Irrationale Wunschoptimierer

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Julian Nida-Rümelin stellt in seinem aktuellen Buch „Die Optimierungsfalle“ eine enorm wichtige Frage: Wie können wir die Wirtschaft human gestalten? Die Frage reagiert auf das steigende Unbehagen an der herrschenden Wirtschaftsweise und der durchkapitalisierten Gesellschaft, das sich immer lauter in deutlicher Kritik und in Protesten Bahn bricht.

Nida-Rümelin bringt seine Antwort in einer unaufdringlichen Art vor, argumentiert sachlich und ruhig, dennoch schafft er es einige Male, zu überraschen und manchmal auch perplex zu machen. Die Ökonomie, so sein Urteil, die so große Stücke auf ihre kühle Rationalität hält, ist schon in ihrer Grundidee irrational. Ihre Annahme, wenn nur alle ihre individuellen Eigeninteressen verfolgten, stiege das Wohl des Ganzen wie durch Zauberhand, erweist sich als magischer Trick, der schön anzusehen ist, aber nicht funktioniert. Zu oft sind die Verteilungen, die das kapitalistische System erzeugt, ungerecht. Das gebräuchliche Richtmaß der Pareto-Effizienz, so Nida-Rümelin, sei nur eine „Schrumpfform des Utilitarismus“, ein theoretisches Konstrukt, das den Menschen auf eine Wunschoptimierungsmaschine verkürze. Menschliches Wohl lässt sich jedoch nur ganz erfassen, wenn der Blick sich weit über derartige Vereinfachungen erhebt.

Seit dem 18. Jahrhundert leitet uns die Idee, freie Interaktionen von Individuen würden schließlich eine stabile gesamtgesellschaftliche Ordnung schaffen. Jetzt müssen wir einsehen, dass das Ideal des freien Marktes allein nicht trägt. Der Markt muss eingebettet sein in einen größeren Rahmen von Regeln, die das soziale Zusammenleben organisieren: ethische Regeln, Regeln des Kommunizierens. Sie sind im Markt noch nicht enthalten, können von ihm auch nicht erzeugt werden. Die Voraussetzungen dafür, dass Wirtschaft funktionieren kann, müssen also in der Gesellschaft und ihrer Ethik angelegt sein.

Nida-Rümelin setzt dem Marktideal sein Konzept einer „strukturellen Rationalität“ entgegen: Menschen haben gute Gründe dafür, nicht bloß einer kurzfristigen Nutzensteigerung nachzugehen, beispielsweise, indem sie sich kaufen, was sie sich gerade wünschen. Wichtig ist ihnen auch, persönliche Integrität zu bewahren und zum Beispiel eine Ware nicht zu erwerben, die unter Bedingungen hergestellt wurde, die sie ablehnen – Kinderarbeit oder Umweltverschmutzung etwa. Kurzfristige Optimierung aber steht einer langfristigen Bindung an Leitbilder oder auch Personen im Wege.

Der nach der ökonomischen Theorie optimale Mensch läuft in eine Sackgasse. „Er optimiert je punktuell und wird gerade dadurch strukturell irrational“. Dieser Falle müssen wir entkommen und damit in unseren Vorstellungen von erfolgreichem Wirtschaften ein ganzes Stück menschlicher werden.

Julian Nida-Rümelin 2011: Die Optimierungsfalle – Philosophie einer humanen Ökonomie. München: Irisiana.

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Geschrieben von

Peter Plöger

Wir brauchen nicht mehr Glück, wir brauchen mehr Sinn.

Peter Plöger

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