The tragedy of the creatives: Kulturelle Werke sind keine Gemeingüter

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Ob Ölbilder, Emoticons, Naturgedichte, Kurzfilme, Strategiespiele oder Shantys, analog oder digital – In der aktuellen Debatte um das Urheberrecht im speziellen und Verfügungsrechte im Internet im allgemeinen wird die Forderung laut, kulturelle Werke der Allgemeinheit frei zur Verfügung zu stellen. Die Forderung suggeriert, es sei per se demokratisch, kulturelle Werke zu Gemeingütern zu machen. Das ist ein Irrtum – aus mehreren Gründen, der erste ist der, dass es nicht demokratisch sein kann, die Kreativen für eine Art natürliche Ressource zu halten. (Mit der Forderung verbinden sich noch andere Missdeutungen, die ich aber erst später kommentieren möchte: Kulturelle Werke sind kein „Wissen“. Kulturelle Werke zu nutzen heißt nicht, von ethischem Handeln befreit zu sein. Kulturelle Werke freizustellen bedeutet nicht automatisch, mehr Nutzungsgleicheit herzustellen. Demokratie bedeutet nicht, sich einer mutmaßlichen Macht des Faktischen zu beugen.)

Klassische Gemeingüter sind zum Beispiel Straßen oder öffentliche Schulen, kommunale Waldflächen oder Allmendeweiden. Straßen und Schulen werden von Menschen hergestellt, Wälder und Weiden nicht. In den ersten steckt also menschliche Arbeit, in den zweiten nicht (außer in deren Pflege).

Die Netzlibertären (die sich nicht nur unter Mitgliedern der Piratenpartei finden) setzen an diese Stelle das Argument des Eigentums: Immaterielle Werke kann ich digital beliebig oft kopieren, sie verbrauchen sich durch Nutzung also nicht. Selbstredend! Man kann sie in diesem Punkt mit dem Wald vergleichen: Wenn ich zwischen den Bäumen herspaziere, verbrauche ich den Wald damit nicht, er ist hinterher noch derselbe wie vorher. Sogar einzelne Bäume könnte ich fällen, solange der Wald danach noch nachwachsen kann. Bei der mittelalterlichen Allmendeweide ganz ähnlich: Sie kann von allen Viehhaltern eines Dorfes benutzt werden. Das geht bei vernünftiger Kooperation gut, oft genug haben einzelne Bauern ihr Vieh jedoch so ausgiebig weiden lassen, dass eine nachhaltige Nutzung durch die Nachbarn nicht mehr möglich war und die Fläche überweidet wurde. Den Schaden hatten dann alle. Das Problem ist als „The tragedy of the commons – Die Tragödie der Gemeingüter“ ein ökonomischer Topos geworden.

Nun kann man digitalen Content nicht durch kopieren „überweiden“, sicher. Die Netzlibertären gehen hier aber einem Missverständnis auf den Leim: Nicht der Content ist die Weide, sondern die Content-Produzenten. Die Allmendeweide wird nicht hergestellt (es sei denn von der Natur), der Content schon. Wenn also etwas überweidet werden kann, dann die Ressource: nicht der Content, sondern die Kreativen. In der Forderung nach der Freistellung der kulturellen Werke verborgen steckt mithin eine ganz ähnliche Auffassung der kompensationsfreien Verfügbarkeit, wie sie die Großproduzenten der Industriemoderne gegenüber der Natur haben: Es ist ja alles von selbst da, niemand muss es erst produzieren. Also: Horrido, nehmen wir es uns! Die Natur sind hier eben die Kreativarbeiter.

Den Schaden aus der Überweidung würden wieder alle haben. Den Kreativen würden die Existenzmittel genommen wie der Weide der Nährboden. Sie würden aufhören müssen, kulturelle Werke zu produzieren. Es würde also kaum noch Naturgedichte, Kurzfilme oder Shantys geben. Oder aber jeder könnte dichten und singen (was er im übrigen jetzt schon kann). Allerdings würden nur noch einige rare Spezialisten ihre Kernkompetenz darin haben und ihren ungeteilten Enthusiasmus hineinlegen können. Alle Kultur allen? Sollen denn auch alle dafür sorgen, dass das Gras wieder nachwächst? Kultur würde banal werden. Wenn dagegen prinzipiell jeder und jede kulturelle Werke erzeugen können und einige das professionell und dauerhaft tun, dann ist ein vernünftiges Gleichgewicht erreicht. Dem waren wir vor der digitalen Verfügbarkeitsrevolution aber schon nicht so fern.

Demokratisch ist es, auch den Kreativen ihre Existenzgrundlage zuzugestehen. Was sie leisten, ist Arbeit, und Arbeit muss gerecht entlohnt werden. Dabei geht es nicht um Eigentumsrechte. Ich besitze meine Texte nicht, wie ich ein Handy besitze. Aber ich sollte weiter sicher sein können, dass die Nutzungsrechte an meinen Texten fair geregelt sind und ich dabei eine entscheidende Stimme habe. Kein Gemeingut kommt im übrigen ohne eine solche Regelung der Verfügungsrechte aus: Die Nutzung der Allmendeweide war kooperativ unter den Bauern geregelt; im kommunalen Wald dürfen nur autorisierte Personen Holzeinschlag betreiben, seine Freizeitnutzung ist gesetzlich geregelt, und so weiter. Diese Regelungen sichern die Nachhaltigkeit der Nutzung und die gerechte Gratifikation derjenigen, die sich um die Pflege der Gemeingüter kümmern.

Kulturelle Werke sollen möglichst allen offen stehen. „Demokratisch“ heißt aber mehr, nämlich dass Kreativarbeiter nicht als schlichte Ressource behandelt werden, sondern dass ihnen als Produzenten eine gerechte Teilhabe an der Wertschöpfung ihrer Leistungen offen steht.

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Geschrieben von

Peter Plöger

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Peter Plöger

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