Nach dem Protest - Die Bürgerwirtschaft

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Occupy-Bewegung hat recht: Wir müssen nicht so leben, wie die Konzerne und das Finanzkapital es gerne sehen. Eine wachsende Zahl von Menschen will auch nicht mehr im Takt von Arbeit und Konsum dahinexistieren, dabei dauernd das diffuse Gefühl haben, den falschen Lebenszielen hinterherzuhecheln und obendrein von den Mächtigen mit ihren unausgesprochenen Eigeninteressen verschaukelt zu werden.

Das Gute ist: Die Menschen, die uns eine solidarischere und gerechtere Wirtschaft der 99% vorleben, sind längst unter uns. Bisher hat sie nur kaum jemand als Ideengeber wahrgenommen. Es ist bereits eine Menge kreatives Potenzial in die Frage geflossen: „Wir wollen den Raubtierkapitalismus nicht – Aber wie wollen wir eigentlich leben?“ Mit zum Teil sehr überzeugenden Antworten.

Die Menschen, die sich ganz praktisch mit dieser Frage auseinandergesetzt haben, haben ihre Lösungen vor Ort gefunden. Sie haben zum Beispiel Nachbarschaftsgärten in ihren Stadtvierteln gegründet. Dort versorgen sie sich selbst mit frischem Gemüse, mit guten Gesprächen und der Gewissheit, sinnvollen Tätigkeiten nachzugehen und gleichzeitig mit dem Blick aufs große Ganze lokalpolitisch aktiv zu sein.

Diese Mischung aus Tätigkeiten, die fundamentale Bedürfnisse befriedigen, solidarisch und sozial gerecht sind sowie mit politischem Aktivismus verknüpft sind, ist typisch für das, was überall im Land schon praktiziert wird. Eine Bürgerwirtschaft wächst langsam heran. Urban Gardening ist ein Beispiel, Fabbing ein weiteres: Fabber nutzen die Möglichkeiten der 3D-Drucktechnik, um kleinere Gebrauchsgegenstände (Besteck, Lampen, Verschalungen, Computerzubehör, Schmuck, usw.) selbst herzustellen und sich damit teilweise unabhängig zu machen vom zentralisierten Gütermarkt. Motto: Jeder ist ein Produzent! Tatsächlich ist die Technik kurz davor, so erschwinglich und handhabbar wie jedes Haushaltsgerät zu werden. Und die Software mit den Bauanleitungen gibt es als Open Source-Angebot zum Downloaden.

Auch ältere Ideen wie Tauschringe und Genossenschaften können sich wieder steigender Beliebtheit erfreuen. Tauschringe und ihre moderneren, web-basierten Verwandten wie Peer Production oder Social Commerce erlauben es, geldfrei Güter und Dienstleistungen zu erwerben. Wie die Genossenschaften auch sind sie in erster Linie Gemeinschaften von Menschen, deren Währung das Vertrauen untereinander ist, keine anonymen Märkte mit dem Ziel der Profitmaximierung.

Wenn ich nach einer Bürgerwirtschaft suchen müsste, nach einer Wirtschaft der 99%, würde ich dort anfangen, wo Menschen sich im Kleinen selbst organisiert haben. Denn ihnen ist bereits klar, wie ihr Leben jenseits des Kapitalismus aussehen soll:

  • selbstorganisiert – in kleinen Gemeinschaften schaffen sie, was Staat und Wirtschaft nicht länger für sie schaffen können (und oft genug nicht schaffen wollen);

  • pragmatisch – sie suchen sich Alternativen im Kleinen und leben sie;

  • unideologisch – sie brauchen keinen großen Entwürfe, weder kapitalistische noch sozialistische;

  • experimentell – sie probieren aus, was geht, und entwickeln es dann weiter;

  • bedürfnisorientiert – sie achten darauf, was Menschen zu einem guten Leben wirklich brauchen.

Die weltweiten Proteste sind ein längst fälliger erster Schritt. Wir haben jetzt die Chance, über eine menschenwürdige Wirtschaft nachzudenken. Die Zeit ist da, zum nächsten Schritt anzusetzen, den Schritt zur Bürgerwirtschaft. Ideen dafür haben wir schon genug.

Neues Buch – Peter Plöger: Einfach ein gutes Leben – Aufbruch in eine neue Gesellschaft. Hanser Verlag, München. Sep. 2011. 17,90 Euro. ISBN: 978-3-446-42684-9

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Plöger

Wir brauchen nicht mehr Glück, wir brauchen mehr Sinn.

Peter Plöger

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden