Franziskus der 99%

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Bei Franz von Assisi denken die meisten sicher nur an einen Bettelmönch in einer abgerockten Kutte. Doch die Motive, die den Kaufmannssohn zur Gründung des Franziskaner-Ordens bewegt haben müssen, sind unerwartet modern. Die in der Präsentation gelungene Ausstellung, die das Diözesan-Museum im westfälischen Paderborn unter dem Titel „Franziskus – Licht aus Assisi“ organisiert hat, macht leider nur Andeutungen dazu, wie zeitgemäß ihr Thema sein könnte.

Franz von Assisi wurde in eine Epoche der sozialen Umbrüche hineingeboren. Ähnlich wie heute kamen schmale bürgerliche Schichten in kurzer Zeit zu großem Reichtum, die Kluft zwischen ihnen und den weniger gut Gestellten (den 99% des Mittelalters) klaffte weiter und weiter auf. In unseren Tagen soll der ungehemmte Markt für eine stabile soziale Grundordnung und eine effiziente Verteilung der Güter sorgen. Die Parallele zu damals: Der Ordnungsmechanismus gerät zunehmend in Verruf, die Güterverteilung wird immer ungerechter. Franz reagierte Anfang des 13. Jahrhunderts auf seine Weise, entschied sich für die radikale Armut und ging damit einen ganzen Schritt weiter als die vielen anderen, die sich gleichzeitig um soziale Reformen bemühten. So weit muss man heute nicht gehen, es ist mutig genug, einen eigenständigen Schritt zu machen, sich beispielsweise in Gemeinschaftsgärten oder Eigenbau-Werkstätten für die Selbstversorgung zu engagieren und damit überhitztem Konsum und Turbokapitalismus wenigstens teilweise zu entgehen.

Die Franziskaner, die in den kommenden Jahrhunderten dem Beispiel ihres Ordensgründers folgten, waren aber an mehr als an vereinzelten Alternativen zum Verteilungsproblem interessiert. Sie kümmerten sich überdies um die Randgruppen der Gesellschaft, zuerst vor allem um die Aussätzigen. Sie waren die Sozialarbeiter und Pflegedienste ihrer Zeit.

Zu all dem lässt die Paderborner Ausstellung ihre Besucher leider sehr wenig wissen. Dabei liefert Franziskus' Widerstandsgeist gegen ein System ökonomischer und sozialer Ungleichheit eine Steilvorlage für alle, die nach Zügen der modernen Gesellschaft suchen, die schon im Mittelalter erkennbar sind. Die Parallelen herauszustellen und zu vertiefen hätte auch eine Ausstellung leisten können, deren Exponate vor allem Kunstgeschichtsinteressierte anziehen werden. Die Anliegen des Franz von Assisi sind zeitgemäßer als es seine unmodische Kleidung vermuten lässt.



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Geschrieben von

Peter Plöger

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Peter Plöger

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