Gestern bin ich durch die Stadt gegangen und in eine unterirdische Passage am Essener Hauptbahnhof wurde "Empört Euch!" von S. Hessel zum Verkauf angeboten. Nachdem ich durch den Freitag davon gehört hatte machte ich eine Vollbremsung und kaufte das kleine Heftchen für 3,90€ und sagte voller Stolz und Freude zu der Verkäuferin, die das sicher herzlich wenig interessierte, dass ich schon viel von diesem Aufsatz gehört hätte.
Das Ding ist ja schnell durchgelesen. Das Meiste fand ich gut. Anrührend ist seine Frage nach der Zeit, die noch bleibt (...wie lange noch?). Der 93jährige Autor reicht den Stab des Denkens sozusagen an die junge Generation weiter und macht Mut.
Es soll nicht bei der Empörung bleiben und es soll sich Widerstand formieren.
Ich kannte Stephane Hessel bisher nur durch "Der Freitag" (JA).
Der von ihm selbst sowie im Nachwort von seiner Verlegerin beschriebene Lebensweg von S. Hessel macht Respekt. Kampf gegen die Nazis. Engagement in der Ressistance und nach dem Krieg hat er durch sein Engagement z.B in der Menschenrechtskommision der UN mitgeholfen diese Welt etwas besser zu machen.
Beeindruckend.
Er schreibt aber auch das er im Gazastreifen war und das das Ganze dort ein riesiges Freiluftgefängnis für die Palästinnenser ist.
Er war mit seiner Frau dort und darüber ist er persönlich empört.
Er sieht auch die Hamas und ihr Tun gefällt ihm auch nicht so richtig, aber irgendwie sei das nachvollziehbar, wenn die Israelis für den Gaza-Streifen Raketenbeschuß einstecken müssen.
Selbstverständlich ist er aber für Gewaltfreiheit beim Widerstand.
Dr. Matin Luther King und Gandhi seien da die großen Botschafter der Menschheit.
Vielleicht ist es für einen Franzosen leichter als für einen Deutschen so über den Staat Israel zu schreiben.
Ich kann es nicht.
Ich bin deutsch und muss immer wieder daran denken, was den Juden während und vor dem zweiten Weltkrieg an Verbrechen nur durch -Holocaust oder Shoah als einzigartige Dimension zu beschreiben- in Deutschland widerfahren ist.
Natürlich rechtfertigt das keine Verbrechen seitens Israels, die ich aber durch ein paar Sätze in Hessels Aufsatz noch lange nicht für mich persönlich erwiesen halte.
Meine Freude über den ansonsten doch recht Mut machende Hessel´s Aufsatz war über die Israel-Kritik doch etwas gedämpft.
Ich lebe weit von Israel weg und stecke da nicht drin.
Schlimm wäre es , wenn Hessel da in wirklich allem recht hätte, was ich mir eigentlich gar nicht vorstellen kann und mag.
...aber die ich werde skeptisch, wenn Andere , die da auch nicht drinstecken und genauso weit von Israel entfernt leben wie ich sofort ausrufen, dass es natürlich so ist, das der Staat Israel ein großer Verbrecher sei!
Hessels Distanzierung vom real existent gewesen Sozialismus steht wohl in der großen antikommunitischen Tradion der modernen französichen Denker.
Sie ist nachvollziehbar und was Stalin betrifft, sicherlich auch total gerechtfertigt, aber eine Empörung die zum Widerstand führen soll,hat innerhalb der bestehenden Verhältnisse sicher sehr enge Grenzen.
Innerhalb dieser Grenzen erscheint mir eine Lösung der derzeitigen großen Menschheitprobleme von sozialer Ausgrenzung von Milliarden Menschen über Klimawandel und Artensterben bis hin zu den Millardendollarakkumulationen auf den grossen Finanzkapitalmärkten als illusorisch.
Quelle: Empört Euch!, Stephane Hessel, Ullstein-Verlag, Berlin, 2Auflage 2010
Kommentare 15
Gute, differenzierende Stellungnahme @poor
Habe das Heftchen bereits vor einigen Wochen als unauthorisiertes .pdf gelesen und hier in verschiedenen Blogs dazu Stellung genommen.
Bezüglich der sog. Israel-Passagen möchte ich mich nicht aus dem Fenster lehnen, ist dies sowieso mehr als kontrovers und in möglicher (Nicht) konklusion kaum sachlich fruchtbar zu begleiten.
Mein Eindruck - und via Pierre Bourdieu mehr als vorbelastet - war die klare Botschaft von Hessel, was diesen neoliberalen Rollback in die Feudalgesellschaft angeht. Diese Realität ist mehr als aktuell und zeugt von hoher Weitsicht, auch in diesem schon biblischen Alter.
Und seine (Hessels) Differenzierung bezüglich dem jungen und dem späten Sartre war für mich mehr als ein Aufmerken wert. Gerade Sartres Besuch in Stammheim, sein sich facettenhaft darin positiv - oder auch negativ - partiell widerspiegelndes Lebenswerk wäre mehr als einen Blog hier wert, würde ich dies eher als Zeitzeuge und gern als lernender Kommentator denn als Blogbetreiber begleiten wollen.
OK, letzteres hier vielleicht etwas OT, dennoch Danke für den Beitrag.
Zwei Anmerkungen:
Natürlich ist der Staat Israel kein "großer Verbrecher". Ich hoffe, dass Hessel das so auch nicht geschrieben hat. Aber es gibt israelische und jüdische Kommentatoren, die die Politik ihrer Regierung gegenüber den Palästinensern scharf kritisieren - Patrioten und keine Antisemiten.
Eine Empörung über den Zustand der Welt, die an der Fiktion einer kommunistischen Gesellschaft festhielte, wäre wohl eine, die keine Chance hätte, Gehör zu finden - zu Recht.
@ebertus
Danke für den Kommentar. Regt sehr zum Nachdenken an. In Sartres Denkwelt kenne ich mich leider nicht so gut aus, sa dass der Blog wohl leider :( nicht oder gottseidank :) nicht von mir kommen wird.
Hallo por,
mir ging es wie Dir, habe Stephane Hessels "Empört Euch!" im Hauptgahnhof Hambrg- Altona bei Stilke überrascht entdeckt und gekauft. aber noch nicht gelesen.
Was Du zur haktung von Hessel gegenüber Israel schreibst, weist diametral entgegen gesetzt mit dem gleichen Internationalen Zusammenhang auf einen Zeitgenossen von Hessel, den Polen Jan Karski, Jahrgang 1914,(. Stern diese Woche 8- 114-2011) hin, der bereits 1943/44 britische Regeirungsstellen, darunter Aussenminister Anthony Eden, schließlich sogar US- Präsident Franklin D. Roosevelt persönlich im Weissen Haus über seine eigenen Erfahrungen, Recherchen in NS- Vernichtungslagern, nach seinem Eindruck vergeblich, inständig über den Holocaust in Polen informiert hatte, aber sich von der Internationalen Staatengemeinschaft in unverantwortlicher Weise nicht ernst genommen fühlte.
Es geht ja nicht um Vorwürfe gegen Israel als Staat, sondern um die Unterstützung der israelis, die sich mit der Verantwortung der Gemeinschaft der Völker für die Gefahrenlagen, den friedensprozess im Nahen Osten verbunden fühlen, die lange schon gegen die offiziöse Poltik der israelischen Regierung unter subventionierter Duldung der USA/EU protestieren, demonstrieren, sich wie die Palästinenser/innen von dieser Verantwortungsgemeinschaft der Völker der Welt bisher alleingelassen erleben.
Da ist es egal, ob Du, ob ich Deutscher bist und bin.
Das geht uns alle an, siehe die Götterdämerung der arabisch-afrikanischen Despoten einer aus den Fugen geratenen globalen Sicherheitsarchitektur für die Völker der Welt, für die Stämme, Völker in der Region.
tschüss
Jochen
@koslowski
Was an der Politik Israels zu recht kritisch begleitet werden sollte, das mag ja auch kritisiert werden. Ich bin nur gegen diese Pauschalurteile.
"Eine Empörung über den Zustand der Welt", die aber im vom Hessel zu recht kritisierten "Rollback der neoliberalen Gesellschaft in die Feudalgesellschaft" in der derzeitigen wahr gewordenen neoliberalen Fiktion des demokratischen Kapitalismus verbleibt , hat keine Chance etwas zu verändern. Sie kann nur scheitern.
@koslowski
Was an der Politik Israels zu recht kritisch begleitet werden sollte, das mag ja auch kritisiert werden. Ich bin nur gegen diese Pauschalurteile.
"Eine Empörung über den Zustand der Welt", die aber im vom Hessel zu recht kritisierten "Rollback der neoliberalen Gesellschaft in die Feudalgesellschaft" in der derzeitigen wahr gewordenen neoliberalen Fiktion des demokratischen Kapitalismus verbleibt , hat keine Chance etwas zu verändern. Sie kann nur scheitern.
@koslowski
Was an der Politik Israels zu recht kritisch begleitet werden sollte, das mag ja auch kritisiert werden. Ich bin nur gegen diese Pauschalurteile.
"Eine Empörung über den Zustand der Welt", die aber im vom Hessel zu recht kritisierten "Rollback der neoliberalen Gesellschaft in die Feudalgesellschaft" in der derzeitigen wahr gewordenen neoliberalen Fiktion des demokratischen Kapitalismus verbleibt , hat keine Chance etwas zu verändern. Sie kann nur scheitern.
@JP
Es stimmmt schon. Alles hängt mit allem zusammen in dieser globalisiertern Welt. Das mit der Unterstützung Israels ist geschickt ausgedrückt.
Eine wirklichen Unterstützung, die bei der derzeitigen Weltlage nicht nur für Israel sondern für die ganze arabische Welt kommen sollte , wäre prima!
Diese Vokabel von der Verantwortungsgemeinschaft der Völker hat mir sehr gefallen.
Leider sind wir davon wohl noch ziemlich weit weg.
Herzliche Grüße
por
@por
Denk an Hessel
"Empöre Dich für Dich wie mit anderen!"
Empörung ist ja der Aufbruch im Für und Wider zu gegenseitiger Meinungsbildung.
tschüss
Jochen
siehe:
www.taz.de/1/leben/buch/artikel/1/am-ende-ist-die-hoffnung-staerker/
taz 11.02.2011
Stéphane Hessel über sein neues Buch
"Am Ende ist die Hoffnung stärker"
Empört Euch! Die Schrift des Stéphane Hessel hat Frankreich bewegt, nun erscheint sie auf Deutsch. Ein Gespräch über Protestkultur, Lösungen und Leidenschaft.
Der Kopf der Resistance - Charles De Gaulle. Foto: ap
@JP
Danke. Auch für den Interview-Link.
Wäre schön, wenn "Empört Euch" ein "Aufbruch im Für und Wider der gegenseitigen Meinungsbildung"
wäre.
Ich finde , dass er auch sehr toll über die Hoffnung geschrieben hat. Das war so echt und daher ermutigend! ;)
Empör mich, lieber pör ;-))
Deinen Gedanken möchte ich gerne aufgreifen: "Anrührend ist seine Frage nach der Zeit, die noch bleibt (...wie lange noch?). Der 93jährige Autor reicht den Stab des Denkens sozusagen an die junge Generation weiter und macht Mut."
Keiner von uns weiß, wie lange die Fackel noch brennt......
aufschieben gilt nicht!
Herzlichst
archie
@v. Luscka
Sicher waren da in Frankreich im Kamof gegen die Nazis noch viele Andere beteiligt, aber so ganz unressistent war De Gaulle ja auch nicht.
Vielleicht könen sich die Herren ja auf Vorzeigekopf einigen. ;)
Herzliche Grüße
por
Lieber archie,
wie kann ich Dich empören? Soll ich Dir eine vituelle Zuunge ) rausstrecken:)? Für Dich tue ich das gerne, wenn Du mich so nett darum bittest.
...aber im Ernst, wie lange die Fackel mit dem eigenen Lebenslicht noch bleibt, weiss wirklich keiner. Spitze der Schlusss mit dem geltenden Aufschub!
Herzliche Grüße
por
;-))
;)