Wie die Bildung entwertet wird

Selbstoptimierung: Das Digitale wird als Allheilmittel des Fortschritts verkauft. Und damit zukünftig erst gar keine Kritik mehr aufkommt, muss in der Schule bereits "formatiert" werden.

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Man sollte sich als Kritiker nicht auf das Gleis setzen lassen, dass die Alten eh meistens dem Fortschritt im Weg stehen und neue Technologien weder verstehen noch mit ihnen umgehen wollen. Denn deren Kritik an machen wundersamen Fortschrittsoptimismus wird als die typische Haltung derer einsortiert, die da etwa lautet: "in der Vergangenheit lief es doch auch gut, wofür brauchen wir das?"

Ich habe die Entwicklung vom PC und Großrechner gut verfolgen können, da ich selbst ab den 70er Jahren in so einem Umfeld gearbeitet hatte und die Heimcomputer als Commodore oder auch Atari (um nur die bekanntesten zu nennen), später in vielen Haushalten Einzug hielten. Man hat vielleicht auch noch in Erinnerung, wie die Prognosen gestandener Experten einst lauteten, "Ich denke, dass es weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer gibt”. Das prognostizierte Thomas Watson, Chairman von IBM, im Kriegsjahr 1943. Und dann war es ausgerechnet IBM, das dem PC, wie wir ihn heute kennen, zum Durchbruch verhalf und ihn zum Massenprodukt machte."

Das vorweg als kleine Einführung, um zum eigentlichen Punkt des "weltweit größten Experiments am lebenden Objekt" zu kommen, wie es Ralf Lankau im Gespräch mit der jw bezeichnet, als er über die "falsche Heilslehre vom Digitalen" spricht. Es liegen mittlerweile genügend Studien vor, die sich mit den negativen Auswirkungen kindlichen Lernverhaltens auf die digitalen Medien beschäftigt haben. Hinter diesen Marketingoffensiven der überwiegend optimistisch prognostizierten Auswirkungen der neuen Medien stehen die großen Monopole (Oligopole) überwiegend amerikanischer Konzerne, denen es gelungen ist, selbst bei vielen sich kritisch sehenden Erwachsenen, das Bewusstsein über die negativen Folgen der mehr oder weniger freiwilligen Selbstbeteiligung zu trüben, also die persönlichsten Daten über die eigene Lebenswelt zur Verfügung zu stellen und das auch noch als Vorteil anzusehen, und ganz Naive noch immer vermeinen: "doch gar nichts zu verbergen hätten". Auf der Ebene verlässt mich dann die Contenace und mein Blutdruck steigt ob soviel Ignoranz. Da kommt mir doch schon mal in den Sinn: ja, auch die dürfen wählen! Aber das muss man wohl aushalten können.

Obwohl die neuen Medien in den meisten Schulen noch gar keinen Einzug gehalten haben, ist die Veränderung des menschlichen Verhaltens ob der neuen digitalen Technologien schon längst zu beobachten. Es geht hier um die Kommunikations- und weniger um die Lernmittel. Die Smartphones haben das menschliche Miteinander im Alltag reduziert und zwar auf die Kommunikation mit dem vor Ort sich befindlichen "Nichtgegenüber". Die Aktualität der Realität der physischen Welt wird ständig durch das virtuelle am BS überlagert (verdrängt) und gewinnt eine Scheinobjektivität des neuen Realen. Zudem der Entzug dieses Gadgets zu tatsächlichen Suchtphänomen führt, wie getestet wurde. Dafür werden natürlich wiederum Kurse angeboten in der Art, "wie bekomme ich mein Leben wieder in den Griff", um die eigentliche Frage ins Bewusstsein zu heben, was ist für mich am Tage (nachts offline!) denn tatsächlich von Relevanz.

Wer junge Mütter beobachtet (Väter sind auch darunter, fallen aber nicht so auf, da seltener unterwegs), kann ein Kleinkind beobachten, dass sich bemüht mit der Mutter Augenkontakt zu bekommen, die aber ihren Blick auf das Handy fixiert hat und nicht ansprechbar ist. Ich habe mir dann schon mal erlaubt "buh" zu sagen (ist zwar etwas albern, wirkt aber) und angemerkt: "hätte auch ein Baum sein können, App schon dafür geladen?). Ok, das sollte reichen um festzustellen, das die Faszination der neuen Medien selbst bei Erwachsenen bereits ohne Schulerfahrungen gewirkt hat, da dürfte das ungezügelte Eindringen der Konzerne in diesen Bereich noch ganz andere Folgen zeigen.

Ich befürchte nun, wenn dieser Entwicklung kein Riegel vorgeschoben wird, werden in wenigen Jahrzehnten Fragen zum Datenschutz nur noch verständnisloses Kopfschütteln auslösen. Der Weg in dieser Richtung wird zurzeit bereitet und läuft unter der Überschrift: Sicherheit vor Freiheit, wobei diese Form der Überwachung als neue Freiheit "verkauft" wird. Verkauft in Hochkommata, weil das wiederum ein großes Geschäft ist.

Alles weitere und empfehlenswert zu Lesende in dem Beitrag von Ralf Lankau (oben verlinkt).

Ralf Lankau ist Professor für Mediengestaltung und Medientheorie an der Hochschule Offenburg. Von Lankau erschien Anfang Oktober im Beltz-Verlag: »Kein Mensch lernt ­digital: Über den ­sinnvollen Einsatz neuer ­Medien im Unterricht«

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