Schwere See

Waschtag Nicht viel was sich bewegt, aber auf das rotierende Programm der Waschmaschine ist Verlass. Welch ein Glueck, dass sie ein Bullauge hat.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ich alter Seemann bin im schweren Sturm. Mutig blicke ich in das Bullauge meiner Waschmaschine. Da drinnen ist schwere See. Meine T-Shirts rotieren im Auge des Hurricanes. Nur gut, dass in meiner Kombuese noch alles trocken ist. Auf dem IKEA-Bord in der weiten Ferne durchstampfen meine Schiffe aus Zinkdruckguss die tobende weisse See. Massstabsgerecht in 1:1250 durchmessen sie die unendlichen Ozeane meines Schlafzimmers in dem die Welt noch eine Scheibe ist. Ganz nah am Abgrund des IKEA-Regals droht in unendlicher Tiefe die Haerte des Zimmerbodens an dem Ihnen schon so mancher Mast agbebrochen ist. Furchtsam wende ich meinen Blick von Ihnen ab dem Wohnungsfenster entgegen und werde wieder ruhiger. In der Siedlung so schmuck und so gruen ist heute scheinbar die Zeit eingefroren. Der Himmel blauweiss. So grosse Vielfalt in den Wolken. Kaum zu glauben, dass der Mensch in seiner Sehnsucht nach Ordnung sie alle in der Wolkenkunde zusammengefasst, typisiert und erklaert hat. Entdeckungen gibt es da nur noch in der Fantasie zu holen, doch das ist heute nicht drin. Mit der schweren See in meiner Waschmaschine habe ich genug zu kaempfen. Doch ich gebe nicht auf. Ein Mann muss tun was ein Mann tun muss. Todesmutig oeffne ich nach dem Ende der schweren See das Bullauge, greife mir die nasse Waesche und haenge sie - ganz der alte Seebaer , der ich eben bin-ueber blaue Leinen am Dachboden zum Trocknen auf. Im IKEA-Regal die alten Seefahrergeschichten in Buechern. Stefans Zweig "Amerigo" in einer Exil-Ausgabe von 1944 in Stockholm bei Bermann-Fischer verlegt und in Winterthur gedruckt als Geschichte von einem der weder der grosse Held noch ein Betrueger war und doch wurde ein neuer Kontinent nach ihm benannt, weil er wohl eben der Erste war, mit dessen Namen es unloeslich verbunden ist, dass man da einen neuen Erdteil entdeckt hatte. Auch wenn heute keiner mehr meinen Namen kennt, so bin ich doch damals mit Kolumbus und spaeter mit Amerigo Vespucci mitgesegelt. Damals hatten wir auch oft Schwere See.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

poor on ruhr

Vielseitiger interessierter Arbeiter und ziemlich stark in die in die in aller Welt bekannten Pandabären vernarrt. 🐼

poor on ruhr

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden