Warum weniger mehr sein kann

Wohlstand für alle: Das Paradigma, dass "Wohlstand für alle" nur mit Wachstum erreichbar sei, gehört zu der zähen Ideologie des Kapitalismus, die spätestens mit dem Buch "Grenzen des Wachstums" von 1972 bereits als überholt betrachtet werden konnte.

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Eine Buchbesprechung von "Weniger ist mehr" von Jason Hickel, Anlass des Beitrags, soll es nun nicht werden, zumal sich jeder selbst seinen/ihren Eindruck verschaffen kann und das wohl vorzüglich gelingt, wer Die Tyrannei des Wachstumismus: Was heißt heute gutes Leben? zum Einstieg lesen will, wobei sich auch ein Blick auf die weiteren Beiträge der Blätterausgabe lohnt.

Mehr nun über das Buch hier vom Verlag Oekom selbst, wobei auch eine Leseprobe angeboten wird.

Die 'Macher' der Blätter werden sicher keine Einwände habe, wenn ich ein paar Textstellen von Jason Hickel aus dem Beitrag einfüge:

– Doch obwohl wir nun schon seit fast einem halben Jahrhundert wissen (Grenzen des Wachstums), dass auch die menschliche Zivilisation auf dem Spiel steht, hat es bei den Bemühungen, den ökologischen Zusammenbruch aufzuhalten, keinen Fortschritt gegeben. Keinen. Das ist ein seltsames Paradox. Zukünftige Generationen werden auf unsere Zeit zurückblicken und nicht begreifen, warum wir ganz genau wussten, was Sache war, bis ins fürchterlichste Detail, und doch bei der Problemlösung versagt haben.

– Der Kapitalismus ist grundsätzlich von Wachstum abhängig. Wenn die Wirtschaft nicht wächst, rutscht sie in die Rezession: Schulden türmen sich auf, Menschen verlieren Arbeitsplatz und Wohnung, Lebensentwürfe zerbrechen. Die Regierungen haben alle Hände voll zu tun, die industrielle Aktivität am Wachsen zu halten, in einem dauernden Bemühen, die Krise abzuwehren. Wir stecken also in der Falle. Wachstum ist ein struktureller Imperativ – ein stahlhartes Gesetz. Und es kann sich auf stahlharte ideologische Unterstützung verlassen.

– Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Die empirischen Belege zeigen, dass es möglich ist, ein hohes Niveau der menschlichen Entwicklung zu erreichen ohne ein hohes BIP-Niveau. Den UN -Angaben zufolge können Staaten mit lediglich 8000 US-Dollar pro Kopf (im Sinne von Kaufkraftparität oder KKP) in die allerhöchste Kategorie des Lebenserwartungs-Index aufsteigen und auf sehr hohe Stufen beim Bildungsindex mit nur 8700 US-Dollar. Staaten können sogar auf einer ganzen Skala von sozialen Schlüsselindikatoren erfolgreich sein – nicht nur bei Gesundheit und Bildung, sondern auch bei Beschäftigung, Ernährung, sozialer Unterstützung, Demokratie und Lebenszufriedenheit – mit weniger als 10 000 US-Dollar pro Kopf, während sie sich innerhalb oder fast innerhalb der planetaren Grenzen halten.

– Ab einem bestimmten Punkt, so formuliert es der Ökologe Herman Daly, wird das Wachstum mehr und mehr „unwirtschaftlich“: Es schafft zunehmend mehr „Schlechtstand“ als Wohlstand. Wir können dies an mehreren Fronten beobachten: Das fortgesetzte Streben nach Wachstum in einkommensstarken Ländern verschärft die Ungleichheit und die politische Instabilität und trägt zu Problemen bei wie etwa Stress und Depression infolge von Überarbeitung und Schlafmangel, schlechter Gesundheit wegen Umweltverschmutzung, Diabetes und Herzkrankheiten und so weiter.

– Die Menschen haben das Gefühl, dass ihr Leben einen Sinn hat, wenn sie die Möglichkeit haben, Mitleid, Kooperation, Gemeinschaft und Verbindung mit anderen Menschen zum Ausdruck zu bringen. Das ist das, was Psycholog*innen als „intrinsische Werte“ bezeichnen. Diese Werte haben nichts mit äußeren Indikatoren zu tun wie etwa der Frage, wie viel Geld man hat oder wie groß das eigene Haus ist; sie reichen viel tiefer.

– Erneut stellen wir fest, dass das Übermaß an BIP, das die reichsten Nationen charakterisiert, ihnen bei dem, was eigentlich zählt, überhaupt nichts bringt.

– Ungleichheit reduzieren, in allgemeine öffentliche Güter investieren und Einkommen wie Chancen gerechter verteilen. Das Aufregende an dieser Vorgehensweise ist, dass sie auch eine unmittelbare positive Auswirkung auf die lebendige Welt hat. Wenn Gesellschaften egalitärer werden, fühlen sich die Leute weniger unter Druck, immer höheren Einkommen und immer glamouröseren Statusgütern hinterherzujagen. Das befreit sie aus der Tretmühle des immerwährenden Konsumismus.

– Jede Politik, die die Einkommen der Superreichen reduziert, ergibt einen positiven ökologischen Nutzen. Und da die überschüssigen Einnahmen der Reichen ihnen in Bezug auf ihr Wohlbefinden nichts bringen, kann diese Maßnahme ohne irgendwelche schädlichen sozialen Folgen umgesetzt werden. Diese Position wird von Forscher*innen, die in diesem Bereich arbeiten, weitgehend geteilt. Der französische Ökonom Thomas Piketty, einer der weltweit führenden Expert*innen auf dem Gebiet der Ungleichheit, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Eine drastische Reduktion der Kaufkraft der Reichsten würde sich als solche bereits substanziell auf eine Reduktion der Emissionen auf globaler Ebene auswirken.“

Was zählt, ist die „Wohlergehenskaufkraft“ des Einkommens. Wollte man in den Vereinigten Staaten einen Haushalt auf der Basis von 30 000 US-Dollar führen, hätte man sehr zu kämpfen. Die Kinder auf eine anständige Universität zu schicken könnte man dann vergessen. In Finnland, wo die Menschen in den Genuss allgemeiner Gesundheitsversorgung, Bildung und Mietpreisbindung kommen, würde sich das gleiche Einkommen luxuriös anfühlen. Indem wir den Zugang der Menschen zu öffentlichen Dienstleistungen und anderen Gemeingütern ausweiten, können wir die „Wohlergehenskaufkraft“ ihres Einkommens steigern und damit allen ein gutes Leben ermöglichen, ohne dass man zusätzliches Wachstum braucht. Gerechtigkeit ist das Gegenmittel gegen den Wachstumszwang – und der Schlüssel für die Lösung der Klimakrise.

– Mit solchen Daten auf dem Tisch (Zuwachs bei den Reichen) wird klar, dass der Wachstumismus nicht viel mehr als eine Ideologie ist – eine Ideologie, die einige wenige auf Kosten von unser aller Zukunft begünstigt. Man drängt uns dazu, auf das Gaspedal des Wachstums zu treten, mit tödlichen Folgen für unseren lebendigen Planeten, nur damit die reiche Elite noch reicher werden kann. Aus Sicht des menschlichen Lebens ist das ganz klar eine Ungerechtigkeit. Dessen sind wir uns ja schon seit einiger Zeit bewusst. Aber aus ökologischer Perspektive gesehen ist es noch viel schlimmer – es ist eine Form von Wahnsinn.

– Man muss sich eines klarmachen: Das BIP ist keine beliebige Kennzahl einer wirtschaftlichen Leistung. Es handelt sich nicht einfach nur um irgendeinen Fehler – einen Buchungsirrtum, den man jetzt eben korrigieren muss. Es wurde speziell zu dem Zweck entwickelt, das Wohlergehen des Kapitalismus zu messen. Es externalisiert die sozialen und ökologischen Kosten, weil der Kapitalismus die sozialen und ökologischen Kosten externalisiert. Es ist naiv zu glauben, dass das Kapital, wenn die politischen Entscheidungsträger aufhören, das BIP zu messen, seine ständige Jagd nach immer höheren Erträgen automatisch aufgeben wird und dass unsere Volkswirtschaften dann nachhaltiger werden. Diejenigen, die eine Verschiebung in Richtung Wohlbefinden als die einzige Lösung betrachten, machen sich diesen Punkt meist nicht klar. Wollen wir unsere Gesellschaft aus dem Griff des Wachstumsimperativs befreien, dann müssen wir noch ein ganzes Stück klüger sein.

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Und so könnte die Zukunft aussehen: Ein amerikanischer Broker erwacht nach zehn Jahren aus dem Koma. Seine ersten Fragen gelten der Wirtschaft. "Was macht die Konjunktur?" - "Alles in Ordnung." - "Was macht das Handelsdefizit?" - "Es gibt keines mehr." - "Was kostet ein Bier?" - "3000 Yen."

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