In der Großen Koalition hat sich einiges der von Ihnen angeführten Entscheidungen wieder aufgeweicht. Hartz IV nicht, aber die Rente mit 67 hat eine Variante für den früheren Ausstieg, über die paritätische Beteiligung an den Sozialkosten wird gerade wieder diskutiert - nebenher auch von Kreisen aus der CDU. Es ist alles immer wieder im Wandel. Merkel hat da überhaupt keine Prinzipien, auch keine "neoliberalen", wie ich denke und da hat sie Recht.
Dass die Leute nur noch über Wahlen beteiligt sind, ist sicherlich oft beklagt worden, aber dafür kann die Merkel nichts. Gesetzesinitiativen anstoßen, Gesetzgebung kritisch begleiten, das kann eigentlich jeder, der sich einbringt. Es macht nur eine Menge fiese Arbeit und hat - so ist es - seine Grenzen.
Da ist es doch viel einfacher zu sagen, Merkel mus weg, die ist f auch noch. Sie ist eine CDU-Politikerin mit dem Drang nach Mitte-Links. Sie ist ja manchmal linker als die SPD. Was ist daran so fürchterlich. Ich wähle sie ja auch nicht, ich verteidige sie nur. :-)))))))))))
„Mir geht es in meinen Statements darum, nachzuweisen, dass alles, was Merkel macht in gewisser Weise doppelt beachtet und bewertet wird. Als Ostdeutsche und als Frau.“
Wie wahr, wie wahr.
https://www.freitag.de/autoren/jana-hensel/ein-feministischer-meilenstein
„Geisler: Ganz einfach: Sie hat als reine Ossa einen Sinn für das, was geht und was nicht geht. Sie rennt gegen nichts an. Und was sie selbst denkt, sagt sie nicht gleich, sie gibt keine Bekenntnisse ab, und das erscheint mir sehr weiblich. „
„Geisler: Zerstörerisches Weib, oh, welche Gefahr!
Für uns ist es ganz einfach, sie als Frau zu lesen. Viele Beobachter jedoch haben sich lange Zeit schwer damit getan. Der „Spiegel“ hat über die Jahre getitelt: „Die halbe Kanzlerin“, „Die Herrin auf Schloss Ungefähr“ oder „Angela Mutlos“. Und der Schweizer Publizist Roger Koeppel hat über sie geschrieben: „Es fehlt das Archetypische. Man wüsste nicht, welche Rolle ihr in einem Shakespeare-Drama zukäme.“
Schrupp: Aber das Weibliche in Verbindung mit Macht, das ist ja das Neue. Als reale Figur im politischen Alltag wird dieser Typus gerade erst erfunden, natürlich kam der in Shakespeare-Dramen nicht vor.
Und was ist das archetypisch Männliche an der Macht?
Schrupp: Die Macht selbst.“
„Geisler: Aber die Männer nehmen ihr übel, dass sie die Macht all dieses Brimboriums drumherum entkleidet. Kein Händchenhalten wie Kohl und Mitterrand, kein Kniefall wie bei Brandt. Und wenn sie mal die Arme hebt, dann hat sie da nen Schweißfleck.
Schrupp: Das ist eine wichtige Beobachtung. Für Männer ist dieses Brimborium Teil ihrer Faszination für Macht. Lange wurde behauptet, ohne diese Gesten der Macht könne man nicht Politik machen. Das hat die Frauen immer geärgert. Sie haben gesagt, dann machen wir eben keine Politik. Aber Merkel hat gezeigt, es geht ohne. Das ist das Großartige an ihr, denn genau auf dieser Linie verlaufen die Konflikte zwischen Männern und Frauen.„
„Ich glaube, es gab auch im westdeutschen Feminismus einige Denkfehler, nämlich zu glauben, das Ziel sei die Gleichstellung mit den Männern. Frauen müssten wie Männer sein. Das wurde zwar von der autonomen Frauenbewegung schon früh kritisch hinterfragt, aber der Mainstream hat das so aufgesogen. Und diesen diskursiven Ballast der westdeutschen Frauenbewegung hat Merkel nicht.
Rührt dieses Selbstbewusstsein aus ihrer DDR-Herkunft?
Schrupp: Ich glaube, dass es auch im Westen solche Frauen gab, aber die wurden in ihrem freiheitlichen Potenzial nicht so gewürdigt.“
Gerade Pegida und AfD versuchen ständig, ihre Kritik an Merkel mit unfairen Hinweisen auf ihre DDR-Vergangenheit anzureichern und benutzen auch antifeministische Positionen gegen sie.