Wie ein neues Forschungsgebiet zu seinem

fraglichen Namen kam: Jerry Kaplan gelingt mit seinem Buch "What Everyone Needs to Know", im deutschen Titel "Künstliche Intelligenz", eine glänzende Einführung in ein undurchsichtiges Gebiet.

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Anhand der Ausführungen von Jerry Kaplan lässt sich begründet daran zweifeln, ob die Geschichte der KI so verlaufen wäre, wenn nicht der "Juniorprofessor der Mathematik am Dartmouth College, John McCarthy im Jahr 1956 nicht eine Konferenz zu diesem Thema einberufen hätte" und halt ein Titel für die Konferenz benötigt wurde, der zur "Künstlichen Intelligenz" führte, da beabsichtigt war, sich von dem bereits existierenden Zweig der Kybernetik abzusetzen.

Er schreibt: "Hätte McCarthy sich damals für einen bodenständigeren Begriff entschieden, der die Dominanz oder Erkenntnis nicht bedroht, zum Beispiel ´mathematische Verarbeitung` oder ´analytische Berechnung`, dann würden Sie vermutlich dieses Buch nicht lesen. Der Fortschritt auf diesem Gebiet erscheint kaum als das, was er ist - ein stetiges Voranschreiten der Automatisierung."

"Seine Mitstreiter Marvin Minsky und Claude Shannon" sowie acht weitere bekannte Wissenschaftler nahmen also an einer Konferenz teil, die die Aspekte des Lernens und andere Merkmale der Intelligenz so genau analysieren sollten, dass daraufhin die Konstruktion einer Maschine zur Simulation dieser Erkenntnisse möglich sei. Hier waren also überwiegend Mathematiker am Start, die sich "mit Konzepten und Aussagen in Form von Symbolen beschäftigten". McCarthy entwickelte auch die den Programmieren bekannte Programmiersprache LISP (List Processing).

Dieser neu geschaffene Begriff der Künstlichen Intelligenz (KI) hat sich nun zu einem Selbstläufer entwickelt, der kaum noch etwas mit der ursprünglichen Ingenieurswissenschaft zu tun hat, jedenfalls nicht auf der Ebene, in die sich der Blickwinkel verschoben hat. Und zwar den als Konkurrenz, gar Bedrohung der menschlichen Fähigkeiten, die sich speziell auf die menschliche Intelligenz im Allgemeinen beziehen. Und wer lässt sich nicht beeindrucken von der rasanten Entwicklung, die im Zuge der phänomenalen Hardwareverbesserungen Möglichkeiten eröffnen, die als Alltagserfahrung im Smartphone seinen Ausdruck findet.

Da nun niemand von dieser Entwicklung (Beeinflussung) ausgenommen ist, fällt ein "neutraler" Blick darauf nicht leicht, da zur Beschreibung der Ergebnisse neue Begriffe notwendig wären, die nicht einfach aus dem Umfeld des Menschen auf die algorithmischen Maschinen übertragen werden sollten. Jerry Kaplan weist auf dieses Manko deutlich hin und fällt doch selbst im Verlaufe seiner Ausführungen hinter seinen eigenen Stand zurück, was mein eigentlicher Kritikpunkt an diesem informativen Buch ist.

Der Gewinn beim Lesen des Buches ist die Art und Weise, wie es Jerry Kaplan gelingt, auch mit anschaulichen Beispielen den Stand der Dinge aufzuzeigen, die demnächst zu erwartenden Folgen transparent zu machen, sowie das Potential hinsichtlich negativer wie positiver Auswirkungen auf die Gesellschaft, vor allem auf die Arbeitswelt darzulegen. Und die zeichnen sich bereits ganz konkret ab, was einen großen Teil der Berufsbilder betrifft.

Was nun die Gefahren betrifft, die gewisse Kreise in der KI sehen, die sich quasi als autonome Maschinen die Herrschaft über die Menschen aneignen und sie bestenfalls als "überholte" biologische Zwischenstufe betrachten (bzw. ignorieren), die dann zwecks Konservierung (Erhaltung) in einem eingehegten Bereich noch versorgt, vergnügen dürfen, wäre nur eine wohlwollende Version der neuen Apokalyptiker (Transhumanisten), also vor allem jener, die sich Milliardenvermögen angeignet haben und ihren Ruhm über Stiftungen hinaus nicht mehr adäquat vertreten sehen. Deshalb muss als Ersatz der verlorenen Götterwelten die Fiktion der Unsterblichkeit in einem Paradies der körperlosen Wesen fantasiert werden, was wiederum ein ganz konkretes, aber noch völlig fehlendes Wissen über den derzeitigen Stand des menschlichen Bewusstsein selbst voraussetzt.

Was allerdings im Zuge der weiteren Entwicklung der algorithmischen Maschinen notwendig sein wird, ist die ständige Aktualisierung der Vorstellung über die wesentlichen Eigenschaften des Menschen selbst (was ihn ausmacht!), da vom Ergebnis her betrachtet, viele Maschinen Leistungen erbringen werden, die bis dato ausschließlich dem Menschen vorbehalten waren. Es wird also möglicherweise eine neue "kopernikanische" Wende der Geisteswissenschaften erfolgen müssen, die dann hoffentlich zu einem besseren Verständnis des Menschen selbst führen wird.

John Searle, ein bekannter Philosoph, der sich kritisch mit der Ki auseinandersetzt, ist der Überzeugung, dass Programme immer nur das Denken simulieren, sodass er in der Kurzform schließt (zumindest als Stand der Dinge): dass "niemand zu Hause" sei. Das ist nach Jerry Kaplan durchaus logisch und er verweist darauf, dass "die konstruierten Maschinen ihre Fähigkeiten inhärent als grundlegende Zwecke hinterlegt haben und sich z.B. ein Wäscheroboter nicht spontan zum Rasenmähen "entscheiden könne"".

Das eigentliche Problem sind nicht diese adaptiven Maschinen (wie immer man sie auch nennt), sondern deren Konstrukteure, die als verkannte Genies früher oder später wagen werden, was tunlichst zu unterlassen wäre, nämlich Maschinen zu entwickeln, die als prioritären Grundsatz ihre Selbsterhaltung beachten müssen und dabei auf keine spezifischen Domänen beschränkt bleiben, also offene Systeme, die als völlig geistlose Instanzen vorgehen könnten und jede "Bedrohung" mit allen Mitteln bekämpfen würden. Man denke nur an die Computerviren, die sich ständig kopieren, soweit sie über entsprechende Aktivitäten der User sich selbst einnisten oder von sich aus aktiv werden können. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt.

Wenn man sich nun die biologische Komponente der Sache betrachtet, also den Menschen, dann ist völlig klar, wo das größte Risiko zu verorten ist. Allein das überbordende Sicherheitsbedürfnis, dass Freiheit, Demokratie (präziser: westliches Ökonomiemodell) nur über militärische Stärke für möglich hält, wird alles vorantreiben, was mit KI zu tun hat. Und der Ruf des Militärs (Geheimdienste) nach KI ist bereits deutlich zu vernehmen. Vielleicht ist dann eines Tages die KI die letzte "Rettung", um aus diesem Kreislauf des Wahns herauszukommen, nämlich eine KI, die den Menschen davor bewahrt, sich selbst zu vernichten.

Was nun Jerry Kaplan im Detail behandelt und was daraus zu entnehmen ist, liegt auch im Auge des Lesers und deshalb konkreter mehr hier und hier (Inhaltsübersicht).

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