Kulturelle Werke sind kopierbar – Ja und?

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Zu kurz gedacht, liebe Netzlibertäre - 5

In den vielen Debatten um die Urheberrechte an kulturellen Werken steht an einer Stelle immer das Argument: „Kulturelle Werke in Form von Online-Content sind beliebig oft kopierbar. Also kann man dem Urheber gar nichts wegnehmen, er behält seinen Content doch. Das ist das durchschlagend neue am Internet.“

Ich frage mich, ob beliebige Kopierbarkeit wirklich eine so durchschlagende Neuerung ist und mit dem Hinweis auf sie nicht doch wichtige Schutzrechte verschleiert werden. Ich bleibe mal beim Beispiel Text: Texte waren auch schon in der Präweb-Ära kopierbar. Es war lediglich technisch schwieriger, sie abzuschreiben oder reprotechnisch zu vervielfältigen. Die wesentlichere Neuerung ist für mich der Umstand, dass Texte inzwischen de facto viel häufiger kopiert werden – durch Teilen in Social Media, durch Copy-and-Paste, durch Massenversand per Mail, und so weiter – so häufig, dass die Urheber ihre Rechte und ihre Würde gefährdet sehen. Es besteht, davon muss man ausgehen, ein Zusammenhang zwischen der leichten Vervielfältigbarkeit und der häufigeren Vervielfältigung.

Fakt ist also, dass Schutzrechte damit häufiger umgangen werden. Der Grund, aus dem das geschieht (leichte Kopierbarkeit) ist aber für die hier grundlegende Frage erst einmal nebensächlich. Eine falsche Handlung wird nicht deswegen richtiger, weil sie leichter ausführbar ist. Sonst könnte ich auch begründen, dass es gut sei, Altöl in den Wald zu kippen, indem ich einen Auslasshahn mit Schnellverschluss für Pkw-Ölwannen erfinde.

Warum soll es eine falsche Handlung sein, Texte fremder Urheber aus dem Netz zu kopieren? Aus zwei Gründen: a) dem Existenzargument; Autoren müssen an ihren Texten verdienen, sonst könnten sie keine Autoren sein, es sei denn, sie verdienen ihre Brötchen woanders neben dem Schreiben. Der Trost „Aber du behälst deinen Content doch, er ist kopiert, nicht geraubt“, nützt auch nicht die Bohne. Okay, ich habe ihn noch. Jetzt sitzt er da zu Hause und backt immer noch keine Brötchen für mich.

b) Einfach Texte kopieren heißt, dass jemand etwas mit meiner Arbeitsleistung tut, ohne sich meines Einverständnisses versichert zu haben, mit einer Arbeitsleistung, die mir etwas wert ist. Ob sie ihm etwas wert ist, zeigt er mir nicht. Natürlich gehe ich als Autor immer den Deal ein, dass ich keine absolute Kontrolle mehr über meine Texte habe, sobald sie einmal veröffentlicht sind. Zum Teil möchte ich ja auch, dass Leser meine Texte weiterverbreiten. Der ungefragte Gebrauch muss aber in einem Maß bleiben, das mir meine Würde als Urheber und Zurverfügungsteller lässt. Dafür braucht es den Respekt und die Anerkennung meiner Arbeitsleistung durch diejenigen, die sie nutzen – also etwas, das sonst überall zum Alltagsanstand gehört. Wer gewohnheitsmäßig den Automechaniker nach der Reparatur nicht bezahlt ( a) ) und ihm sagt „Den Scheiß hätte ich auch selber machen können“ ( b) ) gilt zurecht als Arschloch (und kommt obendrein in den Knast).

(In diesem Sinne sind mir Volltextsuchen im Web (die zu den sogenannten „reinen Verteilern“ gehören) viel suspekter als die vermeintlich für uns Urheber so schädlichen „Verwerter“ (Verlage).)

Dass das Massenkopieren schon das Maß gerissen hat, zeigen die verärgerten Reaktionen der Autoren, Musiker, bildenden Künstler etc., die sich bisher zu Wort gemeldet haben. Das Maß ist für mich noch nicht überschritten, wenn Jugendliche sich ein paar Songs auf Youtube anhören oder Textschnipsel über Facebook teilen. (Jetzt die nostalgische Kassettengeschichte: Ja, ich habe selbst noch haufenweise Kassettenmitschnitte aus Radiosendungen von vor 30 Jahren im Keller.) Das ist ethisch strenggenommen immer noch falsch, aber lässlich. Das Maß reißen diejenigen, die daraus einen Anspruch machen und rufen: „Das kann gar nicht falsch sein. Hier werden Nutzer kriminalisiert.“ Das ist großes Drama. Kriminalisiert würden sie, wenn ich haarklein auf jeden „Akt von Raubkopie“ achten und ihn jedesmal zur Anzeige bringen würde. Will ich gar nicht, mal können sie ruhig. Wenn du aber meinst, lieber Nutzer, liebe Volltextsuchmaschine, du hättest eine Art natürlichen Anspruch auf meine Texte, dann sage ich: Nimm deine Wurstfinger da weg! Und das hast du dann zu respektieren. Meine Gründe, warum ich dich nicht lasse, haben dir dabei egal zu sein.

Das sollte gerade Menschen, die sich als liberal verstehen, am ehesten einleuchten. Jeder kann mit sich und dem, was er erarbeitet hat, machen, was er will – Das ist eine gute Regel.

Es geht hier für mich letztlich um eine moralische Frage: Ist ein Handeln richtig (weil respektvoll) oder falsch (weil entwürdigend). Respektlos kulturelle Werke zu verwenden und zu vervielfältigen war prä-web schon falsch, das ist es heute noch genauso. Durch leichte, beliebige Kopierbarkeit hat sich daran nichts geändert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Plöger

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Peter Plöger

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