Kulturelle Werke brauchen demokratischen Schutz

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Zu kurz gedacht, liebe Netzlibertäre - 4

Einige radikal Netzlibertäre haben in der laufenden Urheberrechtsdebatte gefordert, die Verwerter, also die Produzenten, Verleger, Agenten, usw. aus der Verwertungskette zu nehmen und die Kulturproduktion ganz in die Hand der Urheber zu legen. Das hört sich so an, als wäre damit für die kleinen Kreativen etwas gewonnen. Tatsächlich würde es die Ungleichverteilung nur noch verschärfen.

Die Verwerter ließen sich ja nicht einfach abschaffen (oder will jemand ernsthaft alle Verlage, Musiklabel, Onlineanbieter, Galerien, etc. schließen). Diejenigen unter ihnen, die auch heute schon groß sind, also diejenigen, die das Feindbild für die Netzlibertären abgeben wie Sony oder Apple (von Randomhouse und Thalia spricht erstaunlicherweise niemand), würden nur noch mehr Gelegenheit bekommen, Macht auf sich zu konzentrieren.

Machen wir doch das Gedankenexperiment mit der Radikalforderung: Aller Content wird frei verfügbar ins Netz gestellt. „Verfügen“ heißt aber: erst mal rankommen. Wer stellt die meistbenutzte Suchmaschine, die Community oder Google? Wer hat den Zugriff auf nahezu alle Printwerke, die Community oder Amazon? Wer kontrolliert Nutzerdaten inklusive Musik- und Lesegeschmack am großflächigsten und effektivsten, die Community oder Facebook? Die faktische Verfügungsmacht läge weiterhin größtenteils in den Händen der wenigen Unternehmensriesen, auch wenn der Content-Eintrag ins Web völlig frei und „demokratisch“ wäre. Google beispielsweise übt diese Verfügungsmacht bekanntermaßen über seine Suchalgorithmen aus: Jeder bekommt zuerst das zu sehen, was Google ihm zuerst präsentieren will.

Das Web sieht nicht aus wie ein Fischernetz mit immer gleich großen Maschen, sondern wie eine vernachlässigte Rasta-Frisur: ein paar dicke Knoten und viele dünne, lose Enden. Bislang fehlen mir die überzeugenden Argumente dafür, dass die Unternehmensriesen tatsächlich auf ihre Verfügungsmacht verzichten würden. Warum sollten sie? Wenn niemand mehr Verträge mit Verwertern macht, in denen geregelt ist, wer wann was veröffentlicht und wieviel er dafür bekommt, steht dem uneingeschränkten Zugriff der Großverwerter auf allen Content nichts mehr im Wege.

Einer der blinden Flecken der radikalen Netzlibertären ist ihr verkürztes Verständnis von dem, was sie „demokratisches Nutzungsrecht“ nennen würden. Jeder kann was reintun, jeder kann was rausholen – klingt urdemokratisch, ist aber urologisch, um bei Sven Regeners Bild vom Sich-angepinkelt-Fühlen zu bleiben. Demokratie schließt den Schutz derjenigen Teilnehmer in einer Interaktion ein, die weniger Macht haben, in diesem Fall den Schutz der Urheber gegenüber den Verwertern und Verbrauchern. Und der lässt sich am besten durch Verträge sichern.

Die radikalen Netzlibertären klingen für die Kreativarbeiter deswegen so bedrohlich, weil sie ihnen diesen Schutz nehmen und ihnen obendrein keinen Schutz vor denjenigen Nutzern bieten wollen, die die Kreativarbeit offenbar als Umsonstladen sehen. Die sogenannten Verwerter werden dabei gerne mal zu Godzilla gemacht. Bevor man aber die Atomraketen losschickt, sollte man doch sehen, dass man nicht gleich ganz Tokio damit wegbombt und Godzilla danach putzmunter aus den rauchenden Ruinen steigt.

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Geschrieben von

Peter Plöger

Wir brauchen nicht mehr Glück, wir brauchen mehr Sinn.

Peter Plöger

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